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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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läßt, ist das Buch die beredteste Anklageactc gegen Hassenpflug und Scheffer ge¬
worden, wenn es auch in der Form viel zu wünschen übrig läßt. Wippermann
ist ein ausgezeichneter rationalistischer Jurist, ein ungeheurer Arbeiter, im
Märzministerinm der beste Staatsmann, soweit es auf Klugheit, Gewandtheit,
Festigkeit und Energie ankommt. Er brach zuerst offen und entschieden mit der
Demokratie, drohete bei deu sich wiederholenden Straßenexcessen mit demBelage-
rungszustand und fiel darüber bei den "Rothen" in solche Ungnade, daß er eine
Zeit lang einer Bürgergardenwache in seinem Hause bedürfte. Er ist gutmüthig,
im höchsten Grade gefällig, jedoch auch uicht ganz frei von Ehrgeiz und Egois¬
mus. Obwohl in religiöser Hinsicht auf einem keineswegs engherzigen Stand¬
punkt stehend, soll er doch im Ministerium sich bisweilen intolerant gezeigt haben
bei Anstellung orthodoxer Geistlichen, während Eberhard gegen alle religiösen
Richtungen eine gleichmäßige und consequente Toleranz bewahrte. Ebenso haben
die unter Wippermann stehenden Beamten ihrem Chef bisweilen Etwas von der
Eberhard'schen Humanität gewünscht. Wippermann ist vorwiegend Verstandes¬
mensch; daher hat er als Mensch nicht eben viele persönlichen Freunde, aber als
politischer Charakter zahlreiche Verehrer. Indessen wird er sogar von manchen
Parteigenossen mit Mißtrauen betrachtet; dies mag Wippermann zum Theil selbst
verschuldet haben dnrch eine gewisse Neigung zur List und Intrigue, die Freund
und Feind ihm übereinstimmend zur Last legen, vielleicht ein Ueberbleibsel seiner
frühern Advocatenlanfbahn. Ans dieser advocatischen Richtung erklärt sich anch
der formell vollkommen gerechtfertigte, und materiell doch sehr zu beklagende All¬
trag Wippermann's bezüglich der Steuererhebung, welchen die Ständeversamm¬
lung in der Sitzung vom 31. Ang. d. I. adoptirt hat. -- Wippermann stand
verhältnißmäßig am besten unter allen Märzministern beim Fürsten angeschrieben,
obwohl es auch mit ihm nicht bis zu einem eigentlichen Vertrauensverhältniß kam.
Jene günstigere Stellung mochte zum Theil daher kommen, daß Wippermann sich
mit größerer Gewandtheit als mancher seiner Kollegen in die glatten Formen des
Hoflebens hineinzuleben gewußt hatte; zum Theil war sie aber auch die Folge
davon, daß er bei Verhandlung der Civillistensrage in der Kammer das Recht des
Kurfürsten kräftig gewahrt hatte, und zwar zu einer Zeit, wo uoch Muth hierzu
gehörte. Vielleicht sog das Mißtrauen gerade ans dieser scheinbar bevorzugten
Stellung Wippermann's Nahrung; obwohl ganz uugegründeter Weise. Er hat
in bösen und -- was bekanntlich schwerer ist -- anch in guten Tagen politische
Farbe gehalten. Er ist anch noch Minister der Zukunft geblieben, was sich nicht
von allen seinen Ministercollegen behaupten läßt.

Den häufigsten Personenwechsel erfuhr während der kaum zweijährigen Dauer
dieses Cabinets das Kriegsministerium hauptsächlich wegen der vielfachen persön¬
lichen Conflicte, in welche der § 107 der Verfassungsurkunde den verantwortlichen
Minister mit dem unverantwortlichen "obersten Militärchef" brachte. Verbrauchten


läßt, ist das Buch die beredteste Anklageactc gegen Hassenpflug und Scheffer ge¬
worden, wenn es auch in der Form viel zu wünschen übrig läßt. Wippermann
ist ein ausgezeichneter rationalistischer Jurist, ein ungeheurer Arbeiter, im
Märzministerinm der beste Staatsmann, soweit es auf Klugheit, Gewandtheit,
Festigkeit und Energie ankommt. Er brach zuerst offen und entschieden mit der
Demokratie, drohete bei deu sich wiederholenden Straßenexcessen mit demBelage-
rungszustand und fiel darüber bei den „Rothen" in solche Ungnade, daß er eine
Zeit lang einer Bürgergardenwache in seinem Hause bedürfte. Er ist gutmüthig,
im höchsten Grade gefällig, jedoch auch uicht ganz frei von Ehrgeiz und Egois¬
mus. Obwohl in religiöser Hinsicht auf einem keineswegs engherzigen Stand¬
punkt stehend, soll er doch im Ministerium sich bisweilen intolerant gezeigt haben
bei Anstellung orthodoxer Geistlichen, während Eberhard gegen alle religiösen
Richtungen eine gleichmäßige und consequente Toleranz bewahrte. Ebenso haben
die unter Wippermann stehenden Beamten ihrem Chef bisweilen Etwas von der
Eberhard'schen Humanität gewünscht. Wippermann ist vorwiegend Verstandes¬
mensch; daher hat er als Mensch nicht eben viele persönlichen Freunde, aber als
politischer Charakter zahlreiche Verehrer. Indessen wird er sogar von manchen
Parteigenossen mit Mißtrauen betrachtet; dies mag Wippermann zum Theil selbst
verschuldet haben dnrch eine gewisse Neigung zur List und Intrigue, die Freund
und Feind ihm übereinstimmend zur Last legen, vielleicht ein Ueberbleibsel seiner
frühern Advocatenlanfbahn. Ans dieser advocatischen Richtung erklärt sich anch
der formell vollkommen gerechtfertigte, und materiell doch sehr zu beklagende All¬
trag Wippermann's bezüglich der Steuererhebung, welchen die Ständeversamm¬
lung in der Sitzung vom 31. Ang. d. I. adoptirt hat. — Wippermann stand
verhältnißmäßig am besten unter allen Märzministern beim Fürsten angeschrieben,
obwohl es auch mit ihm nicht bis zu einem eigentlichen Vertrauensverhältniß kam.
Jene günstigere Stellung mochte zum Theil daher kommen, daß Wippermann sich
mit größerer Gewandtheit als mancher seiner Kollegen in die glatten Formen des
Hoflebens hineinzuleben gewußt hatte; zum Theil war sie aber auch die Folge
davon, daß er bei Verhandlung der Civillistensrage in der Kammer das Recht des
Kurfürsten kräftig gewahrt hatte, und zwar zu einer Zeit, wo uoch Muth hierzu
gehörte. Vielleicht sog das Mißtrauen gerade ans dieser scheinbar bevorzugten
Stellung Wippermann's Nahrung; obwohl ganz uugegründeter Weise. Er hat
in bösen und — was bekanntlich schwerer ist — anch in guten Tagen politische
Farbe gehalten. Er ist anch noch Minister der Zukunft geblieben, was sich nicht
von allen seinen Ministercollegen behaupten läßt.

Den häufigsten Personenwechsel erfuhr während der kaum zweijährigen Dauer
dieses Cabinets das Kriegsministerium hauptsächlich wegen der vielfachen persön¬
lichen Conflicte, in welche der § 107 der Verfassungsurkunde den verantwortlichen
Minister mit dem unverantwortlichen „obersten Militärchef" brachte. Verbrauchten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/272>, abgerufen am 22.07.2024.