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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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strengster Gewissenhaftigkeit und hoher sittlicher Würde, bieder und gerade und
doch an steh haltend und verschlossen, menschenfreundlich gegen Jedermann, aber
ohne die Energie der schaffenden Kraft, bei einem bedeutenden Vermögen einfach
in seiner ganzen Lebensweise ans Neigung und Grundsatz, aber gegen Nothlei¬
dende in großartiger Weise freigebig; sehr uneigennützig -- als Landstand nahm
er nicht einmal Diäten an --, wegen der Vorzüge seines Geistes und Herzens ver¬
ehrt von Allen, die ihn kennen, und doch höchst bescheiden, ja fast schüchtern und
leicht verlegen in seinem Auftreten, anßer wo die Pflicht ruft; ein ausgezeichneter
Jurist, doch als Gesetzgeber nicht immer praktisch, wie seine Gesetze zeigen, z. B.
das über Abschaffung der körperlichen Züchtigung beim Civil-Strafverfahren, ins¬
besondere wegen der darin enthaltenen Bestimmung über Behandlung der Schulkinder,
welche denselben ans mißverstandener Humanität einen wahren Freibrief für alle
polizeilich abzustrafenden Vergehen ausstellt, wie unser Altmeister, der Oberappel¬
lationsrath Kulenkamp, im "Rechtsfreund" überzeugend dargethan hat. Ein dem
Fürsten nahestehender Militär hat Herrn von Baumbach jede staatsmännische
Ader abgesprochen -- das ist übertrieben; aber wahr ist, daß er seiner ganzen
Natur nach mehr zum Richter, als zum Staatsmann geeignet erscheint. Das
wird dem trefflichen Mann um so weniger zum Vorwurf angerechnet werden, als
er nicht nach eigenem Wunsch Minister geworden ist, sondern aus Pflichtgefühl.
Daß nicht einmal dieser milde, loyale und noch vor allen Zwangsdemonstrationen
berufene Mann im Stande gewesen ist, eine Brücke zu schlagen zwischen dem
Fürsten und dem Märzministerium, das ist uus immer als ein besonders betrü¬
bendes Zeichen dafür erschienen, wie schwer es bei uns sein muß, des Kurfürsten
menschliches Vertrauen zu erwerben.

Das Portefeuille des Finanzministeriums befand sich vom März bis gegen
Ende Angust 1848 in den Händen des OberbergwertSdirectors Schwedes.
Dieser alte Herr ist ein kluger und gewandter, in seinem Bernfsfache hochverdienter
und sehr von steh eingenommener Geschäftsmann. Er hat gewöhnlich für Kurhessen
die Unterhandlungen mit auswärtigen Staaten geleitet; aber nicht jeder der vielen
Orden, die er bei solchen Gelegenheiten erhalten, ist ein Zeugniß, daß er die
hessischen Interessen mit der gehörigen Umsicht und Kraft vertreten habe. Er
gilt für einen Mann nicht von festem Charakter, wohl aber von vieler natürlichen
Bonhommie; als Märzminister saß er gemüthlich wie ein Saul uuter deu Pro¬
pheten. Die übereilte Herabsetzung der Gewerbesteuer und die erfreuliche Regelung
der Rotenbnrger Quart-Verhältnisse fällt in seine Dienstführnng. Er trat zurück,
angeblich aus Gesundheitsrücksichten, eigentlich deshalb, weil er seiue alternden
Schultern der Last seines Amtes nicht mehr gewachsen fühlte. Der hessische natio¬
nale Katarrh: "allerhöchste Ungnade" traf ihn wegen Herabsetzung der Civilliste
wenigstens in keinem hohern Grade, als jedes andere Mitglied des damaligen
Ministeriums.


strengster Gewissenhaftigkeit und hoher sittlicher Würde, bieder und gerade und
doch an steh haltend und verschlossen, menschenfreundlich gegen Jedermann, aber
ohne die Energie der schaffenden Kraft, bei einem bedeutenden Vermögen einfach
in seiner ganzen Lebensweise ans Neigung und Grundsatz, aber gegen Nothlei¬
dende in großartiger Weise freigebig; sehr uneigennützig — als Landstand nahm
er nicht einmal Diäten an —, wegen der Vorzüge seines Geistes und Herzens ver¬
ehrt von Allen, die ihn kennen, und doch höchst bescheiden, ja fast schüchtern und
leicht verlegen in seinem Auftreten, anßer wo die Pflicht ruft; ein ausgezeichneter
Jurist, doch als Gesetzgeber nicht immer praktisch, wie seine Gesetze zeigen, z. B.
das über Abschaffung der körperlichen Züchtigung beim Civil-Strafverfahren, ins¬
besondere wegen der darin enthaltenen Bestimmung über Behandlung der Schulkinder,
welche denselben ans mißverstandener Humanität einen wahren Freibrief für alle
polizeilich abzustrafenden Vergehen ausstellt, wie unser Altmeister, der Oberappel¬
lationsrath Kulenkamp, im „Rechtsfreund" überzeugend dargethan hat. Ein dem
Fürsten nahestehender Militär hat Herrn von Baumbach jede staatsmännische
Ader abgesprochen — das ist übertrieben; aber wahr ist, daß er seiner ganzen
Natur nach mehr zum Richter, als zum Staatsmann geeignet erscheint. Das
wird dem trefflichen Mann um so weniger zum Vorwurf angerechnet werden, als
er nicht nach eigenem Wunsch Minister geworden ist, sondern aus Pflichtgefühl.
Daß nicht einmal dieser milde, loyale und noch vor allen Zwangsdemonstrationen
berufene Mann im Stande gewesen ist, eine Brücke zu schlagen zwischen dem
Fürsten und dem Märzministerium, das ist uus immer als ein besonders betrü¬
bendes Zeichen dafür erschienen, wie schwer es bei uns sein muß, des Kurfürsten
menschliches Vertrauen zu erwerben.

Das Portefeuille des Finanzministeriums befand sich vom März bis gegen
Ende Angust 1848 in den Händen des OberbergwertSdirectors Schwedes.
Dieser alte Herr ist ein kluger und gewandter, in seinem Bernfsfache hochverdienter
und sehr von steh eingenommener Geschäftsmann. Er hat gewöhnlich für Kurhessen
die Unterhandlungen mit auswärtigen Staaten geleitet; aber nicht jeder der vielen
Orden, die er bei solchen Gelegenheiten erhalten, ist ein Zeugniß, daß er die
hessischen Interessen mit der gehörigen Umsicht und Kraft vertreten habe. Er
gilt für einen Mann nicht von festem Charakter, wohl aber von vieler natürlichen
Bonhommie; als Märzminister saß er gemüthlich wie ein Saul uuter deu Pro¬
pheten. Die übereilte Herabsetzung der Gewerbesteuer und die erfreuliche Regelung
der Rotenbnrger Quart-Verhältnisse fällt in seine Dienstführnng. Er trat zurück,
angeblich aus Gesundheitsrücksichten, eigentlich deshalb, weil er seiue alternden
Schultern der Last seines Amtes nicht mehr gewachsen fühlte. Der hessische natio¬
nale Katarrh: „allerhöchste Ungnade" traf ihn wegen Herabsetzung der Civilliste
wenigstens in keinem hohern Grade, als jedes andere Mitglied des damaligen
Ministeriums.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/268>, abgerufen am 22.07.2024.