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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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-- Ein Vorbild können sie uns dennoch nicht mehr sein. Die poetische Expli-
cation eines Gedankcngangs ist immer ein Luxus, der dem eigentlichen Beruf der
lyrischen Poesie, Empfindungen zu gestalten, nicht entspricht; die geringe Popula¬
rität jener Gedichte bethätigt es durch den Erfolg. --

Ich komme auf den Hauptpunkt, auf die Dramen. -- Bekanntlich gehörte es
eine Zeitlang zum guten Ton, Schiller's dramatisches Talent gegen Göthe herab¬
zusetzen. Um ein richtiges Urtheil darüber zu gewinnen, muß man die Stücke
nicht lesen, sondern sehen. -- Beide Dichter haben darin gewetteifert, uudrama-
tische Stosse zu behandeln. Fast möchte ich Schiller darin den Preis zuerkennen.
Zwar sträubt sich Götz, Egmont, Tasso,' die natürliche Tochter, so sehr als möglich
gegen eine dramatische Darstellung, aber z. B. die letzten Acte von Maria Stuart
und Wilhelm Tel! übertreffen sie darin weit. Jeder andere Dichter wäre damit
gefallen, denn es ist gar keine Spur von Spannung mehr darin. Und Schiller
versteht doch noch, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, das Interesse rege
zu erhalten.

Schiller's dramatisches Talent im Einzelnen zu analysiren, reicht hier der
Raum uicht aus; ich will uur ans Einzelnes aufmerksam machen. -- Kein Dichter
versteht so gut, den poetischen Grundton zu treffen, der für die Stimmung des
Ganzen paßt -- gleichsam das Klima, in dem diese bestimmte Pflanze gedeiht.
Im gauzen Tell glauben wir Alpenluft zu athmen. Und Schiller hat nie die
Schweiz gesehen. Ich meine nicht blos die glänzende Loealfarbe in der Einleitung,
der Nütlisceue, dem Schluß, sondern die Art und Weise, wie diese tüchtigen,
aber schwer in Bewegung zu setzenden Bauern mit einander verkehren, wie sie
denken und empfinden. -- Der militärische Geist in Wallenstein ist unnachahmlich
schön wiedergegeben; das Lager, die Zusammenkunft der Generale im 1. Act
(welcher andere Dichter könnte dergleichen poetisch beleben!), das Banquet, die
Deputation der Kürassiere; dazu der leise, aber höchst wohlthuende Humor, mit
dem die einzelnen Nebenfiguren sich abschattireu, z. B. Illo, Jsolan, der Keller¬
meister, und über dies bunte, kriegerische Getümmel anfangs unmerklich, dann
immer deutlicher hervortretend, ein düsterer Nebel verbreitet, der uus zum tragi¬
schen Ausgang stimmt. -- Wie verschieden davon, und wieder wie angemessen
zum Stoff der unheimliche, etwas schwärmerische Ton in der Braut von Messina.

Eine zweite Seite ist die Fähigkeit, scheinbar ganz äußerliche Thatsachen,
Erzählungen, Verhandlungen mit der Seele der betheiligten Personen in Ver¬
hältniß, und dadurch in Bewegung zu setzen. Die Erzählung des schwedischen
Hauptmanns, die Unterhandlung Wallensteins mit Wrangel, der Jungfrau mit
Burgund, der Königin Elisabeth mit ihren Räthen, ja Philipp's mit dem Gro߬
inquisitor (eine Scene, die man lächerlicher Weise ausläßt, da in ihr die Pointe
des Stücks liegt) gehören dahin. Trotz seiner geringen Bühnenkenntniß, die ihn


— Ein Vorbild können sie uns dennoch nicht mehr sein. Die poetische Expli-
cation eines Gedankcngangs ist immer ein Luxus, der dem eigentlichen Beruf der
lyrischen Poesie, Empfindungen zu gestalten, nicht entspricht; die geringe Popula¬
rität jener Gedichte bethätigt es durch den Erfolg. —

Ich komme auf den Hauptpunkt, auf die Dramen. — Bekanntlich gehörte es
eine Zeitlang zum guten Ton, Schiller's dramatisches Talent gegen Göthe herab¬
zusetzen. Um ein richtiges Urtheil darüber zu gewinnen, muß man die Stücke
nicht lesen, sondern sehen. — Beide Dichter haben darin gewetteifert, uudrama-
tische Stosse zu behandeln. Fast möchte ich Schiller darin den Preis zuerkennen.
Zwar sträubt sich Götz, Egmont, Tasso,' die natürliche Tochter, so sehr als möglich
gegen eine dramatische Darstellung, aber z. B. die letzten Acte von Maria Stuart
und Wilhelm Tel! übertreffen sie darin weit. Jeder andere Dichter wäre damit
gefallen, denn es ist gar keine Spur von Spannung mehr darin. Und Schiller
versteht doch noch, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, das Interesse rege
zu erhalten.

Schiller's dramatisches Talent im Einzelnen zu analysiren, reicht hier der
Raum uicht aus; ich will uur ans Einzelnes aufmerksam machen. — Kein Dichter
versteht so gut, den poetischen Grundton zu treffen, der für die Stimmung des
Ganzen paßt — gleichsam das Klima, in dem diese bestimmte Pflanze gedeiht.
Im gauzen Tell glauben wir Alpenluft zu athmen. Und Schiller hat nie die
Schweiz gesehen. Ich meine nicht blos die glänzende Loealfarbe in der Einleitung,
der Nütlisceue, dem Schluß, sondern die Art und Weise, wie diese tüchtigen,
aber schwer in Bewegung zu setzenden Bauern mit einander verkehren, wie sie
denken und empfinden. — Der militärische Geist in Wallenstein ist unnachahmlich
schön wiedergegeben; das Lager, die Zusammenkunft der Generale im 1. Act
(welcher andere Dichter könnte dergleichen poetisch beleben!), das Banquet, die
Deputation der Kürassiere; dazu der leise, aber höchst wohlthuende Humor, mit
dem die einzelnen Nebenfiguren sich abschattireu, z. B. Illo, Jsolan, der Keller¬
meister, und über dies bunte, kriegerische Getümmel anfangs unmerklich, dann
immer deutlicher hervortretend, ein düsterer Nebel verbreitet, der uus zum tragi¬
schen Ausgang stimmt. — Wie verschieden davon, und wieder wie angemessen
zum Stoff der unheimliche, etwas schwärmerische Ton in der Braut von Messina.

Eine zweite Seite ist die Fähigkeit, scheinbar ganz äußerliche Thatsachen,
Erzählungen, Verhandlungen mit der Seele der betheiligten Personen in Ver¬
hältniß, und dadurch in Bewegung zu setzen. Die Erzählung des schwedischen
Hauptmanns, die Unterhandlung Wallensteins mit Wrangel, der Jungfrau mit
Burgund, der Königin Elisabeth mit ihren Räthen, ja Philipp's mit dem Gro߬
inquisitor (eine Scene, die man lächerlicher Weise ausläßt, da in ihr die Pointe
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[0295] — Ein Vorbild können sie uns dennoch nicht mehr sein. Die poetische Expli- cation eines Gedankcngangs ist immer ein Luxus, der dem eigentlichen Beruf der lyrischen Poesie, Empfindungen zu gestalten, nicht entspricht; die geringe Popula¬ rität jener Gedichte bethätigt es durch den Erfolg. — Ich komme auf den Hauptpunkt, auf die Dramen. — Bekanntlich gehörte es eine Zeitlang zum guten Ton, Schiller's dramatisches Talent gegen Göthe herab¬ zusetzen. Um ein richtiges Urtheil darüber zu gewinnen, muß man die Stücke nicht lesen, sondern sehen. — Beide Dichter haben darin gewetteifert, uudrama- tische Stosse zu behandeln. Fast möchte ich Schiller darin den Preis zuerkennen. Zwar sträubt sich Götz, Egmont, Tasso,' die natürliche Tochter, so sehr als möglich gegen eine dramatische Darstellung, aber z. B. die letzten Acte von Maria Stuart und Wilhelm Tel! übertreffen sie darin weit. Jeder andere Dichter wäre damit gefallen, denn es ist gar keine Spur von Spannung mehr darin. Und Schiller versteht doch noch, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, das Interesse rege zu erhalten. Schiller's dramatisches Talent im Einzelnen zu analysiren, reicht hier der Raum uicht aus; ich will uur ans Einzelnes aufmerksam machen. — Kein Dichter versteht so gut, den poetischen Grundton zu treffen, der für die Stimmung des Ganzen paßt — gleichsam das Klima, in dem diese bestimmte Pflanze gedeiht. Im gauzen Tell glauben wir Alpenluft zu athmen. Und Schiller hat nie die Schweiz gesehen. Ich meine nicht blos die glänzende Loealfarbe in der Einleitung, der Nütlisceue, dem Schluß, sondern die Art und Weise, wie diese tüchtigen, aber schwer in Bewegung zu setzenden Bauern mit einander verkehren, wie sie denken und empfinden. — Der militärische Geist in Wallenstein ist unnachahmlich schön wiedergegeben; das Lager, die Zusammenkunft der Generale im 1. Act (welcher andere Dichter könnte dergleichen poetisch beleben!), das Banquet, die Deputation der Kürassiere; dazu der leise, aber höchst wohlthuende Humor, mit dem die einzelnen Nebenfiguren sich abschattireu, z. B. Illo, Jsolan, der Keller¬ meister, und über dies bunte, kriegerische Getümmel anfangs unmerklich, dann immer deutlicher hervortretend, ein düsterer Nebel verbreitet, der uus zum tragi¬ schen Ausgang stimmt. — Wie verschieden davon, und wieder wie angemessen zum Stoff der unheimliche, etwas schwärmerische Ton in der Braut von Messina. Eine zweite Seite ist die Fähigkeit, scheinbar ganz äußerliche Thatsachen, Erzählungen, Verhandlungen mit der Seele der betheiligten Personen in Ver¬ hältniß, und dadurch in Bewegung zu setzen. Die Erzählung des schwedischen Hauptmanns, die Unterhandlung Wallensteins mit Wrangel, der Jungfrau mit Burgund, der Königin Elisabeth mit ihren Räthen, ja Philipp's mit dem Gro߬ inquisitor (eine Scene, die man lächerlicher Weise ausläßt, da in ihr die Pointe des Stücks liegt) gehören dahin. Trotz seiner geringen Bühnenkenntniß, die ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/295>, abgerufen am 22.07.2024.