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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Beurtheilung finden lassen, zumal in dem vorliegenden Falle eine Täuschung ihm
die Augen blendet. Diese Täuschung besteht in Gabe's Weise, zu instrnmentiren;
er übertrifft darin Schumann, ja selbst Mendelssohn, denn wenn dieser auch
feinere Effecte zu erzielen mußte, so zeichnet sich Gabe doch durch größere Mannig¬
faltigkeit und durch eiuen gewissen Pomp aus. Besonders diese letzte Eigenschaft
ist es, welche bis jetzt verführt hat, die so schön anögeschmückten Phrasen zu
überschätzen und in ihnen eiuen Sinn und eine Bedeutung zu suchen, die keines¬
wegs darin liegt. Die Enttäuschung hat übrigens bereits begonnen, wenigstens
haben die letzten Ausführungen der Ouvertüre in Oclur (No. 3) und der K-dm-
Sinfonie im Publicum hier und da Verwunderung hervorgerufen, wie man
jemals in so enthusiastischem Beisallsäußeruugeu sich habe ergehen können.
Die Ouvertüre in Oäur, offenbar in der Absicht entstanden, einen Pendant zu
Beethoven's ox. 124 zu geben, bestehtnnr in einem Aneinanderreihen einzelner kleiner
Sätzchen, ein wirklich ausgesprochenes Motiv bietet nur der Mittelsalz, und dessen
Kraft besteht mehr im Rhythmus, als in der Melodie. Diese Schwächen sind sorgsam
überdeckt durch eine pomphafte Jnstrumentation, dnrch einen Aufwand von
Orchestermitteln, in so übertriebenen Maaße angewendet, daß am Schlusse der¬
selben der Hörer kein anderes Gefühl übrig hat, als das der Uebersättigung.
Die kurze Recension eiues Musikers, der sie als Ouvertüre vor das Lustspiel
"Viel Lärm um Nichts" gestellt wissen wollte, ist zwar hart, aber fast wahr.

Die zweite Sinfonie in K leidet an denselben Fehlern, nur treten sie nicht
so offen heraus. Das Thema des ersten Satzes besteht aus dem zweiten Takte
der Schubert'schen Ocwr Sinfonie; es kehrt unaufhörlich wieder, wenn auch in
der Schreibweise und in der Jnstrumentation modificirt. Kunstreiche, contrapuuk-
tische Vcrwebuugeu und Combinationen fehlen in der Durchführung; lose neben
einander gestellte Reminiscenzen vermögen diese Mängel nicht zu ersetzen. In
diesem Werk zeigt sich am deutlichsten Gabe's genüge Neigung zu kunstreicher
Verarbeitung; er liebt das Großartige und Einfache, vermag es aber nur durch
deu Pomp der Jnstrumentation herzustellen. Der zweite und dritte Satz, Andante
und Scherzo, sind in ihren Motiven besser, der letzte Satz ist eine bloße Nach¬
ahmung aus der ersten Siufonie: nordische Volkslieder bilden seinen Hauptinhalt,
wirken aber hier weniger, weil sie nicht mehr so originell und nen erscheinen.
In der dritten Sinfonie in tritt das deutsche Element in den Vordergrund,
doch ist in ihrer Construction kein wesentlicher Fortschritt. Hervorzuheben siud
aus ihr der zweite Satz, Andante, und der dritte, ein Charakterstück in höherer
Tanzform, die Melodien mit wenig nordischen Anstriche, die Jnstrumentation voll
der feinsten und zartesten Schattirungen.

Gabe's Werke für Kammermusik bieten nach den bis jetzt besprochenen größern
Tonstücken keine besondere Veranlassung zu nähern Erörterungen; die frühern
schließen sich mehr der Periode an, welche sich ans seine Nationalität basirt, sein


Beurtheilung finden lassen, zumal in dem vorliegenden Falle eine Täuschung ihm
die Augen blendet. Diese Täuschung besteht in Gabe's Weise, zu instrnmentiren;
er übertrifft darin Schumann, ja selbst Mendelssohn, denn wenn dieser auch
feinere Effecte zu erzielen mußte, so zeichnet sich Gabe doch durch größere Mannig¬
faltigkeit und durch eiuen gewissen Pomp aus. Besonders diese letzte Eigenschaft
ist es, welche bis jetzt verführt hat, die so schön anögeschmückten Phrasen zu
überschätzen und in ihnen eiuen Sinn und eine Bedeutung zu suchen, die keines¬
wegs darin liegt. Die Enttäuschung hat übrigens bereits begonnen, wenigstens
haben die letzten Ausführungen der Ouvertüre in Oclur (No. 3) und der K-dm-
Sinfonie im Publicum hier und da Verwunderung hervorgerufen, wie man
jemals in so enthusiastischem Beisallsäußeruugeu sich habe ergehen können.
Die Ouvertüre in Oäur, offenbar in der Absicht entstanden, einen Pendant zu
Beethoven's ox. 124 zu geben, bestehtnnr in einem Aneinanderreihen einzelner kleiner
Sätzchen, ein wirklich ausgesprochenes Motiv bietet nur der Mittelsalz, und dessen
Kraft besteht mehr im Rhythmus, als in der Melodie. Diese Schwächen sind sorgsam
überdeckt durch eine pomphafte Jnstrumentation, dnrch einen Aufwand von
Orchestermitteln, in so übertriebenen Maaße angewendet, daß am Schlusse der¬
selben der Hörer kein anderes Gefühl übrig hat, als das der Uebersättigung.
Die kurze Recension eiues Musikers, der sie als Ouvertüre vor das Lustspiel
„Viel Lärm um Nichts" gestellt wissen wollte, ist zwar hart, aber fast wahr.

Die zweite Sinfonie in K leidet an denselben Fehlern, nur treten sie nicht
so offen heraus. Das Thema des ersten Satzes besteht aus dem zweiten Takte
der Schubert'schen Ocwr Sinfonie; es kehrt unaufhörlich wieder, wenn auch in
der Schreibweise und in der Jnstrumentation modificirt. Kunstreiche, contrapuuk-
tische Vcrwebuugeu und Combinationen fehlen in der Durchführung; lose neben
einander gestellte Reminiscenzen vermögen diese Mängel nicht zu ersetzen. In
diesem Werk zeigt sich am deutlichsten Gabe's genüge Neigung zu kunstreicher
Verarbeitung; er liebt das Großartige und Einfache, vermag es aber nur durch
deu Pomp der Jnstrumentation herzustellen. Der zweite und dritte Satz, Andante
und Scherzo, sind in ihren Motiven besser, der letzte Satz ist eine bloße Nach¬
ahmung aus der ersten Siufonie: nordische Volkslieder bilden seinen Hauptinhalt,
wirken aber hier weniger, weil sie nicht mehr so originell und nen erscheinen.
In der dritten Sinfonie in tritt das deutsche Element in den Vordergrund,
doch ist in ihrer Construction kein wesentlicher Fortschritt. Hervorzuheben siud
aus ihr der zweite Satz, Andante, und der dritte, ein Charakterstück in höherer
Tanzform, die Melodien mit wenig nordischen Anstriche, die Jnstrumentation voll
der feinsten und zartesten Schattirungen.

Gabe's Werke für Kammermusik bieten nach den bis jetzt besprochenen größern
Tonstücken keine besondere Veranlassung zu nähern Erörterungen; die frühern
schließen sich mehr der Periode an, welche sich ans seine Nationalität basirt, sein


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[0303] Beurtheilung finden lassen, zumal in dem vorliegenden Falle eine Täuschung ihm die Augen blendet. Diese Täuschung besteht in Gabe's Weise, zu instrnmentiren; er übertrifft darin Schumann, ja selbst Mendelssohn, denn wenn dieser auch feinere Effecte zu erzielen mußte, so zeichnet sich Gabe doch durch größere Mannig¬ faltigkeit und durch eiuen gewissen Pomp aus. Besonders diese letzte Eigenschaft ist es, welche bis jetzt verführt hat, die so schön anögeschmückten Phrasen zu überschätzen und in ihnen eiuen Sinn und eine Bedeutung zu suchen, die keines¬ wegs darin liegt. Die Enttäuschung hat übrigens bereits begonnen, wenigstens haben die letzten Ausführungen der Ouvertüre in Oclur (No. 3) und der K-dm- Sinfonie im Publicum hier und da Verwunderung hervorgerufen, wie man jemals in so enthusiastischem Beisallsäußeruugeu sich habe ergehen können. Die Ouvertüre in Oäur, offenbar in der Absicht entstanden, einen Pendant zu Beethoven's ox. 124 zu geben, bestehtnnr in einem Aneinanderreihen einzelner kleiner Sätzchen, ein wirklich ausgesprochenes Motiv bietet nur der Mittelsalz, und dessen Kraft besteht mehr im Rhythmus, als in der Melodie. Diese Schwächen sind sorgsam überdeckt durch eine pomphafte Jnstrumentation, dnrch einen Aufwand von Orchestermitteln, in so übertriebenen Maaße angewendet, daß am Schlusse der¬ selben der Hörer kein anderes Gefühl übrig hat, als das der Uebersättigung. Die kurze Recension eiues Musikers, der sie als Ouvertüre vor das Lustspiel „Viel Lärm um Nichts" gestellt wissen wollte, ist zwar hart, aber fast wahr. Die zweite Sinfonie in K leidet an denselben Fehlern, nur treten sie nicht so offen heraus. Das Thema des ersten Satzes besteht aus dem zweiten Takte der Schubert'schen Ocwr Sinfonie; es kehrt unaufhörlich wieder, wenn auch in der Schreibweise und in der Jnstrumentation modificirt. Kunstreiche, contrapuuk- tische Vcrwebuugeu und Combinationen fehlen in der Durchführung; lose neben einander gestellte Reminiscenzen vermögen diese Mängel nicht zu ersetzen. In diesem Werk zeigt sich am deutlichsten Gabe's genüge Neigung zu kunstreicher Verarbeitung; er liebt das Großartige und Einfache, vermag es aber nur durch deu Pomp der Jnstrumentation herzustellen. Der zweite und dritte Satz, Andante und Scherzo, sind in ihren Motiven besser, der letzte Satz ist eine bloße Nach¬ ahmung aus der ersten Siufonie: nordische Volkslieder bilden seinen Hauptinhalt, wirken aber hier weniger, weil sie nicht mehr so originell und nen erscheinen. In der dritten Sinfonie in tritt das deutsche Element in den Vordergrund, doch ist in ihrer Construction kein wesentlicher Fortschritt. Hervorzuheben siud aus ihr der zweite Satz, Andante, und der dritte, ein Charakterstück in höherer Tanzform, die Melodien mit wenig nordischen Anstriche, die Jnstrumentation voll der feinsten und zartesten Schattirungen. Gabe's Werke für Kammermusik bieten nach den bis jetzt besprochenen größern Tonstücken keine besondere Veranlassung zu nähern Erörterungen; die frühern schließen sich mehr der Periode an, welche sich ans seine Nationalität basirt, sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/303>, abgerufen am 22.07.2024.