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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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unsern Geschmack appretirt, und dadurch verdreht. Die lustigen, in ihrer Art
schönen Gestalten der kindlichen Phantasie verwandeln sich in Fieberspuk; man
denke an Hoffmann, Arnim (z. B. den todten Bärenhäuter, das Alräuuchen :e.),
auch an Tieck (z. B. im Liebeszauber), obgleich es diesem seltener begegnet. Wir
Deutschen gerathen noch dazu beständig in die Philosophie; man vergleiche z. B.
Kleist's Amphitryon mit dem antiken: die von den Griechen naiv gedachte Ver¬
wandlung des individuellen Gottes Jupiter in den Ehemann der schönen Alkmene,
und des Spitzbuben Mercur in Sosiaö wird hier, wenn auch halb im Spaß,
ans die Allgegenwart und Universalität des rationalistischen höchsten Wesens be¬
zogen. Der Spaß wird zur Verrücktheit.

Auch in Hebbel's Rubin macht sich dieser romantische Pragmatismus geltend.
Abgesehen von den Fehlern, die ihm eigenthümlich sind -- der Einmischung von
Personen, die nicht in einer directen Beziehung zur Fabel stehn, sondern in
einer reflectirten, wie hier z. B. des Spitzbuben Halain, der dem tugendhaften
Assad zum Relief gegeben wird, einer Einmischung, die entschieden gegen das
Wesen des Mährchens verstößt, welches, eben weil es für Kinder berechnet ist,
trotz seiner scheinbaren Formlosigkeit eine viel strengere Einheit der Phantasie
fordert, als selbst das Drama; -- ferner der Virtuosität in originellen schrullen¬
hafter Details, welche die Stimmung stören, (z. B. die Baumwolle in den Ohren
des Goldschmieds, und noch zuletzt ein Zug, der Hebbel so recht eigenthümlich
ist: er läßt nämlich jenen Spitzbuben, als er sich vor dem neuen Kalifen nieder¬
wirft und ihm die Füße küßt, noch sein Müthchen dadurch kühlen, daß er ihn
in den Fuß beißt") -- abgesehen von diesen individuellen Fehlern verfällt er
noch in alle andern, die der Schule augehören. Einmal schildert er die Gräuel
und die Widersinnigkeit des Hoflebens von Bagdad mit eiuer Ausführlichkeit
und einem so empfindlichen reizbaren Rechtsgefühl, daß dem gemüthlichen Zu¬
schauer der Spaß verdorben wird; denn wer kann sich über die Erhöhung des
tugendhaften Assad freuen, wo er weiß, daß nun Gift, Verrath, Niederträchtig¬
keit von allen Seiten ihm Schlingen legen. Im eigentlichen Mährchen tritt dieser
Widerspruch nicht in's Bewußtsein, der edle Jüngling wird reich und mächtig,
kann so viel essen und trinken als er will, das ist dem Kinde gellug. -- Sodann
wird der nöthige Zauber-Apparat so in's physikalisch-psychologische Gebiet gezogen,
in das Gebiet der Mystik und des Somnambulismus, daß alle Heiterkeit vergeht. Eine



Alles Gräßliches darf nicht fehlen. So erzählt der Kaufe einmal ganz ex
adruptv den Grund, warum er Fatimen so liebt. Er hat einmal in der Trunkenheit ihre
Mutter erschlagen: "habe sie erschlagen, ohne sie, die mir noch die Liebste war, anch nur
zu kennen, bin dann auf ihrem Leichnam eingeschlafen, als ob's ein Kissen wär', und hätt'
ihn fast mit mir emporgerissen, als ich Morgens erwachend aufsprang, ihre langen Locken
vom Abend her noch um die Faust gewickelt, und ganz durchnäßt von ihrem kalten Blut." --
Folgt eine moralische Erörterung über den Nachtheil des Saufens. Da soll man in der
Stimmung bleiben!

unsern Geschmack appretirt, und dadurch verdreht. Die lustigen, in ihrer Art
schönen Gestalten der kindlichen Phantasie verwandeln sich in Fieberspuk; man
denke an Hoffmann, Arnim (z. B. den todten Bärenhäuter, das Alräuuchen :e.),
auch an Tieck (z. B. im Liebeszauber), obgleich es diesem seltener begegnet. Wir
Deutschen gerathen noch dazu beständig in die Philosophie; man vergleiche z. B.
Kleist's Amphitryon mit dem antiken: die von den Griechen naiv gedachte Ver¬
wandlung des individuellen Gottes Jupiter in den Ehemann der schönen Alkmene,
und des Spitzbuben Mercur in Sosiaö wird hier, wenn auch halb im Spaß,
ans die Allgegenwart und Universalität des rationalistischen höchsten Wesens be¬
zogen. Der Spaß wird zur Verrücktheit.

Auch in Hebbel's Rubin macht sich dieser romantische Pragmatismus geltend.
Abgesehen von den Fehlern, die ihm eigenthümlich sind — der Einmischung von
Personen, die nicht in einer directen Beziehung zur Fabel stehn, sondern in
einer reflectirten, wie hier z. B. des Spitzbuben Halain, der dem tugendhaften
Assad zum Relief gegeben wird, einer Einmischung, die entschieden gegen das
Wesen des Mährchens verstößt, welches, eben weil es für Kinder berechnet ist,
trotz seiner scheinbaren Formlosigkeit eine viel strengere Einheit der Phantasie
fordert, als selbst das Drama; — ferner der Virtuosität in originellen schrullen¬
hafter Details, welche die Stimmung stören, (z. B. die Baumwolle in den Ohren
des Goldschmieds, und noch zuletzt ein Zug, der Hebbel so recht eigenthümlich
ist: er läßt nämlich jenen Spitzbuben, als er sich vor dem neuen Kalifen nieder¬
wirft und ihm die Füße küßt, noch sein Müthchen dadurch kühlen, daß er ihn
in den Fuß beißt") — abgesehen von diesen individuellen Fehlern verfällt er
noch in alle andern, die der Schule augehören. Einmal schildert er die Gräuel
und die Widersinnigkeit des Hoflebens von Bagdad mit eiuer Ausführlichkeit
und einem so empfindlichen reizbaren Rechtsgefühl, daß dem gemüthlichen Zu¬
schauer der Spaß verdorben wird; denn wer kann sich über die Erhöhung des
tugendhaften Assad freuen, wo er weiß, daß nun Gift, Verrath, Niederträchtig¬
keit von allen Seiten ihm Schlingen legen. Im eigentlichen Mährchen tritt dieser
Widerspruch nicht in's Bewußtsein, der edle Jüngling wird reich und mächtig,
kann so viel essen und trinken als er will, das ist dem Kinde gellug. — Sodann
wird der nöthige Zauber-Apparat so in's physikalisch-psychologische Gebiet gezogen,
in das Gebiet der Mystik und des Somnambulismus, daß alle Heiterkeit vergeht. Eine



Alles Gräßliches darf nicht fehlen. So erzählt der Kaufe einmal ganz ex
adruptv den Grund, warum er Fatimen so liebt. Er hat einmal in der Trunkenheit ihre
Mutter erschlagen: „habe sie erschlagen, ohne sie, die mir noch die Liebste war, anch nur
zu kennen, bin dann auf ihrem Leichnam eingeschlafen, als ob's ein Kissen wär', und hätt'
ihn fast mit mir emporgerissen, als ich Morgens erwachend aufsprang, ihre langen Locken
vom Abend her noch um die Faust gewickelt, und ganz durchnäßt von ihrem kalten Blut." —
Folgt eine moralische Erörterung über den Nachtheil des Saufens. Da soll man in der
Stimmung bleiben!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/260>, abgerufen am 22.07.2024.