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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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zu besuchen; mau muß sich gleich gefaßt machen, die nothwendigen Vorbereitun¬
gen der Küche mit in den Kauf zu nehmen. Von diesen Gewohnheiten müssen
wir uns wenigstens in der Poesie emancipiren, wenn wir uns frei bewegen wollen.

Wir sind im Allgemeinen zu wenig heiter; wir können zu Zeiten ausgelassen
lustig sein, aber der Grundzug unsers Lebens ist jene Reflexion, die alle Un¬
befangenheit verkümmert. Wo unser Gemüth angeregt oder unsere Reflexion be¬
schäftigt wird, lassen wir uns Alles gefallen, jeder Spaß aber muß zergliedert
werden. Die Stücke, in denen Gnjzkow und Laube am meisten aus ihrer jung-
deutschen Richtung herausgegangen sind: Zopf und Schwert, Rococo, das Urbild
des Tartüffe, haben verhältnißmäßig wenig Eindruck gemacht; wo sie aber senti¬
mental oder "geistreich" sich gebärden, ist ihnen Alles erlaubt. Etwas mehr
Freiheit in der äußerlichen Combination, und etwas mehr Gründlichkeit und Ge¬
wissenhaftigkeit ans dein psychologischen Gebiet wird unserer Bühne nicht schaden.

Die Allegorie. Die Revolution hat den französischen Lustspieldichtern,
wie ihre ältere Vorgängerin, mehrfach zur Satyre Veranlassung gegeben, und der
Genius der modernen Romantik hat sich mit besonderer Vorliebe in der Aristopha--
Nischen Form Luft gemacht. Das heißt nichts Anderes, als daß die Charaktere
in Allegorien verflüchtigt sind, der Gang der Handlung durch Ueberspringen aus
einem Bild in das andere in ein zusammenhangloses Quodlibet aufgelöst ist, das
durch die eingestreuten prosaischen Parabasen und satyrische Couplets an poetischem
Gehalt nicht eben gewinnt. Bekanntlich hat diese Form bei uns durch Tieck
in den sogenannten gebildeten Kreisen Eingang gefunden. Es hat diese Kreise
höchlich befriedigt, ohne jene Anstrengung der Aufmerksamkeit, welche eine zu-
sammenhängende Handlung und ausgearbeitete Charaktere doch immer in Anspruch
nehmen, die einzelnen Sätze ihres ästhetischen und politischen Katechismus in
unmittelbarer Beziehung wiederzufinden, und sich über deu Pöbel, -- d. h. die¬
jenigen, welche diese Ansichten nicht theilen -- lustig zu machen, ohne die undank¬
bare Mühe, auf deu Inhalt ihrer Geguer einzugehen. Damals war die ziem¬
lich allgemein verbreitete Ansicht, dergleichen spirituelle Poesie sei nnr für die
Lectüre, was der Aristokratie der Theecirkel, denen es nicht gut genng war, mit
dem gemeinen Mann zusammen eine Bühne zu besuchen, in welcher ja doch seit
Fleck alle wahre Kunst untergegangen war, aus mehr als einem Grunde conve-
niren mußte. -- Später, als die Romantik sich von realistischen Gelüsten anwan¬
deln ließ, hat Tieck freilich erklärt, er habe bei all' seinen Aristophanischen Komö¬
dien beständig die Bühne im Ange gehabt, und man hat mich in der That den
Versuch gemacht, wenigstens das eine oder das andere, z. B. den gestiefelten
Kater, aufzuführen. Trol; der Anwendung sehr bedeutender Kräfte ist dieser
Versuch als vollständig gescheitert anzusehen. -- Seitdem hat sich Aristophanes
in die Vorstadttheater geflüchtet, und aus dem spirituellen Lesestück ist die Zanber-


Grenzbotett. III. 1850. 69

zu besuchen; mau muß sich gleich gefaßt machen, die nothwendigen Vorbereitun¬
gen der Küche mit in den Kauf zu nehmen. Von diesen Gewohnheiten müssen
wir uns wenigstens in der Poesie emancipiren, wenn wir uns frei bewegen wollen.

Wir sind im Allgemeinen zu wenig heiter; wir können zu Zeiten ausgelassen
lustig sein, aber der Grundzug unsers Lebens ist jene Reflexion, die alle Un¬
befangenheit verkümmert. Wo unser Gemüth angeregt oder unsere Reflexion be¬
schäftigt wird, lassen wir uns Alles gefallen, jeder Spaß aber muß zergliedert
werden. Die Stücke, in denen Gnjzkow und Laube am meisten aus ihrer jung-
deutschen Richtung herausgegangen sind: Zopf und Schwert, Rococo, das Urbild
des Tartüffe, haben verhältnißmäßig wenig Eindruck gemacht; wo sie aber senti¬
mental oder „geistreich" sich gebärden, ist ihnen Alles erlaubt. Etwas mehr
Freiheit in der äußerlichen Combination, und etwas mehr Gründlichkeit und Ge¬
wissenhaftigkeit ans dein psychologischen Gebiet wird unserer Bühne nicht schaden.

Die Allegorie. Die Revolution hat den französischen Lustspieldichtern,
wie ihre ältere Vorgängerin, mehrfach zur Satyre Veranlassung gegeben, und der
Genius der modernen Romantik hat sich mit besonderer Vorliebe in der Aristopha--
Nischen Form Luft gemacht. Das heißt nichts Anderes, als daß die Charaktere
in Allegorien verflüchtigt sind, der Gang der Handlung durch Ueberspringen aus
einem Bild in das andere in ein zusammenhangloses Quodlibet aufgelöst ist, das
durch die eingestreuten prosaischen Parabasen und satyrische Couplets an poetischem
Gehalt nicht eben gewinnt. Bekanntlich hat diese Form bei uns durch Tieck
in den sogenannten gebildeten Kreisen Eingang gefunden. Es hat diese Kreise
höchlich befriedigt, ohne jene Anstrengung der Aufmerksamkeit, welche eine zu-
sammenhängende Handlung und ausgearbeitete Charaktere doch immer in Anspruch
nehmen, die einzelnen Sätze ihres ästhetischen und politischen Katechismus in
unmittelbarer Beziehung wiederzufinden, und sich über deu Pöbel, — d. h. die¬
jenigen, welche diese Ansichten nicht theilen — lustig zu machen, ohne die undank¬
bare Mühe, auf deu Inhalt ihrer Geguer einzugehen. Damals war die ziem¬
lich allgemein verbreitete Ansicht, dergleichen spirituelle Poesie sei nnr für die
Lectüre, was der Aristokratie der Theecirkel, denen es nicht gut genng war, mit
dem gemeinen Mann zusammen eine Bühne zu besuchen, in welcher ja doch seit
Fleck alle wahre Kunst untergegangen war, aus mehr als einem Grunde conve-
niren mußte. — Später, als die Romantik sich von realistischen Gelüsten anwan¬
deln ließ, hat Tieck freilich erklärt, er habe bei all' seinen Aristophanischen Komö¬
dien beständig die Bühne im Ange gehabt, und man hat mich in der That den
Versuch gemacht, wenigstens das eine oder das andere, z. B. den gestiefelten
Kater, aufzuführen. Trol; der Anwendung sehr bedeutender Kräfte ist dieser
Versuch als vollständig gescheitert anzusehen. — Seitdem hat sich Aristophanes
in die Vorstadttheater geflüchtet, und aus dem spirituellen Lesestück ist die Zanber-


Grenzbotett. III. 1850. 69
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[0033] zu besuchen; mau muß sich gleich gefaßt machen, die nothwendigen Vorbereitun¬ gen der Küche mit in den Kauf zu nehmen. Von diesen Gewohnheiten müssen wir uns wenigstens in der Poesie emancipiren, wenn wir uns frei bewegen wollen. Wir sind im Allgemeinen zu wenig heiter; wir können zu Zeiten ausgelassen lustig sein, aber der Grundzug unsers Lebens ist jene Reflexion, die alle Un¬ befangenheit verkümmert. Wo unser Gemüth angeregt oder unsere Reflexion be¬ schäftigt wird, lassen wir uns Alles gefallen, jeder Spaß aber muß zergliedert werden. Die Stücke, in denen Gnjzkow und Laube am meisten aus ihrer jung- deutschen Richtung herausgegangen sind: Zopf und Schwert, Rococo, das Urbild des Tartüffe, haben verhältnißmäßig wenig Eindruck gemacht; wo sie aber senti¬ mental oder „geistreich" sich gebärden, ist ihnen Alles erlaubt. Etwas mehr Freiheit in der äußerlichen Combination, und etwas mehr Gründlichkeit und Ge¬ wissenhaftigkeit ans dein psychologischen Gebiet wird unserer Bühne nicht schaden. Die Allegorie. Die Revolution hat den französischen Lustspieldichtern, wie ihre ältere Vorgängerin, mehrfach zur Satyre Veranlassung gegeben, und der Genius der modernen Romantik hat sich mit besonderer Vorliebe in der Aristopha-- Nischen Form Luft gemacht. Das heißt nichts Anderes, als daß die Charaktere in Allegorien verflüchtigt sind, der Gang der Handlung durch Ueberspringen aus einem Bild in das andere in ein zusammenhangloses Quodlibet aufgelöst ist, das durch die eingestreuten prosaischen Parabasen und satyrische Couplets an poetischem Gehalt nicht eben gewinnt. Bekanntlich hat diese Form bei uns durch Tieck in den sogenannten gebildeten Kreisen Eingang gefunden. Es hat diese Kreise höchlich befriedigt, ohne jene Anstrengung der Aufmerksamkeit, welche eine zu- sammenhängende Handlung und ausgearbeitete Charaktere doch immer in Anspruch nehmen, die einzelnen Sätze ihres ästhetischen und politischen Katechismus in unmittelbarer Beziehung wiederzufinden, und sich über deu Pöbel, — d. h. die¬ jenigen, welche diese Ansichten nicht theilen — lustig zu machen, ohne die undank¬ bare Mühe, auf deu Inhalt ihrer Geguer einzugehen. Damals war die ziem¬ lich allgemein verbreitete Ansicht, dergleichen spirituelle Poesie sei nnr für die Lectüre, was der Aristokratie der Theecirkel, denen es nicht gut genng war, mit dem gemeinen Mann zusammen eine Bühne zu besuchen, in welcher ja doch seit Fleck alle wahre Kunst untergegangen war, aus mehr als einem Grunde conve- niren mußte. — Später, als die Romantik sich von realistischen Gelüsten anwan¬ deln ließ, hat Tieck freilich erklärt, er habe bei all' seinen Aristophanischen Komö¬ dien beständig die Bühne im Ange gehabt, und man hat mich in der That den Versuch gemacht, wenigstens das eine oder das andere, z. B. den gestiefelten Kater, aufzuführen. Trol; der Anwendung sehr bedeutender Kräfte ist dieser Versuch als vollständig gescheitert anzusehen. — Seitdem hat sich Aristophanes in die Vorstadttheater geflüchtet, und aus dem spirituellen Lesestück ist die Zanber- Grenzbotett. III. 1850. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/33>, abgerufen am 22.07.2024.