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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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dortigen Bewegung zu mäßigen. Indessen mußte die Mitmiterzeichnung des Ulti¬
matums ihm nothwendig seiue Stellung nicht allein dem Fürsten, sondern anch den
Hanauer Unruhstiftern gegenüber späterhin sehr erschweren. Eine seiner ersten
Regierungshandlungen war es, dem Märtyrer Jordan und den Professoren Hilde¬
brand und Bayrhoffer, desgleichen den Hersfelder Lehrern Jakobi und Berlit die
Aufhebung ihrer zum Theil wenigstens willkürlich verfügten Suspeuston und dem
Erstgenannten zugleich deu Urlaub zum Eintritt in die Ständeversammlung zu
verkünden, welche inzwischen durch freiwilliges Ausscheiden von den meisten un¬
heimlichen Nachtgestalten der vormärzlichen Zeit gesäubert war, während mancher
darin zurückbleibende Finsterling eiligst ein "demokratisches Lichtgewand" überzog.
Rasch ging es an die Ausführung der verheißenen Reformen, in welchen Kur-
hessen dem ganzen übrigen Deutschland voraneilte. Mau hat Eberhard von ver-
schiedenen Seiten den Vorwurf gemacht, daß er sich der Anarchie gegenüber
schwach gezeigt habe. Schmerlich ganz mit Unrecht. Eberhard ist ein streng-
rechtlicher, sehr wohlwollender und humaner Mann, von Hellem Verstand und
warmem Herzen, frei von Eigennutz und Ehrgeiz, nichts weniger als glatter
Hofmann, aber kein Mann der energischen That. Die vou den Ständen des
Jahres 1847---58 auf Antrag der Deputirten König, Lederer, Victor wieder¬
holt angebotene Mitwirkung zu kräftiger Unterdrückung der in verschiedenen Landes¬
theilen abgebrochenen anarchischen Regungen wurde uicht benutzt, obgleich die
pflichtwidrige Haltung vieler Bürgergarden in Stadt und Laud das vou Victor
beantragte Gesetz ans Haftbarinachung der Gemeinden für den in ihren Gemar-
kungen angerichteten Schaden, vorbehaltlich Regresses gegen die Uebelthäter --
sehr wünschenswert!) und wohlgerechtfertigt erscheinen ließ. Dennoch würde man
Eberhard Unrecht thun, wenn mau seiue Handlungsweise blos ans Mangel an
Thatkraft ableiten wollte; sie entsprang zum Theil wenigstens ans der Ansicht,
daß man, um ein Zurücktreten der Krankheit zu vermeiden, dieselbe müsse aus¬
toben lassen. Dadurch siud allerdings blutige Conflicte in Kurhessen vermieden
worden. Während seiner Advocaten- und Bürgermeisterlanfbahn fehlte, es ihm
für seinen Ministerberuf an genügender praktischer Vorbildung im höhern Ver-
waltungsfach, was sich namentlich bei der durchgreifenden Reorganisation der Ver¬
waltung fühlbar machte.

Der Justizminister Moritz von Baumbach (vermählt in zweiter Ehe
mit eiuer ihm in jeder Hinsicht ebenbürtigen Frau, Tochter des ersten Ministers
v. Schenk zu Schweiuöberg und Schwester von Wilhelm Herrn v. Schenck, Vor¬
stand des auswärtigen Departements im März-Ministerium) stammt aus einer
der ältesten hessischen Adelsfamilien, welche, später in zahlreiche Linien getheilt,
dnrch ganz Hessen so viele zerstreute Lehngüter erwarb, daß ihnen über 50 Lehn-
briefe ausgefertigt worden siud. Er gehört der ältern, Nemhardischen Linie



Der ursprüngliche Sitz der Familie ist das Dorf Baumbach an der Fulda; seit der

dortigen Bewegung zu mäßigen. Indessen mußte die Mitmiterzeichnung des Ulti¬
matums ihm nothwendig seiue Stellung nicht allein dem Fürsten, sondern anch den
Hanauer Unruhstiftern gegenüber späterhin sehr erschweren. Eine seiner ersten
Regierungshandlungen war es, dem Märtyrer Jordan und den Professoren Hilde¬
brand und Bayrhoffer, desgleichen den Hersfelder Lehrern Jakobi und Berlit die
Aufhebung ihrer zum Theil wenigstens willkürlich verfügten Suspeuston und dem
Erstgenannten zugleich deu Urlaub zum Eintritt in die Ständeversammlung zu
verkünden, welche inzwischen durch freiwilliges Ausscheiden von den meisten un¬
heimlichen Nachtgestalten der vormärzlichen Zeit gesäubert war, während mancher
darin zurückbleibende Finsterling eiligst ein „demokratisches Lichtgewand" überzog.
Rasch ging es an die Ausführung der verheißenen Reformen, in welchen Kur-
hessen dem ganzen übrigen Deutschland voraneilte. Mau hat Eberhard von ver-
schiedenen Seiten den Vorwurf gemacht, daß er sich der Anarchie gegenüber
schwach gezeigt habe. Schmerlich ganz mit Unrecht. Eberhard ist ein streng-
rechtlicher, sehr wohlwollender und humaner Mann, von Hellem Verstand und
warmem Herzen, frei von Eigennutz und Ehrgeiz, nichts weniger als glatter
Hofmann, aber kein Mann der energischen That. Die vou den Ständen des
Jahres 1847—-58 auf Antrag der Deputirten König, Lederer, Victor wieder¬
holt angebotene Mitwirkung zu kräftiger Unterdrückung der in verschiedenen Landes¬
theilen abgebrochenen anarchischen Regungen wurde uicht benutzt, obgleich die
pflichtwidrige Haltung vieler Bürgergarden in Stadt und Laud das vou Victor
beantragte Gesetz ans Haftbarinachung der Gemeinden für den in ihren Gemar-
kungen angerichteten Schaden, vorbehaltlich Regresses gegen die Uebelthäter —
sehr wünschenswert!) und wohlgerechtfertigt erscheinen ließ. Dennoch würde man
Eberhard Unrecht thun, wenn mau seiue Handlungsweise blos ans Mangel an
Thatkraft ableiten wollte; sie entsprang zum Theil wenigstens ans der Ansicht,
daß man, um ein Zurücktreten der Krankheit zu vermeiden, dieselbe müsse aus¬
toben lassen. Dadurch siud allerdings blutige Conflicte in Kurhessen vermieden
worden. Während seiner Advocaten- und Bürgermeisterlanfbahn fehlte, es ihm
für seinen Ministerberuf an genügender praktischer Vorbildung im höhern Ver-
waltungsfach, was sich namentlich bei der durchgreifenden Reorganisation der Ver¬
waltung fühlbar machte.

Der Justizminister Moritz von Baumbach (vermählt in zweiter Ehe
mit eiuer ihm in jeder Hinsicht ebenbürtigen Frau, Tochter des ersten Ministers
v. Schenk zu Schweiuöberg und Schwester von Wilhelm Herrn v. Schenck, Vor¬
stand des auswärtigen Departements im März-Ministerium) stammt aus einer
der ältesten hessischen Adelsfamilien, welche, später in zahlreiche Linien getheilt,
dnrch ganz Hessen so viele zerstreute Lehngüter erwarb, daß ihnen über 50 Lehn-
briefe ausgefertigt worden siud. Er gehört der ältern, Nemhardischen Linie



Der ursprüngliche Sitz der Familie ist das Dorf Baumbach an der Fulda; seit der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/266>, abgerufen am 22.07.2024.