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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Börne, Heine und das Judenthum unserer neuen
Literatur.

Der Rücksicht auf das Unrecht, welches der christliche Staat den Juden zu¬
gefügt hat, ist es zuzuschreiben, wenn in Besprechung der jüdischen Eigenthüm¬
lichkeiten seit den letzten Decennien auf ihrer Seite eine Empfindlichkeit, auf
unserer eine Sentimentalität herrschend geworden ist, bei der es fast scheinen
könnte, als seien die Juden noch immer das auserwählte Volk, und durch ein
besonderes Privilegium gegen alle die Angriffe geschützt, die sich jede andere
Nation gefallen lassen muß. Gegen die Deutschen haben Börne, Heine und
ihre Glaubensgenossen die ganze Scala von Schimpfworten angewendet, die
einem genialen Gemüth zu Gebote stehen, vom "Bedientenvolke" an bis zum
"Nachtstuhl", und gegen das Christenthum nicht minder; wagt man es aber, auf
den "ewigen Jndenschmerz" zu lästern, wagt man, zu bezweifeln, daß Shylock ein
Märtyrer war, so ringt die gesammte Literatur die Hände über den Mangel an
Aufklärung und Toleranz. Tadelt man die Eigenthümlichkeiten der jüdischen
Nation, so ist das ein Angriff ans die Glaubens- und Gewissensfreiheit; kritisirt
man die religiösen Gebräuche, so ist es ein Hohn gegen ein Märtyrervolk. Noch
neulich ist hier in Leipzig ein auffallendes Beispiel vorgekommen. In einer mu¬
sikalischen Zeitschrift war behauptet worden, die Juden hätten keinen rechten Sinn
für die Kunst, und die Manier, welche sie in die Musik eingeführt hätten, sei
alt der Kunst unverträglich. Die Behauptung war, wie alle sogenannten geist¬
reichen Paradoxien, so schief als möglich, denn Meyerbeer, Mendelssohn, Halevy
n. s. w. in eine Kategorie zu bringen, hat keinen Sinn, und überhaupt wird
wohl das Judenthum mit der Musik in keine andere Verbindung gesetzt werden
können, als etwa durch Anklänge an die in der Synagoge üblichen Weisen; aber
ähnliche falsche und einseitige Behauptungen sind in Bezug auf die Franzosen,
Italiener, auch aus die Deutschen hundertfältig aufgestellt worden: man hat sich
begnügt, sie zu widerlegen oder über sie zu lächeln, aber Niemandem ist es ein¬
gefallen, darin ein Aergerniß zu suchen, welches der öffentlichen Moral gegeben
sei. Die Sünde gegen deu heiligen Geist des Judenthums aber wurde mit einer
Entrüstung aufgenommen, daß man zum Wenigsten hätte vermuthen sollen, Christus
sei zum zweiten Mal an das Kreuz geschlagen, oder das Vaterland sei an die


Grenzvoten. IV. I8S0. 106
Börne, Heine und das Judenthum unserer neuen
Literatur.

Der Rücksicht auf das Unrecht, welches der christliche Staat den Juden zu¬
gefügt hat, ist es zuzuschreiben, wenn in Besprechung der jüdischen Eigenthüm¬
lichkeiten seit den letzten Decennien auf ihrer Seite eine Empfindlichkeit, auf
unserer eine Sentimentalität herrschend geworden ist, bei der es fast scheinen
könnte, als seien die Juden noch immer das auserwählte Volk, und durch ein
besonderes Privilegium gegen alle die Angriffe geschützt, die sich jede andere
Nation gefallen lassen muß. Gegen die Deutschen haben Börne, Heine und
ihre Glaubensgenossen die ganze Scala von Schimpfworten angewendet, die
einem genialen Gemüth zu Gebote stehen, vom „Bedientenvolke" an bis zum
„Nachtstuhl", und gegen das Christenthum nicht minder; wagt man es aber, auf
den „ewigen Jndenschmerz" zu lästern, wagt man, zu bezweifeln, daß Shylock ein
Märtyrer war, so ringt die gesammte Literatur die Hände über den Mangel an
Aufklärung und Toleranz. Tadelt man die Eigenthümlichkeiten der jüdischen
Nation, so ist das ein Angriff ans die Glaubens- und Gewissensfreiheit; kritisirt
man die religiösen Gebräuche, so ist es ein Hohn gegen ein Märtyrervolk. Noch
neulich ist hier in Leipzig ein auffallendes Beispiel vorgekommen. In einer mu¬
sikalischen Zeitschrift war behauptet worden, die Juden hätten keinen rechten Sinn
für die Kunst, und die Manier, welche sie in die Musik eingeführt hätten, sei
alt der Kunst unverträglich. Die Behauptung war, wie alle sogenannten geist¬
reichen Paradoxien, so schief als möglich, denn Meyerbeer, Mendelssohn, Halevy
n. s. w. in eine Kategorie zu bringen, hat keinen Sinn, und überhaupt wird
wohl das Judenthum mit der Musik in keine andere Verbindung gesetzt werden
können, als etwa durch Anklänge an die in der Synagoge üblichen Weisen; aber
ähnliche falsche und einseitige Behauptungen sind in Bezug auf die Franzosen,
Italiener, auch aus die Deutschen hundertfältig aufgestellt worden: man hat sich
begnügt, sie zu widerlegen oder über sie zu lächeln, aber Niemandem ist es ein¬
gefallen, darin ein Aergerniß zu suchen, welches der öffentlichen Moral gegeben
sei. Die Sünde gegen deu heiligen Geist des Judenthums aber wurde mit einer
Entrüstung aufgenommen, daß man zum Wenigsten hätte vermuthen sollen, Christus
sei zum zweiten Mal an das Kreuz geschlagen, oder das Vaterland sei an die


Grenzvoten. IV. I8S0. 106
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[0329] Börne, Heine und das Judenthum unserer neuen Literatur. Der Rücksicht auf das Unrecht, welches der christliche Staat den Juden zu¬ gefügt hat, ist es zuzuschreiben, wenn in Besprechung der jüdischen Eigenthüm¬ lichkeiten seit den letzten Decennien auf ihrer Seite eine Empfindlichkeit, auf unserer eine Sentimentalität herrschend geworden ist, bei der es fast scheinen könnte, als seien die Juden noch immer das auserwählte Volk, und durch ein besonderes Privilegium gegen alle die Angriffe geschützt, die sich jede andere Nation gefallen lassen muß. Gegen die Deutschen haben Börne, Heine und ihre Glaubensgenossen die ganze Scala von Schimpfworten angewendet, die einem genialen Gemüth zu Gebote stehen, vom „Bedientenvolke" an bis zum „Nachtstuhl", und gegen das Christenthum nicht minder; wagt man es aber, auf den „ewigen Jndenschmerz" zu lästern, wagt man, zu bezweifeln, daß Shylock ein Märtyrer war, so ringt die gesammte Literatur die Hände über den Mangel an Aufklärung und Toleranz. Tadelt man die Eigenthümlichkeiten der jüdischen Nation, so ist das ein Angriff ans die Glaubens- und Gewissensfreiheit; kritisirt man die religiösen Gebräuche, so ist es ein Hohn gegen ein Märtyrervolk. Noch neulich ist hier in Leipzig ein auffallendes Beispiel vorgekommen. In einer mu¬ sikalischen Zeitschrift war behauptet worden, die Juden hätten keinen rechten Sinn für die Kunst, und die Manier, welche sie in die Musik eingeführt hätten, sei alt der Kunst unverträglich. Die Behauptung war, wie alle sogenannten geist¬ reichen Paradoxien, so schief als möglich, denn Meyerbeer, Mendelssohn, Halevy n. s. w. in eine Kategorie zu bringen, hat keinen Sinn, und überhaupt wird wohl das Judenthum mit der Musik in keine andere Verbindung gesetzt werden können, als etwa durch Anklänge an die in der Synagoge üblichen Weisen; aber ähnliche falsche und einseitige Behauptungen sind in Bezug auf die Franzosen, Italiener, auch aus die Deutschen hundertfältig aufgestellt worden: man hat sich begnügt, sie zu widerlegen oder über sie zu lächeln, aber Niemandem ist es ein¬ gefallen, darin ein Aergerniß zu suchen, welches der öffentlichen Moral gegeben sei. Die Sünde gegen deu heiligen Geist des Judenthums aber wurde mit einer Entrüstung aufgenommen, daß man zum Wenigsten hätte vermuthen sollen, Christus sei zum zweiten Mal an das Kreuz geschlagen, oder das Vaterland sei an die Grenzvoten. IV. I8S0. 106

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/329>, abgerufen am 22.07.2024.