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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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eines jeden Edelmanns, seiner Bedürfnisse, seines Einkommens, seiner Zahlungs¬
fähigkeit und seines Charakters; darnach behandeln sie einen jeden von ihnen;
denn sie wissen seinen Stand vielleicht besser als er selbst und irren sich selten
über seine Zukunft, die in vielen Dingen von ihnen abhängig ist. Es geschieht
demnach gewöhnlich, daß sie den übermüthigen Hochmuth und die wegwerfende
Verachtung, womit ihnen, wenn man sie nicht braucht, begegnet wird, mit einer
raffinirten Vergeltung entgegnen, wenn sie merken, daß man sich ohne sie nicht
begehen kaun. -- Beleidigt ein Edelmann einen Juden, das ist aber dahin zu
verstehen, daß er ihn an seinem Gewinne hindert, so trägt dieser seiue Klage an
deu Rabbiner, welcher, wenn diese That vou ernsterer Natur ist, oder deu Cha¬
rakter des Allgemeinen an sich trägt, einen Bannfluch in der Synagoge gegen
deu Thäter schleudert. Wie solche Aussprüche der Rabbiner vou allen Juden
gewissenhaft befolgt werden, so hat er zur Folge, daß kein Jude mehr etwas von
einem solchen Edelmanne kauft, mit ihm kein Geschäft eingeht und ihm überall,
wo es geschehen kauu, schadet. Es bleibt demnach nichts Anderes übrig, als sich
zu sühnen, wenn mau einem unvermeidlichen Ruin entgehen will. Die Sühne
besteht in einem ansehnlichen Geldopfer für die Synagoge zum Besten der armen
Judenschaft und in eiuer reichlichen Entschädigung des Beschädigtem. Aber um
zu dieser Sühne gelangen zu können, muß man sich erniedrigende Bitten und
einen oft sehr verletzenden Hochmuth vou Seiten des Beschädigtem und des
Rabbiners gefallen lassen, ja sich durch eine längere Zeit solchem Verfahren
unterwerfen." -- So ist es freilich möglich, daß derselbe Hausherr, der uicht weiß,
wie er ein paar Tage darauf seiue dringendste. Schuld bezahlen soll, ein edles
arabisches Roß aus seinem Gestüt, das die Aufmerksamkeit des Reisenden erregt,
ihm ohne Weiteres als Geschenk aufdrängt. Dieser wird übrigens, da die Ein¬
ladungen 14 Tage hindurch ununterbrochen ans einander folgen, von der Liebens¬
würdigkeit der schönen Poliuueu zuletzt so berauscht, daß sein Freund ihn mit
Gewalt fortreißen muß, die Erzählungen eines deutscheu Dieners kühlen ihn
wieder ab. -- ,,Sie können sich keinen Begriff vou dem Treiben machen, das in
diesen Edelhöfeu, anßer den herrschaftlichen Zimmern, stattfindet. Da gibt es
weder Ordnung uoch Sinu dafür, Jeder befiehlt und stößt deu Andern, statt seiner
die Arbeit zu verrichten, ein ewiges Zanken und Flüchen, ein so verworrenes
Durcheinander, daß man sich ordentlich verwundern muß, daß doch etwas dabei
herauskommt. Nichts hat seine bestimmte ordentliche Stelle, man stellt oder
wirst die Dinge, ohne Rücksicht auf ihren Werth oder Eigenschaft'', bald hier
bald dort hin, je nach Lanne oder wo man sich gerade befindet; braucht man es
wieder, hat es des Suchens kein Eude, und das ganze Haus wird oft der
geringfügigsten Sache wegen in Alarm gesetzt, wobei die Leidenschaftlichkeit eines
Jeden sich durch Püffe und allerhand Anschuldigungen Luft macht, und oft zu den
lächerlichsten, aber auch zu deu empörendsten Scenen Veranlassung gibt. Die


eines jeden Edelmanns, seiner Bedürfnisse, seines Einkommens, seiner Zahlungs¬
fähigkeit und seines Charakters; darnach behandeln sie einen jeden von ihnen;
denn sie wissen seinen Stand vielleicht besser als er selbst und irren sich selten
über seine Zukunft, die in vielen Dingen von ihnen abhängig ist. Es geschieht
demnach gewöhnlich, daß sie den übermüthigen Hochmuth und die wegwerfende
Verachtung, womit ihnen, wenn man sie nicht braucht, begegnet wird, mit einer
raffinirten Vergeltung entgegnen, wenn sie merken, daß man sich ohne sie nicht
begehen kaun. — Beleidigt ein Edelmann einen Juden, das ist aber dahin zu
verstehen, daß er ihn an seinem Gewinne hindert, so trägt dieser seiue Klage an
deu Rabbiner, welcher, wenn diese That vou ernsterer Natur ist, oder deu Cha¬
rakter des Allgemeinen an sich trägt, einen Bannfluch in der Synagoge gegen
deu Thäter schleudert. Wie solche Aussprüche der Rabbiner vou allen Juden
gewissenhaft befolgt werden, so hat er zur Folge, daß kein Jude mehr etwas von
einem solchen Edelmanne kauft, mit ihm kein Geschäft eingeht und ihm überall,
wo es geschehen kauu, schadet. Es bleibt demnach nichts Anderes übrig, als sich
zu sühnen, wenn mau einem unvermeidlichen Ruin entgehen will. Die Sühne
besteht in einem ansehnlichen Geldopfer für die Synagoge zum Besten der armen
Judenschaft und in eiuer reichlichen Entschädigung des Beschädigtem. Aber um
zu dieser Sühne gelangen zu können, muß man sich erniedrigende Bitten und
einen oft sehr verletzenden Hochmuth vou Seiten des Beschädigtem und des
Rabbiners gefallen lassen, ja sich durch eine längere Zeit solchem Verfahren
unterwerfen." — So ist es freilich möglich, daß derselbe Hausherr, der uicht weiß,
wie er ein paar Tage darauf seiue dringendste. Schuld bezahlen soll, ein edles
arabisches Roß aus seinem Gestüt, das die Aufmerksamkeit des Reisenden erregt,
ihm ohne Weiteres als Geschenk aufdrängt. Dieser wird übrigens, da die Ein¬
ladungen 14 Tage hindurch ununterbrochen ans einander folgen, von der Liebens¬
würdigkeit der schönen Poliuueu zuletzt so berauscht, daß sein Freund ihn mit
Gewalt fortreißen muß, die Erzählungen eines deutscheu Dieners kühlen ihn
wieder ab. — ,,Sie können sich keinen Begriff vou dem Treiben machen, das in
diesen Edelhöfeu, anßer den herrschaftlichen Zimmern, stattfindet. Da gibt es
weder Ordnung uoch Sinu dafür, Jeder befiehlt und stößt deu Andern, statt seiner
die Arbeit zu verrichten, ein ewiges Zanken und Flüchen, ein so verworrenes
Durcheinander, daß man sich ordentlich verwundern muß, daß doch etwas dabei
herauskommt. Nichts hat seine bestimmte ordentliche Stelle, man stellt oder
wirst die Dinge, ohne Rücksicht auf ihren Werth oder Eigenschaft'', bald hier
bald dort hin, je nach Lanne oder wo man sich gerade befindet; braucht man es
wieder, hat es des Suchens kein Eude, und das ganze Haus wird oft der
geringfügigsten Sache wegen in Alarm gesetzt, wobei die Leidenschaftlichkeit eines
Jeden sich durch Püffe und allerhand Anschuldigungen Luft macht, und oft zu den
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[0278] eines jeden Edelmanns, seiner Bedürfnisse, seines Einkommens, seiner Zahlungs¬ fähigkeit und seines Charakters; darnach behandeln sie einen jeden von ihnen; denn sie wissen seinen Stand vielleicht besser als er selbst und irren sich selten über seine Zukunft, die in vielen Dingen von ihnen abhängig ist. Es geschieht demnach gewöhnlich, daß sie den übermüthigen Hochmuth und die wegwerfende Verachtung, womit ihnen, wenn man sie nicht braucht, begegnet wird, mit einer raffinirten Vergeltung entgegnen, wenn sie merken, daß man sich ohne sie nicht begehen kaun. — Beleidigt ein Edelmann einen Juden, das ist aber dahin zu verstehen, daß er ihn an seinem Gewinne hindert, so trägt dieser seiue Klage an deu Rabbiner, welcher, wenn diese That vou ernsterer Natur ist, oder deu Cha¬ rakter des Allgemeinen an sich trägt, einen Bannfluch in der Synagoge gegen deu Thäter schleudert. Wie solche Aussprüche der Rabbiner vou allen Juden gewissenhaft befolgt werden, so hat er zur Folge, daß kein Jude mehr etwas von einem solchen Edelmanne kauft, mit ihm kein Geschäft eingeht und ihm überall, wo es geschehen kauu, schadet. Es bleibt demnach nichts Anderes übrig, als sich zu sühnen, wenn mau einem unvermeidlichen Ruin entgehen will. Die Sühne besteht in einem ansehnlichen Geldopfer für die Synagoge zum Besten der armen Judenschaft und in eiuer reichlichen Entschädigung des Beschädigtem. Aber um zu dieser Sühne gelangen zu können, muß man sich erniedrigende Bitten und einen oft sehr verletzenden Hochmuth vou Seiten des Beschädigtem und des Rabbiners gefallen lassen, ja sich durch eine längere Zeit solchem Verfahren unterwerfen." — So ist es freilich möglich, daß derselbe Hausherr, der uicht weiß, wie er ein paar Tage darauf seiue dringendste. Schuld bezahlen soll, ein edles arabisches Roß aus seinem Gestüt, das die Aufmerksamkeit des Reisenden erregt, ihm ohne Weiteres als Geschenk aufdrängt. Dieser wird übrigens, da die Ein¬ ladungen 14 Tage hindurch ununterbrochen ans einander folgen, von der Liebens¬ würdigkeit der schönen Poliuueu zuletzt so berauscht, daß sein Freund ihn mit Gewalt fortreißen muß, die Erzählungen eines deutscheu Dieners kühlen ihn wieder ab. — ,,Sie können sich keinen Begriff vou dem Treiben machen, das in diesen Edelhöfeu, anßer den herrschaftlichen Zimmern, stattfindet. Da gibt es weder Ordnung uoch Sinu dafür, Jeder befiehlt und stößt deu Andern, statt seiner die Arbeit zu verrichten, ein ewiges Zanken und Flüchen, ein so verworrenes Durcheinander, daß man sich ordentlich verwundern muß, daß doch etwas dabei herauskommt. Nichts hat seine bestimmte ordentliche Stelle, man stellt oder wirst die Dinge, ohne Rücksicht auf ihren Werth oder Eigenschaft'', bald hier bald dort hin, je nach Lanne oder wo man sich gerade befindet; braucht man es wieder, hat es des Suchens kein Eude, und das ganze Haus wird oft der geringfügigsten Sache wegen in Alarm gesetzt, wobei die Leidenschaftlichkeit eines Jeden sich durch Püffe und allerhand Anschuldigungen Luft macht, und oft zu den lächerlichsten, aber auch zu deu empörendsten Scenen Veranlassung gibt. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/278>, abgerufen am 22.07.2024.