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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Aussicht sein, nach Art des frühern Verfahrens in den Zeiten der Völkerwanderung
sich jeder mit ein Paar Grafschaften in der Rheinprovinz belehren zu lassen, und
die darin befindlichen "Seelen" -- die Camphausen, Beckerath u. s. w. -- als
Leibeigene mitzubekommen, um sie gelegentlich peitschen zu können; die Aussicht
ist sehr verlockend; aber man fragt sich doch mit einiger Verwunderung: wie
ist mit einem Tadel des Ministeriums der Gedanke eines Abfalls an Frankreich ver¬
bunden? und wie stellen sich diese Männer Gottes die Wiedereinführung der Leib¬
eigenschaft im neunzehnten Jahrhundert vor?

Zwar kann ich die Aengstlichkeit nicht billigen, mit welcher einige liberale
Blätter den längst antiquirten Unterschied zwischen specifischem Preußenthum und
deutscher Gesinnung wieder hervorsuchen, denn in einem ernstlichen Krieg
Preußens gegen Oestreich fällt Beides zusammen; wer dann preußisch gesinnt, ist
auch deutsch gesinnt, und umgekehrt.

Wohl aber war jeder Preuße zu der Frage an seine Regierung berechtigt:
was ist es eigentlich, das durch diesen Krieg erreicht werden soll? Denn man
führt doch nicht den Krieg um des Krieges willen, wie mau sich auf der Univer¬
sität schlägt, sondern um etwas zu erreichen. Wenn man aber die Union und
Alles, was sich darau knüpft, aufgibt, wenn mau Holstein, Kassel, Baden im
Stich läßt, wofür will man eigentlich die Waffen ergreifen?

Die einzige Autwort, die mau darauf erhielt -- deun die renommistischen
Schmähungen ans die "Nheinbundfürsten", die "Zaunkönige", in einem Augen¬
blick, wo es aller Welt klar werden mußte, daß nicht in München, sondern in
Wien die Seele der Coalition gegen Preußen zu suchen wäre, die lächerlichen
Anklagen gegen die revolutionären Antecedentien der Minister Bach und Schmer¬
ling, von deuen angeblich die gut preußisch gefilmten Schwarzenberg, Radetzky
u. s. w. zum Kriege gezwungen oder verleitet werden sollten, das alles konnte
doch wohl uicht als Autwort gelten -- die einzige Antwort war: Nachdem wir
so große Concessionen gemacht, die Union aufgegeben, Nadowitz abgesetzt haben,
ist es höchst undelicat von unsern Gegnern, daß sie noch weitere, wenn anch ge¬
ringfügigere Concessionen fordern, namentlich das Zurückziehen unserer Truppen
ans der Schußlinie der Bundestags-Ezecutiou in Kassel, und unsere Ehre ver¬
langt, daß wir zum Kriege schreiten, ohne viel nach dem Zweck und Ziel desselben
zu fragen.

Nun ist es zwar ein sonderbares Verfahren, das Größere aufzugeben, und
um des Kleinern willen ein Spiel zu unternehmen, wo der Gewinn in keinem
Verhältniß zum Einsatz steht. Auch hätte man das Ministerium an die bekannten,
in jedem Verhältniß richtigen Worte des Grafen Arnim erinnern können, die
dieser in Beziehung auf die Revolution gebrauchte: man müsse sich Concessionen
nicht einzeln abdrängen lassen, sondern was man zugestehen wolle, schnell und
auf einmal zugestehen. Man konnte ferner die Negierung fragen, ob sie es deun


Aussicht sein, nach Art des frühern Verfahrens in den Zeiten der Völkerwanderung
sich jeder mit ein Paar Grafschaften in der Rheinprovinz belehren zu lassen, und
die darin befindlichen „Seelen" — die Camphausen, Beckerath u. s. w. — als
Leibeigene mitzubekommen, um sie gelegentlich peitschen zu können; die Aussicht
ist sehr verlockend; aber man fragt sich doch mit einiger Verwunderung: wie
ist mit einem Tadel des Ministeriums der Gedanke eines Abfalls an Frankreich ver¬
bunden? und wie stellen sich diese Männer Gottes die Wiedereinführung der Leib¬
eigenschaft im neunzehnten Jahrhundert vor?

Zwar kann ich die Aengstlichkeit nicht billigen, mit welcher einige liberale
Blätter den längst antiquirten Unterschied zwischen specifischem Preußenthum und
deutscher Gesinnung wieder hervorsuchen, denn in einem ernstlichen Krieg
Preußens gegen Oestreich fällt Beides zusammen; wer dann preußisch gesinnt, ist
auch deutsch gesinnt, und umgekehrt.

Wohl aber war jeder Preuße zu der Frage an seine Regierung berechtigt:
was ist es eigentlich, das durch diesen Krieg erreicht werden soll? Denn man
führt doch nicht den Krieg um des Krieges willen, wie mau sich auf der Univer¬
sität schlägt, sondern um etwas zu erreichen. Wenn man aber die Union und
Alles, was sich darau knüpft, aufgibt, wenn mau Holstein, Kassel, Baden im
Stich läßt, wofür will man eigentlich die Waffen ergreifen?

Die einzige Autwort, die mau darauf erhielt — deun die renommistischen
Schmähungen ans die „Nheinbundfürsten", die „Zaunkönige", in einem Augen¬
blick, wo es aller Welt klar werden mußte, daß nicht in München, sondern in
Wien die Seele der Coalition gegen Preußen zu suchen wäre, die lächerlichen
Anklagen gegen die revolutionären Antecedentien der Minister Bach und Schmer¬
ling, von deuen angeblich die gut preußisch gefilmten Schwarzenberg, Radetzky
u. s. w. zum Kriege gezwungen oder verleitet werden sollten, das alles konnte
doch wohl uicht als Autwort gelten — die einzige Antwort war: Nachdem wir
so große Concessionen gemacht, die Union aufgegeben, Nadowitz abgesetzt haben,
ist es höchst undelicat von unsern Gegnern, daß sie noch weitere, wenn anch ge¬
ringfügigere Concessionen fordern, namentlich das Zurückziehen unserer Truppen
ans der Schußlinie der Bundestags-Ezecutiou in Kassel, und unsere Ehre ver¬
langt, daß wir zum Kriege schreiten, ohne viel nach dem Zweck und Ziel desselben
zu fragen.

Nun ist es zwar ein sonderbares Verfahren, das Größere aufzugeben, und
um des Kleinern willen ein Spiel zu unternehmen, wo der Gewinn in keinem
Verhältniß zum Einsatz steht. Auch hätte man das Ministerium an die bekannten,
in jedem Verhältniß richtigen Worte des Grafen Arnim erinnern können, die
dieser in Beziehung auf die Revolution gebrauchte: man müsse sich Concessionen
nicht einzeln abdrängen lassen, sondern was man zugestehen wolle, schnell und
auf einmal zugestehen. Man konnte ferner die Negierung fragen, ob sie es deun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/316>, abgerufen am 22.07.2024.