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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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nun gestehst Du, daß wir Recht haben. Deutschland soll leben, und alle, die so
deuten." Verbrüderuugswaste folgten, ich empfing uach der Reihe deu Brüder¬
lich und wllrde im Triumphe zu deu Damen geführt, die ihrerseits mir sehr viel
schmeichelhaftes über meine Bekehrung sagten. "Wir sind überzeugt," sprachen
sie," daß, was Sie auch eingewendet haben mochten, eS nur dazu diente, um zu
sehen, ob wir auch von den Gründen, welche unserm Denken und Thun zu Grunde
liegen sollen, durchdrungen sind. Im Herzen gaben Sie uus gewiß vom Anfange
her vollkommenes Recht. Jeder vernünftige Mensch muß es thun. Nur Un-
verstand und die knechtischen Schergen des Despotismus können allein hier leugnen,
wo die Vernunft, wo die ganze Menschheit entschieden hat," und in diesem Sinne
ging es fort. Mein Lächeln wurde als Zustimmung gedeutet, die Fröhlichkeit,
die Toaste nahmen wieder überhand, bald wurden sie von den Männern knieend
ausgebracht, wobei Mancher nicht mehr auszustehen vermochte, und zuletzt zog ein
Herr eiuer Dame deu Schuh vom Fuße, füllte ihn mit Wein und verwandelte
ihn zum Becher, der auch durch die Gesellschaft zu Ehren der Frauen die Runde
macheu mußte." -- Dieser Scene folgen freilich, bei einem unbemerkten Morgen¬
spaziergang, einige andere von minder poetischer Natur. Z. B. "Hinter einer
Einfriedigung, welche jenen Theil der Wirthschaft umfaßte, wo die Fassungen
aufbewahrt und gedroschen zu werden Pflegen, sah ich, selbst ungesehen, einen
Landmann auf der Erde liegeu. sein Kopf und Füße wurden vou zwei Andern
gehalten, ein Anderer schlug auf ihn zu mit aller .Kraft, die er hatte. Der
Hausherr, im Schlafrock, eine lauge Pfeife in der Hand, stand vor ihnen
und leitete kaltblütig diese Ereention. Ich zählte an 30 Schläge -- obgleich
ich schon zu spät gekommen bin. Mein Diener sagte mir, daß dieses schou
der zehnte Mann heute sei, der so gestraft werde. Ihr Vergehen ist, weil sie
nicht mit dem Sonnenaufgang zur Arbeit erschienen sind." U. s. w. -- Eine
andre Schattenseite der unerhörten Gastlichkeit erwähnt der deutsche Freund:
"Wir siud hier wenigstens zwölfe, die mit eigenen Equipagen und Leuten ange¬
kommen sind. Jeder hat vier Pferde und zwei Dienstleute. Diese werden alle
durch die paar Tage, die wir hier bleiben müssen, frei gehalten; und wie oft
glaubst Du, daß sich das im Jahre wiederholt? Es geschieht so oft, daß ich
nicht begreife, wie die Gutseiutuufte hierzu hinreichen. Es siud auch die Meisten
in Schulden, und Du hast keine Vorstellung, was für Natur oft diese Schulden
haben, ja auf welche Art sie oft gemacht werden. Die Erniedrigungen, welche
sich diese Herren oft dabei müssen'gefallen lassen, sind beispiellos. -- Die Juden
sind hierlands beinahe ausschließlich im Besitze des baaren Geldes, sie betreiben
den gauzeu Binnenhandel und kaufen deu: Adel die Erträgnisse ihrer Landwirth¬
schaft, die Producte des Bodens ab. Sie sind es, an die man sich im Allge¬
meinen wendet, wenn man Geld benöthigt. Vermöge der zwischen ihnen be¬
stehenden engen Gemeinschaft sind sie alle in der genauesten Kenntniß der Lage


nun gestehst Du, daß wir Recht haben. Deutschland soll leben, und alle, die so
deuten." Verbrüderuugswaste folgten, ich empfing uach der Reihe deu Brüder¬
lich und wllrde im Triumphe zu deu Damen geführt, die ihrerseits mir sehr viel
schmeichelhaftes über meine Bekehrung sagten. „Wir sind überzeugt," sprachen
sie," daß, was Sie auch eingewendet haben mochten, eS nur dazu diente, um zu
sehen, ob wir auch von den Gründen, welche unserm Denken und Thun zu Grunde
liegen sollen, durchdrungen sind. Im Herzen gaben Sie uus gewiß vom Anfange
her vollkommenes Recht. Jeder vernünftige Mensch muß es thun. Nur Un-
verstand und die knechtischen Schergen des Despotismus können allein hier leugnen,
wo die Vernunft, wo die ganze Menschheit entschieden hat," und in diesem Sinne
ging es fort. Mein Lächeln wurde als Zustimmung gedeutet, die Fröhlichkeit,
die Toaste nahmen wieder überhand, bald wurden sie von den Männern knieend
ausgebracht, wobei Mancher nicht mehr auszustehen vermochte, und zuletzt zog ein
Herr eiuer Dame deu Schuh vom Fuße, füllte ihn mit Wein und verwandelte
ihn zum Becher, der auch durch die Gesellschaft zu Ehren der Frauen die Runde
macheu mußte." — Dieser Scene folgen freilich, bei einem unbemerkten Morgen¬
spaziergang, einige andere von minder poetischer Natur. Z. B. „Hinter einer
Einfriedigung, welche jenen Theil der Wirthschaft umfaßte, wo die Fassungen
aufbewahrt und gedroschen zu werden Pflegen, sah ich, selbst ungesehen, einen
Landmann auf der Erde liegeu. sein Kopf und Füße wurden vou zwei Andern
gehalten, ein Anderer schlug auf ihn zu mit aller .Kraft, die er hatte. Der
Hausherr, im Schlafrock, eine lauge Pfeife in der Hand, stand vor ihnen
und leitete kaltblütig diese Ereention. Ich zählte an 30 Schläge — obgleich
ich schon zu spät gekommen bin. Mein Diener sagte mir, daß dieses schou
der zehnte Mann heute sei, der so gestraft werde. Ihr Vergehen ist, weil sie
nicht mit dem Sonnenaufgang zur Arbeit erschienen sind." U. s. w. — Eine
andre Schattenseite der unerhörten Gastlichkeit erwähnt der deutsche Freund:
„Wir siud hier wenigstens zwölfe, die mit eigenen Equipagen und Leuten ange¬
kommen sind. Jeder hat vier Pferde und zwei Dienstleute. Diese werden alle
durch die paar Tage, die wir hier bleiben müssen, frei gehalten; und wie oft
glaubst Du, daß sich das im Jahre wiederholt? Es geschieht so oft, daß ich
nicht begreife, wie die Gutseiutuufte hierzu hinreichen. Es siud auch die Meisten
in Schulden, und Du hast keine Vorstellung, was für Natur oft diese Schulden
haben, ja auf welche Art sie oft gemacht werden. Die Erniedrigungen, welche
sich diese Herren oft dabei müssen'gefallen lassen, sind beispiellos. — Die Juden
sind hierlands beinahe ausschließlich im Besitze des baaren Geldes, sie betreiben
den gauzeu Binnenhandel und kaufen deu: Adel die Erträgnisse ihrer Landwirth¬
schaft, die Producte des Bodens ab. Sie sind es, an die man sich im Allge¬
meinen wendet, wenn man Geld benöthigt. Vermöge der zwischen ihnen be¬
stehenden engen Gemeinschaft sind sie alle in der genauesten Kenntniß der Lage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/277>, abgerufen am 22.07.2024.