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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wo sie mit einer unerhörten Verachtung aller Formell, die sonst unter civilisirten
Völkern üblich sind, v^in dem barbarischen Slavenstamm der Preußen sprechen,
den man züchtigen, von dem intriganten Haus der Hohenzollern, das matt demüthigen
müsse, bricht die deutsche Reform in ein pietistisches Gewinsel ans, und versichert
mit der unerhörtesten Naivität: alle Welt liebt und ehrt uus, alle Welt ist mit
uns in Frieden, wir würden sie nnr reizen, wenn wir uns wehren wollten; in
dem Augenblick, wo die österreichische Partei Preußen willenlos zu den Füßen
heikler Gegner wirft, radotirt das Organ derselben von dem Schwert Friedrichs,
von den Nheinbnndskönigcn, und erklärt, jetzt solle der Widerstand erst losgehen:
wir wollen Alles thun, was ihr wollt, Alles! Aber wenn ihr uns daun noch
schlagt, dann stehen wir für nichts!

Der Ekel, den ein solches Treiben in einem noch nicht ganz verwahrlosten
Gemüth erregen muß, ist zu groß, als daß die vorherrschend conservative Gesin¬
nung des preußischen Volks ihm irgeud ein Gegengewicht halten könnte. Und als
der alleinige Gegenstand dieser Empfindung, ans den sie sich ganz und ungetheilt
concentriren kann, bietet sich das Ministerium.

Denn es kann in dem vorliegenden Fall sich nicht damit entschuldigen --
was es in der dänischen Frage allenfalls behaupten konnte, daß es in eine fertige
Situation getreten sei, aus der auf eine audere Weise gar nicht herauszukommen
war. Es hat vielmehr in der Hauptsache, auf die es hier allkommt, in der
deutschen Angelegenheit, seine Lage ganz und gar sich selbst bereitet, ohne irgend
eine änßere Nöthigung, ohne ein zwingendes Verhältniß, ohne eine anerkannte
Verpflichtung gegell irgend Wen.

Die Krisis, welche jetzt zum Ausbruch gekommen ist, hat ihren erstell Ur¬
sprung in der Note vom 23. Januar 1849, alle folgenden Schritte haben sich
mit innerer Nothwendigkeit daraus entwickelt. Wenn das Miiusterium nicht ans
Kindern bestand, so mußte es die Hindernisse seiner Pläne gerade so kommen
sehen, wie sie gekommen sind, lind wenn es deu Willen hatte, was es wollte,
männlich durchzuführen, so mußte es sich rüsten, diese Hindernisse mit Gewalt zu
beseitigen.

Das erste selbstständige Auftreten Preußens in der deutschen Sache, die Note
vom 23. Januar -- an der wenigstens Herr v. Radowitz unschuldig ist, dem
man so gern die spätern Schritte imputireu möchte, als ob ein llnverantwortlicher
Rathgeber der Krone die verantwortlichen Vertreter derselben decken könnte --
war ebensowohl gegen Oestreich und die Particularisten, als gegen Frankfurt ge¬
richtet. Doch stand sie den Allsichten der constitutionellen Partei in Frankfurt
näher, und man konnte eine Verständigung Hoffell. Daß diese nicht eintrat, daß
man in April mit den Constitutionellen ebenso brach, als mit den Demokraten,
das will ich bellte dem Novemberministerinm nicht zur Last legen. Es blieb sich
darin wenigstens consequent, der Verfassungsentwurf vom 26. Mai, der vou dem


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wo sie mit einer unerhörten Verachtung aller Formell, die sonst unter civilisirten
Völkern üblich sind, v^in dem barbarischen Slavenstamm der Preußen sprechen,
den man züchtigen, von dem intriganten Haus der Hohenzollern, das matt demüthigen
müsse, bricht die deutsche Reform in ein pietistisches Gewinsel ans, und versichert
mit der unerhörtesten Naivität: alle Welt liebt und ehrt uus, alle Welt ist mit
uns in Frieden, wir würden sie nnr reizen, wenn wir uns wehren wollten; in
dem Augenblick, wo die österreichische Partei Preußen willenlos zu den Füßen
heikler Gegner wirft, radotirt das Organ derselben von dem Schwert Friedrichs,
von den Nheinbnndskönigcn, und erklärt, jetzt solle der Widerstand erst losgehen:
wir wollen Alles thun, was ihr wollt, Alles! Aber wenn ihr uns daun noch
schlagt, dann stehen wir für nichts!

Der Ekel, den ein solches Treiben in einem noch nicht ganz verwahrlosten
Gemüth erregen muß, ist zu groß, als daß die vorherrschend conservative Gesin¬
nung des preußischen Volks ihm irgeud ein Gegengewicht halten könnte. Und als
der alleinige Gegenstand dieser Empfindung, ans den sie sich ganz und ungetheilt
concentriren kann, bietet sich das Ministerium.

Denn es kann in dem vorliegenden Fall sich nicht damit entschuldigen —
was es in der dänischen Frage allenfalls behaupten konnte, daß es in eine fertige
Situation getreten sei, aus der auf eine audere Weise gar nicht herauszukommen
war. Es hat vielmehr in der Hauptsache, auf die es hier allkommt, in der
deutschen Angelegenheit, seine Lage ganz und gar sich selbst bereitet, ohne irgend
eine änßere Nöthigung, ohne ein zwingendes Verhältniß, ohne eine anerkannte
Verpflichtung gegell irgend Wen.

Die Krisis, welche jetzt zum Ausbruch gekommen ist, hat ihren erstell Ur¬
sprung in der Note vom 23. Januar 1849, alle folgenden Schritte haben sich
mit innerer Nothwendigkeit daraus entwickelt. Wenn das Miiusterium nicht ans
Kindern bestand, so mußte es die Hindernisse seiner Pläne gerade so kommen
sehen, wie sie gekommen sind, lind wenn es deu Willen hatte, was es wollte,
männlich durchzuführen, so mußte es sich rüsten, diese Hindernisse mit Gewalt zu
beseitigen.

Das erste selbstständige Auftreten Preußens in der deutschen Sache, die Note
vom 23. Januar — an der wenigstens Herr v. Radowitz unschuldig ist, dem
man so gern die spätern Schritte imputireu möchte, als ob ein llnverantwortlicher
Rathgeber der Krone die verantwortlichen Vertreter derselben decken könnte —
war ebensowohl gegen Oestreich und die Particularisten, als gegen Frankfurt ge¬
richtet. Doch stand sie den Allsichten der constitutionellen Partei in Frankfurt
näher, und man konnte eine Verständigung Hoffell. Daß diese nicht eintrat, daß
man in April mit den Constitutionellen ebenso brach, als mit den Demokraten,
das will ich bellte dem Novemberministerinm nicht zur Last legen. Es blieb sich
darin wenigstens consequent, der Verfassungsentwurf vom 26. Mai, der vou dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/251>, abgerufen am 22.07.2024.