Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ministeriums. Es hat seine völlige Ratlosigkeit, seine Unfähigkeit, auch nnr den
nächsten Tag zu berechnen, ans eine Weise an den Tag gelegt, daß auch der König
sich uicht länger darüber täuschen kauu. Dem König und dem Volk dieses klar,
unumstößlich und rücksichtslos vor Augen zu legen, ist jetzt Sache der Presse, vor
Allem aber Sache der Kammern, auf welche jetzt die Augen vou ganz Europa
gerichtet sind. Denn die preußische Frage ist jetzt eine europäische geworden.

Die conservative Partei darf sich anch nicht mehr dnrch die Schen, mit den
Demokraten gemeinsame Sache zu machen^ abhalten lassen. Indem Zersetzuugs-
proceß, der jetzt vor sich geht, fallen die alten Parteibildungen zusammen. Es
ist weder von der Verfassung vom 28. März, uoch vou der des 20. Mai mehr
die Rede; die Parteien der Demokraten und der Gothaer sind uur noch histo¬
risch, es muß eine Fusion eintreten, an welcher die gemäßigten Demokraten
und die entschiedenen Constitutionellen Theil nehmen. Daß sie früher die ent¬
gegengesetzten Ansichten in Beziehung auf das, was dem Vaterlande zuträglich
sei, vertraten, kauu sie heute, unter gänzlich veränderten Umständen und Vor¬
aussetzungen, nicht mehr trennen.

Ich verkenne keinen Augenblick, daß auch die Kammern eine sehr bedenkliche
Stellung haben, ich weiß, daß sie durch eine rücksichtslose Opposition nichts we¬
niger ans das Spiel setzen, als die Fortdauer der Verfassung. Denn wenn die
gegenwärtigen Machthaber auch keineswegs die Macchiavells sind, zu denen man
sie gern machen möchte, die mit unerbittlicher Consequenz irgeud einem verruchten
Plane nachstrebe", so werden sie doch in der Angst tollkühn, um nur einen: augen¬
blicklichen unerträglichen Uebel zu entgehen, und vergessen alle Baude der Sittlich¬
keit und des Rechts. -- Aber wenn die Kammern schweigen, wenn sie es ver-
säumen, deu König und das Land über ihre Lage aufzuklären, so setzen sie etwas
Höheres auf's Spiel: die Fortdauer des preußischen Staats.




Nachschrift. Die so eben eingetroffene Nachricht, daß der Ministerrath
sich in der letzten Stunde dennoch besonnen hat und die Armee mobil macht,
geleitet durch die factische Ueberzeugung, was kein Anderer bezweifelt hat, daß
diese eine Demüthigung seinen Feindeu uoch uicht genügen würde, ist nur ein
neuer Beleg für das taumelnde Hin- und Herspringen, das wir ihm zugeschrieben
haben. Wie dem aber sei, wenn Preußen nur einmal Ernst macht, wir stehen
-- Aland meine -- zu dem Staate, an dem allein noch die Wünsche und Hoff¬
nungen deutscher Herzen hängen.




Ministeriums. Es hat seine völlige Ratlosigkeit, seine Unfähigkeit, auch nnr den
nächsten Tag zu berechnen, ans eine Weise an den Tag gelegt, daß auch der König
sich uicht länger darüber täuschen kauu. Dem König und dem Volk dieses klar,
unumstößlich und rücksichtslos vor Augen zu legen, ist jetzt Sache der Presse, vor
Allem aber Sache der Kammern, auf welche jetzt die Augen vou ganz Europa
gerichtet sind. Denn die preußische Frage ist jetzt eine europäische geworden.

Die conservative Partei darf sich anch nicht mehr dnrch die Schen, mit den
Demokraten gemeinsame Sache zu machen^ abhalten lassen. Indem Zersetzuugs-
proceß, der jetzt vor sich geht, fallen die alten Parteibildungen zusammen. Es
ist weder von der Verfassung vom 28. März, uoch vou der des 20. Mai mehr
die Rede; die Parteien der Demokraten und der Gothaer sind uur noch histo¬
risch, es muß eine Fusion eintreten, an welcher die gemäßigten Demokraten
und die entschiedenen Constitutionellen Theil nehmen. Daß sie früher die ent¬
gegengesetzten Ansichten in Beziehung auf das, was dem Vaterlande zuträglich
sei, vertraten, kauu sie heute, unter gänzlich veränderten Umständen und Vor¬
aussetzungen, nicht mehr trennen.

Ich verkenne keinen Augenblick, daß auch die Kammern eine sehr bedenkliche
Stellung haben, ich weiß, daß sie durch eine rücksichtslose Opposition nichts we¬
niger ans das Spiel setzen, als die Fortdauer der Verfassung. Denn wenn die
gegenwärtigen Machthaber auch keineswegs die Macchiavells sind, zu denen man
sie gern machen möchte, die mit unerbittlicher Consequenz irgeud einem verruchten
Plane nachstrebe«, so werden sie doch in der Angst tollkühn, um nur einen: augen¬
blicklichen unerträglichen Uebel zu entgehen, und vergessen alle Baude der Sittlich¬
keit und des Rechts. — Aber wenn die Kammern schweigen, wenn sie es ver-
säumen, deu König und das Land über ihre Lage aufzuklären, so setzen sie etwas
Höheres auf's Spiel: die Fortdauer des preußischen Staats.




Nachschrift. Die so eben eingetroffene Nachricht, daß der Ministerrath
sich in der letzten Stunde dennoch besonnen hat und die Armee mobil macht,
geleitet durch die factische Ueberzeugung, was kein Anderer bezweifelt hat, daß
diese eine Demüthigung seinen Feindeu uoch uicht genügen würde, ist nur ein
neuer Beleg für das taumelnde Hin- und Herspringen, das wir ihm zugeschrieben
haben. Wie dem aber sei, wenn Preußen nur einmal Ernst macht, wir stehen
— Aland meine — zu dem Staate, an dem allein noch die Wünsche und Hoff¬
nungen deutscher Herzen hängen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92545"/>
            <p xml:id="ID_828" prev="#ID_827"> Ministeriums. Es hat seine völlige Ratlosigkeit, seine Unfähigkeit, auch nnr den<lb/>
nächsten Tag zu berechnen, ans eine Weise an den Tag gelegt, daß auch der König<lb/>
sich uicht länger darüber täuschen kauu. Dem König und dem Volk dieses klar,<lb/>
unumstößlich und rücksichtslos vor Augen zu legen, ist jetzt Sache der Presse, vor<lb/>
Allem aber Sache der Kammern, auf welche jetzt die Augen vou ganz Europa<lb/>
gerichtet sind.  Denn die preußische Frage ist jetzt eine europäische geworden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_829"> Die conservative Partei darf sich anch nicht mehr dnrch die Schen, mit den<lb/>
Demokraten gemeinsame Sache zu machen^ abhalten lassen. Indem Zersetzuugs-<lb/>
proceß, der jetzt vor sich geht, fallen die alten Parteibildungen zusammen. Es<lb/>
ist weder von der Verfassung vom 28. März, uoch vou der des 20. Mai mehr<lb/>
die Rede; die Parteien der Demokraten und der Gothaer sind uur noch histo¬<lb/>
risch, es muß eine Fusion eintreten, an welcher die gemäßigten Demokraten<lb/>
und die entschiedenen Constitutionellen Theil nehmen. Daß sie früher die ent¬<lb/>
gegengesetzten Ansichten in Beziehung auf das, was dem Vaterlande zuträglich<lb/>
sei, vertraten, kauu sie heute, unter gänzlich veränderten Umständen und Vor¬<lb/>
aussetzungen, nicht mehr trennen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_830"> Ich verkenne keinen Augenblick, daß auch die Kammern eine sehr bedenkliche<lb/>
Stellung haben, ich weiß, daß sie durch eine rücksichtslose Opposition nichts we¬<lb/>
niger ans das Spiel setzen, als die Fortdauer der Verfassung. Denn wenn die<lb/>
gegenwärtigen Machthaber auch keineswegs die Macchiavells sind, zu denen man<lb/>
sie gern machen möchte, die mit unerbittlicher Consequenz irgeud einem verruchten<lb/>
Plane nachstrebe«, so werden sie doch in der Angst tollkühn, um nur einen: augen¬<lb/>
blicklichen unerträglichen Uebel zu entgehen, und vergessen alle Baude der Sittlich¬<lb/>
keit und des Rechts. &#x2014; Aber wenn die Kammern schweigen, wenn sie es ver-<lb/>
säumen, deu König und das Land über ihre Lage aufzuklären, so setzen sie etwas<lb/>
Höheres auf's Spiel: die Fortdauer des preußischen Staats.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p xml:id="ID_831"> Nachschrift. Die so eben eingetroffene Nachricht, daß der Ministerrath<lb/>
sich in der letzten Stunde dennoch besonnen hat und die Armee mobil macht,<lb/>
geleitet durch die factische Ueberzeugung, was kein Anderer bezweifelt hat, daß<lb/>
diese eine Demüthigung seinen Feindeu uoch uicht genügen würde, ist nur ein<lb/>
neuer Beleg für das taumelnde Hin- und Herspringen, das wir ihm zugeschrieben<lb/>
haben. Wie dem aber sei, wenn Preußen nur einmal Ernst macht, wir stehen<lb/>
&#x2014; Aland meine &#x2014; zu dem Staate, an dem allein noch die Wünsche und Hoff¬<lb/>
nungen deutscher Herzen hängen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] Ministeriums. Es hat seine völlige Ratlosigkeit, seine Unfähigkeit, auch nnr den nächsten Tag zu berechnen, ans eine Weise an den Tag gelegt, daß auch der König sich uicht länger darüber täuschen kauu. Dem König und dem Volk dieses klar, unumstößlich und rücksichtslos vor Augen zu legen, ist jetzt Sache der Presse, vor Allem aber Sache der Kammern, auf welche jetzt die Augen vou ganz Europa gerichtet sind. Denn die preußische Frage ist jetzt eine europäische geworden. Die conservative Partei darf sich anch nicht mehr dnrch die Schen, mit den Demokraten gemeinsame Sache zu machen^ abhalten lassen. Indem Zersetzuugs- proceß, der jetzt vor sich geht, fallen die alten Parteibildungen zusammen. Es ist weder von der Verfassung vom 28. März, uoch vou der des 20. Mai mehr die Rede; die Parteien der Demokraten und der Gothaer sind uur noch histo¬ risch, es muß eine Fusion eintreten, an welcher die gemäßigten Demokraten und die entschiedenen Constitutionellen Theil nehmen. Daß sie früher die ent¬ gegengesetzten Ansichten in Beziehung auf das, was dem Vaterlande zuträglich sei, vertraten, kauu sie heute, unter gänzlich veränderten Umständen und Vor¬ aussetzungen, nicht mehr trennen. Ich verkenne keinen Augenblick, daß auch die Kammern eine sehr bedenkliche Stellung haben, ich weiß, daß sie durch eine rücksichtslose Opposition nichts we¬ niger ans das Spiel setzen, als die Fortdauer der Verfassung. Denn wenn die gegenwärtigen Machthaber auch keineswegs die Macchiavells sind, zu denen man sie gern machen möchte, die mit unerbittlicher Consequenz irgeud einem verruchten Plane nachstrebe«, so werden sie doch in der Angst tollkühn, um nur einen: augen¬ blicklichen unerträglichen Uebel zu entgehen, und vergessen alle Baude der Sittlich¬ keit und des Rechts. — Aber wenn die Kammern schweigen, wenn sie es ver- säumen, deu König und das Land über ihre Lage aufzuklären, so setzen sie etwas Höheres auf's Spiel: die Fortdauer des preußischen Staats. Nachschrift. Die so eben eingetroffene Nachricht, daß der Ministerrath sich in der letzten Stunde dennoch besonnen hat und die Armee mobil macht, geleitet durch die factische Ueberzeugung, was kein Anderer bezweifelt hat, daß diese eine Demüthigung seinen Feindeu uoch uicht genügen würde, ist nur ein neuer Beleg für das taumelnde Hin- und Herspringen, das wir ihm zugeschrieben haben. Wie dem aber sei, wenn Preußen nur einmal Ernst macht, wir stehen — Aland meine — zu dem Staate, an dem allein noch die Wünsche und Hoff¬ nungen deutscher Herzen hängen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/256>, abgerufen am 22.07.2024.