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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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nicht unwahrscheinlich, daß Gabe von ihr den Anlaß zu seiner Schöpfung ge¬
nommen, wie überhaupt jener Komponist vielfach, sowohl fördernd als hemmend,
in die Thätigkeit Gabe's eingreift. Der Unterschied zwischen beiden Werken ist
leicht zu finden, er ist der schon oben angedeutete zwischen der deutschen und nor¬
dischen Musik: Mendelssohn's Motive sind glänzender und freier, zu kunstreichen
Verwebung geschickter, zu reicher Harmonisirung verwendbarer.

Die erste Symphonie in Omoll vertritt den specifischen ScandinavismnS
und stellt denselben so urkräftig dar, daß sein Erscheinen beinahe die Empfindung
des Schreckens in dem Zuhörer erregt, der nicht darauf gefaßt war, so plötzlich
in eine ganz andere Art, zu denken und zu fühlen, hineinversetzt zu werden. Es
ist deshalb leicht erklärlich, daß das Concertpublicnm vieler Orte sich mit dieser
Komposition durchaus nicht einverstanden erklären wollte, und daß die bittersten,
absprechendsten Urtheile laut wurden. Ein Cölner Kritiker spricht "von einer
Masse lächerlichen, gesuchten und breitgetretenen Zeuges", daß besonders ,,das
Finale ein ekelhaft betäubendes Blechgetöse mache". Diese übertriebenen,
aus Opposition entspringenden Ausdrücke enthalten einiges Wahre. Der
Kritiker wußte sich in das Abweichende der Gabe'schen Motive nicht hinein¬
zufinden; was er lächerlich und gesucht nennt, ist nur fremdartig, aber
schwerer in die Wagschaale fällt der Vorwurf, daß der Komponist Unbedeutendes
zu breit trete. Die Sinfonie leidet allerdings in ihrem ersten und letzten Satze
an mancherlei lästig fallenden Längen, die um so mehr ermüden, als nicht immer
vollständig ausgesprochene Motive in verschiedener BeHandlungsweise wiederkehren,
sondern kurze, willkürlich herbeigeholte Phrasen, deren eine die andere verdrängt,
die in ihrer Zusammenstellung keine Beruhigung, keinen vollständigen Sinn ge¬
währen. In den beiden andern Sinfonien tritt dieser Uebelstand noch mehr hervor,
und es wird später noch einmal die Rede davon sein. Andere Fehler darf man
mit Recht dieser Siufouie uicht nachsagen, denn auch das augefeiudete Blechgetöse
ist weder so übermäßig, daß man es verhöhnen darf, noch ist es so nnmotwirt
für den, welcher Verstand genug besitzt, die Absichten des Tondichters zu begreifen.
Der letzte Satz der Sinfonie ist besonders stark instrnmentirt; die alten felsen¬
herzigen, trotzigen Helden des Nordens dürfen mit Recht ein wenig lant reden,
zumal sie uicht von Liebe girren, sondern einen Schlachthymnus anstimmen; es
ist so etwas wie Berserkerwuth in ihnen und diese läßt sich keine Zügel anlegen.
Der erste und zweite Satz der Sinfonie sind milder gehalten, doch weichen sie
nicht von dem Charakter des letzten Satzes ab und dürfen als richtige Vorbereitung
zu dem Finale angesehen werden. Der erste ist an Motiven arm, und die wenigen,
welche hervortreten, sind kalt und starr, die Jnstrumentation allein trägt einiges
Leben hinein und bietet eine Entschädigung für die Magerkeit der Gedanken. Das
Scherzo hat lebendige, rhythmische Motive und zeichnet sich in der Jnstrumentation
noch mehr ans, als der erste Satz, in ihm liegt das am meisten Bestechende des


nicht unwahrscheinlich, daß Gabe von ihr den Anlaß zu seiner Schöpfung ge¬
nommen, wie überhaupt jener Komponist vielfach, sowohl fördernd als hemmend,
in die Thätigkeit Gabe's eingreift. Der Unterschied zwischen beiden Werken ist
leicht zu finden, er ist der schon oben angedeutete zwischen der deutschen und nor¬
dischen Musik: Mendelssohn's Motive sind glänzender und freier, zu kunstreichen
Verwebung geschickter, zu reicher Harmonisirung verwendbarer.

Die erste Symphonie in Omoll vertritt den specifischen ScandinavismnS
und stellt denselben so urkräftig dar, daß sein Erscheinen beinahe die Empfindung
des Schreckens in dem Zuhörer erregt, der nicht darauf gefaßt war, so plötzlich
in eine ganz andere Art, zu denken und zu fühlen, hineinversetzt zu werden. Es
ist deshalb leicht erklärlich, daß das Concertpublicnm vieler Orte sich mit dieser
Komposition durchaus nicht einverstanden erklären wollte, und daß die bittersten,
absprechendsten Urtheile laut wurden. Ein Cölner Kritiker spricht „von einer
Masse lächerlichen, gesuchten und breitgetretenen Zeuges", daß besonders ,,das
Finale ein ekelhaft betäubendes Blechgetöse mache". Diese übertriebenen,
aus Opposition entspringenden Ausdrücke enthalten einiges Wahre. Der
Kritiker wußte sich in das Abweichende der Gabe'schen Motive nicht hinein¬
zufinden; was er lächerlich und gesucht nennt, ist nur fremdartig, aber
schwerer in die Wagschaale fällt der Vorwurf, daß der Komponist Unbedeutendes
zu breit trete. Die Sinfonie leidet allerdings in ihrem ersten und letzten Satze
an mancherlei lästig fallenden Längen, die um so mehr ermüden, als nicht immer
vollständig ausgesprochene Motive in verschiedener BeHandlungsweise wiederkehren,
sondern kurze, willkürlich herbeigeholte Phrasen, deren eine die andere verdrängt,
die in ihrer Zusammenstellung keine Beruhigung, keinen vollständigen Sinn ge¬
währen. In den beiden andern Sinfonien tritt dieser Uebelstand noch mehr hervor,
und es wird später noch einmal die Rede davon sein. Andere Fehler darf man
mit Recht dieser Siufouie uicht nachsagen, denn auch das augefeiudete Blechgetöse
ist weder so übermäßig, daß man es verhöhnen darf, noch ist es so nnmotwirt
für den, welcher Verstand genug besitzt, die Absichten des Tondichters zu begreifen.
Der letzte Satz der Sinfonie ist besonders stark instrnmentirt; die alten felsen¬
herzigen, trotzigen Helden des Nordens dürfen mit Recht ein wenig lant reden,
zumal sie uicht von Liebe girren, sondern einen Schlachthymnus anstimmen; es
ist so etwas wie Berserkerwuth in ihnen und diese läßt sich keine Zügel anlegen.
Der erste und zweite Satz der Sinfonie sind milder gehalten, doch weichen sie
nicht von dem Charakter des letzten Satzes ab und dürfen als richtige Vorbereitung
zu dem Finale angesehen werden. Der erste ist an Motiven arm, und die wenigen,
welche hervortreten, sind kalt und starr, die Jnstrumentation allein trägt einiges
Leben hinein und bietet eine Entschädigung für die Magerkeit der Gedanken. Das
Scherzo hat lebendige, rhythmische Motive und zeichnet sich in der Jnstrumentation
noch mehr ans, als der erste Satz, in ihm liegt das am meisten Bestechende des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/301>, abgerufen am 22.07.2024.