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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Fürst wieder hergestellt. Selbst Henkel war durch das Erlangte völlig befrie¬
digt und forderte in einer begeisterten, als fliegendes Blatt gedruckten Ansprache
seine Mitbürger auf, Gott auf den Knieen für die errungenen Freiheiten zu
danken, Seidler aber, der Commandeur der Kasseler Bürgergarde, hatte schou
am 6. März im Palais unmittelbar nach Ertheilung der Concessionen feierlich
ausgerufen: "Verdorren möge die Hand, die sich nnn noch gegen uusern Fürsten
zu erheben wagt!" Alles das, was wir noch brauchten, namentlich volksthüm-
liche Minister, welche für unverkümmerte und rasche Ausführung der fürstlichen
Verheißungen sorgten, wäre uns als sichere Folge der in raschem Aufschwang be¬
griffenen Zeitbewegnng in kürzester Frist vou selbst zugefallen. Aber die durch
die erbitterudcu Maßregeln der jüngsten Vergangenheit fieberhaft aufgeregten Ha-
nauer wollten Alles im Sturm erobern. Das versammelte bewaffnete "Volk" zu
Hanau erklärte die von der Deputation aus Kassel mitgebrachten Zugeständnisse
für ungenügend, setzte den 8. März einen Volköausschuß ein, bestehend aus
"charaktervoller" Männern aller Classen, welcher am 9. März auf dem Rath¬
hause das s. g. Ultimatum berieth und durch eine neue Deputation nach Kassel
absandte. Charakteristisch für diese Hanauer "Erhebung" sind die Männer, welche
damals an der Spitze standen und jeues Actenstück unterzeichneten. Da finden
wir neben völlig unbedeutenden Personen auch den Namen eines polnischen Aben¬
teurers, nachmaligen Anführers der Hanauer Freischärler im badenschen Auf¬
stand; ferner einen ultraliberalen Advocaten, welcher es freilich schon seit 1831
nicht unter seiner Würde hielt, vom Kurfürsten einen ausbedungenen Ehrensold (!)
vou 600 Thlr. dafür zu beziehen, daß er der tiefgehaßten, von Kassel vertriebe¬
nen Gräfin Reichenbach durch seinen Einfluß ans die Hanauer Krawaller einen
ruhigen Aufeuhalt in der Nähe der Stadt Hanau verschaffte; ferner einen wegen
gemeiner Vergehen wiederholt in Untersuchung gezogenen Lottenc-Collecteur, über
welchen eine Nummer des Hanauer Proviuzial-Wochenblattes gar unrühmliche
Auskunft ertheilt, welcher übrigens späterhin als Vertheidiger im Proceß Auers-
wald-Lichnowsky sich sogar in den Angen seiner eignen Partei moralisch völlig
vernichtet hat. Freilich lesen wir unter jenem Actenstück auch ehrenwerthe Na¬
men, z. B. die des Obergerichtödirectors Rommel und des damaligen Ober¬
bürgermeisters Eberhard. Wer die politische Vergangenheit und den besonnenen
Charakter dieser Männer kennt, der weiß auch, daß sie lediglich unterzeichnet
haben, um den Fürsten zu warnen und dem Vaterlande eine wankende Provinz
zu retten, währeud fast alle übrigen Unterzeichner offenbar eine terroristische Dro¬
hung bezweckten. Die in Hanau wohnenden Staatsdiener hatten eine besondere
Adresse entworfen, die in ihrem Namen Mackeldey, früher Vorstand des Justiz¬
ministeriums, seit Juli 18-ü" Obergerichtödirector zu Hanau, persönlich überbrachte.

Das "Ultimatum" redete zum Fürsten in der Sprache der höchsten Leiden¬
schaft, erklärte ihm rund heraus, das Mißtrauen sei gegen seine Person gerichtet,


Fürst wieder hergestellt. Selbst Henkel war durch das Erlangte völlig befrie¬
digt und forderte in einer begeisterten, als fliegendes Blatt gedruckten Ansprache
seine Mitbürger auf, Gott auf den Knieen für die errungenen Freiheiten zu
danken, Seidler aber, der Commandeur der Kasseler Bürgergarde, hatte schou
am 6. März im Palais unmittelbar nach Ertheilung der Concessionen feierlich
ausgerufen: „Verdorren möge die Hand, die sich nnn noch gegen uusern Fürsten
zu erheben wagt!" Alles das, was wir noch brauchten, namentlich volksthüm-
liche Minister, welche für unverkümmerte und rasche Ausführung der fürstlichen
Verheißungen sorgten, wäre uns als sichere Folge der in raschem Aufschwang be¬
griffenen Zeitbewegnng in kürzester Frist vou selbst zugefallen. Aber die durch
die erbitterudcu Maßregeln der jüngsten Vergangenheit fieberhaft aufgeregten Ha-
nauer wollten Alles im Sturm erobern. Das versammelte bewaffnete „Volk" zu
Hanau erklärte die von der Deputation aus Kassel mitgebrachten Zugeständnisse
für ungenügend, setzte den 8. März einen Volköausschuß ein, bestehend aus
„charaktervoller" Männern aller Classen, welcher am 9. März auf dem Rath¬
hause das s. g. Ultimatum berieth und durch eine neue Deputation nach Kassel
absandte. Charakteristisch für diese Hanauer „Erhebung" sind die Männer, welche
damals an der Spitze standen und jeues Actenstück unterzeichneten. Da finden
wir neben völlig unbedeutenden Personen auch den Namen eines polnischen Aben¬
teurers, nachmaligen Anführers der Hanauer Freischärler im badenschen Auf¬
stand; ferner einen ultraliberalen Advocaten, welcher es freilich schon seit 1831
nicht unter seiner Würde hielt, vom Kurfürsten einen ausbedungenen Ehrensold (!)
vou 600 Thlr. dafür zu beziehen, daß er der tiefgehaßten, von Kassel vertriebe¬
nen Gräfin Reichenbach durch seinen Einfluß ans die Hanauer Krawaller einen
ruhigen Aufeuhalt in der Nähe der Stadt Hanau verschaffte; ferner einen wegen
gemeiner Vergehen wiederholt in Untersuchung gezogenen Lottenc-Collecteur, über
welchen eine Nummer des Hanauer Proviuzial-Wochenblattes gar unrühmliche
Auskunft ertheilt, welcher übrigens späterhin als Vertheidiger im Proceß Auers-
wald-Lichnowsky sich sogar in den Angen seiner eignen Partei moralisch völlig
vernichtet hat. Freilich lesen wir unter jenem Actenstück auch ehrenwerthe Na¬
men, z. B. die des Obergerichtödirectors Rommel und des damaligen Ober¬
bürgermeisters Eberhard. Wer die politische Vergangenheit und den besonnenen
Charakter dieser Männer kennt, der weiß auch, daß sie lediglich unterzeichnet
haben, um den Fürsten zu warnen und dem Vaterlande eine wankende Provinz
zu retten, währeud fast alle übrigen Unterzeichner offenbar eine terroristische Dro¬
hung bezweckten. Die in Hanau wohnenden Staatsdiener hatten eine besondere
Adresse entworfen, die in ihrem Namen Mackeldey, früher Vorstand des Justiz¬
ministeriums, seit Juli 18-ü« Obergerichtödirector zu Hanau, persönlich überbrachte.

Das „Ultimatum" redete zum Fürsten in der Sprache der höchsten Leiden¬
schaft, erklärte ihm rund heraus, das Mißtrauen sei gegen seine Person gerichtet,


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[0263] Fürst wieder hergestellt. Selbst Henkel war durch das Erlangte völlig befrie¬ digt und forderte in einer begeisterten, als fliegendes Blatt gedruckten Ansprache seine Mitbürger auf, Gott auf den Knieen für die errungenen Freiheiten zu danken, Seidler aber, der Commandeur der Kasseler Bürgergarde, hatte schou am 6. März im Palais unmittelbar nach Ertheilung der Concessionen feierlich ausgerufen: „Verdorren möge die Hand, die sich nnn noch gegen uusern Fürsten zu erheben wagt!" Alles das, was wir noch brauchten, namentlich volksthüm- liche Minister, welche für unverkümmerte und rasche Ausführung der fürstlichen Verheißungen sorgten, wäre uns als sichere Folge der in raschem Aufschwang be¬ griffenen Zeitbewegnng in kürzester Frist vou selbst zugefallen. Aber die durch die erbitterudcu Maßregeln der jüngsten Vergangenheit fieberhaft aufgeregten Ha- nauer wollten Alles im Sturm erobern. Das versammelte bewaffnete „Volk" zu Hanau erklärte die von der Deputation aus Kassel mitgebrachten Zugeständnisse für ungenügend, setzte den 8. März einen Volköausschuß ein, bestehend aus „charaktervoller" Männern aller Classen, welcher am 9. März auf dem Rath¬ hause das s. g. Ultimatum berieth und durch eine neue Deputation nach Kassel absandte. Charakteristisch für diese Hanauer „Erhebung" sind die Männer, welche damals an der Spitze standen und jeues Actenstück unterzeichneten. Da finden wir neben völlig unbedeutenden Personen auch den Namen eines polnischen Aben¬ teurers, nachmaligen Anführers der Hanauer Freischärler im badenschen Auf¬ stand; ferner einen ultraliberalen Advocaten, welcher es freilich schon seit 1831 nicht unter seiner Würde hielt, vom Kurfürsten einen ausbedungenen Ehrensold (!) vou 600 Thlr. dafür zu beziehen, daß er der tiefgehaßten, von Kassel vertriebe¬ nen Gräfin Reichenbach durch seinen Einfluß ans die Hanauer Krawaller einen ruhigen Aufeuhalt in der Nähe der Stadt Hanau verschaffte; ferner einen wegen gemeiner Vergehen wiederholt in Untersuchung gezogenen Lottenc-Collecteur, über welchen eine Nummer des Hanauer Proviuzial-Wochenblattes gar unrühmliche Auskunft ertheilt, welcher übrigens späterhin als Vertheidiger im Proceß Auers- wald-Lichnowsky sich sogar in den Angen seiner eignen Partei moralisch völlig vernichtet hat. Freilich lesen wir unter jenem Actenstück auch ehrenwerthe Na¬ men, z. B. die des Obergerichtödirectors Rommel und des damaligen Ober¬ bürgermeisters Eberhard. Wer die politische Vergangenheit und den besonnenen Charakter dieser Männer kennt, der weiß auch, daß sie lediglich unterzeichnet haben, um den Fürsten zu warnen und dem Vaterlande eine wankende Provinz zu retten, währeud fast alle übrigen Unterzeichner offenbar eine terroristische Dro¬ hung bezweckten. Die in Hanau wohnenden Staatsdiener hatten eine besondere Adresse entworfen, die in ihrem Namen Mackeldey, früher Vorstand des Justiz¬ ministeriums, seit Juli 18-ü« Obergerichtödirector zu Hanau, persönlich überbrachte. Das „Ultimatum" redete zum Fürsten in der Sprache der höchsten Leiden¬ schaft, erklärte ihm rund heraus, das Mißtrauen sei gegen seine Person gerichtet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/263>, abgerufen am 22.07.2024.