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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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bauen konnte; die Verhältnisse waren zuletzt von der Art, daß man in den ein¬
zelnen Fällen gar nicht mehr sagen konnte, das ist Recht und das ist Unrecht.

Aber die neueste rettende That gehört nicht zu denen, die wieder gut zu
machen sind, sie verrückt die Fundamente des Staats. Und mehr noch, sie ver¬
letzt ein Gefühl, welches mit allen Institutionen des preußischen Staates,
vorzüglich mit denen, die seinen eigentlichen Charakter ausmachen, so innig
verwachsen ist, daß es nicht ganz ausgerottet werden konnte, das Gefühl
seiner Ehre. Wilhelm Jordan behauptete einmal in der Paulskirche vom
preußischen Volk, eS sei deutsch gesinnt, es wisse es nnr nicht; mit größerem
Rechte kann man jetzt sagen: es hat Ehrgefühl, es weiß es nur nicht.
Darin hat das Ministerium sich getäuscht. Wohl war der Krieg ein unge¬
heures Uebel für Preußen, und mit schwerem Herzen hätte der Kern der Be¬
völkerung sich dazu entschlossen; aber dieselben Männer, die jetzt im Stillen froh
darüber siud. daß es so gekommen ist, daß es ohne ihre Betheiligung so ge-
kommen ist, werdeu die Empfindung der Schmach so lange in sich herumtragen,
bis sie mächtiger ist als sie, bis sie froh sind, die Urheber derselben zur Verant-
wortung zu ziehen. Von diesem Tage beginnt eine Reaction im entgegengesetzten
Sinne als diejenige, welche znerst durch die Frankfurter Mordthaten hervorge¬
rufen wurde, eine Reaction, die mit dem Sturz des Ministeriums und mit der
vollständigen Umwandlung des Systems schließen wird, denn die Einrichtungen
unsers Staates, namentlich unserer Bureaukratie und unsers Heeres, siud von
der Art, daß in den gewöhnlichen Fällen des Staatslebens das Volk zwar gar
keinen Willen hat, daß, wenn es aber einmal dazu kommt, eiuen zu haben --
das echte Volk, uicht die von deu Demagogen gebildete Pöbelmasse -- die ganze
Heiligkeit und Majestät der Krone nicht im Stande ist, ihm Widerstand zu leisten.

Wir können dem Ministerium nachrühmen, daß es alle Kräfte aufbietet,
die Schmach so eclatant, so auffallend, so unleugbar vor Aller Augen hinzustellen,
daß auch das stumpfeste Gefühl davou berührt werden muß. Denn uicht allem,
daß es durch seine herausfordernde Impertinenz den Haß aller entgegenstehenden
Regierungen, dnrch sein späteres Zurückweichen >im Angenblick der Gefahr ihre
Verachtung so auf sich geladen hat, daß die Organe des deutschen Particularismus
(die Sachsenzeitung n. s. w.) so frech sein können, dem preußischen Staat, welchen
sie im Sünderhemde, den Strick um den Hals und mit gefalteten Händen vor sich
auf den Knien zu erblicken meinen, großmüthigst zu verzeihen. -- Die Sachsen¬
zeitung dem preußischen Staat!! -- nicht allein, daß seine Unterwerfung so
vollständig, so demüthig ist, daß es ihr gar keine Grenze setzen, gar nicht den
Punkt mehr finden kann, wo seine Demüthigung aufhört, nein, es läßt seine
anerkannten Organe eine Sprache führen, die so feig ist, die nicht zu leugnende
Schande durch die kläglichste Prahlerei noch schärfer hervorzuheben. In dem
Augenblick, wo alle Gegner Preußens mit gezücktem Schwert ihm gegenüberstehen,


bauen konnte; die Verhältnisse waren zuletzt von der Art, daß man in den ein¬
zelnen Fällen gar nicht mehr sagen konnte, das ist Recht und das ist Unrecht.

Aber die neueste rettende That gehört nicht zu denen, die wieder gut zu
machen sind, sie verrückt die Fundamente des Staats. Und mehr noch, sie ver¬
letzt ein Gefühl, welches mit allen Institutionen des preußischen Staates,
vorzüglich mit denen, die seinen eigentlichen Charakter ausmachen, so innig
verwachsen ist, daß es nicht ganz ausgerottet werden konnte, das Gefühl
seiner Ehre. Wilhelm Jordan behauptete einmal in der Paulskirche vom
preußischen Volk, eS sei deutsch gesinnt, es wisse es nnr nicht; mit größerem
Rechte kann man jetzt sagen: es hat Ehrgefühl, es weiß es nur nicht.
Darin hat das Ministerium sich getäuscht. Wohl war der Krieg ein unge¬
heures Uebel für Preußen, und mit schwerem Herzen hätte der Kern der Be¬
völkerung sich dazu entschlossen; aber dieselben Männer, die jetzt im Stillen froh
darüber siud. daß es so gekommen ist, daß es ohne ihre Betheiligung so ge-
kommen ist, werdeu die Empfindung der Schmach so lange in sich herumtragen,
bis sie mächtiger ist als sie, bis sie froh sind, die Urheber derselben zur Verant-
wortung zu ziehen. Von diesem Tage beginnt eine Reaction im entgegengesetzten
Sinne als diejenige, welche znerst durch die Frankfurter Mordthaten hervorge¬
rufen wurde, eine Reaction, die mit dem Sturz des Ministeriums und mit der
vollständigen Umwandlung des Systems schließen wird, denn die Einrichtungen
unsers Staates, namentlich unserer Bureaukratie und unsers Heeres, siud von
der Art, daß in den gewöhnlichen Fällen des Staatslebens das Volk zwar gar
keinen Willen hat, daß, wenn es aber einmal dazu kommt, eiuen zu haben —
das echte Volk, uicht die von deu Demagogen gebildete Pöbelmasse — die ganze
Heiligkeit und Majestät der Krone nicht im Stande ist, ihm Widerstand zu leisten.

Wir können dem Ministerium nachrühmen, daß es alle Kräfte aufbietet,
die Schmach so eclatant, so auffallend, so unleugbar vor Aller Augen hinzustellen,
daß auch das stumpfeste Gefühl davou berührt werden muß. Denn uicht allem,
daß es durch seine herausfordernde Impertinenz den Haß aller entgegenstehenden
Regierungen, dnrch sein späteres Zurückweichen >im Angenblick der Gefahr ihre
Verachtung so auf sich geladen hat, daß die Organe des deutschen Particularismus
(die Sachsenzeitung n. s. w.) so frech sein können, dem preußischen Staat, welchen
sie im Sünderhemde, den Strick um den Hals und mit gefalteten Händen vor sich
auf den Knien zu erblicken meinen, großmüthigst zu verzeihen. — Die Sachsen¬
zeitung dem preußischen Staat!! — nicht allein, daß seine Unterwerfung so
vollständig, so demüthig ist, daß es ihr gar keine Grenze setzen, gar nicht den
Punkt mehr finden kann, wo seine Demüthigung aufhört, nein, es läßt seine
anerkannten Organe eine Sprache führen, die so feig ist, die nicht zu leugnende
Schande durch die kläglichste Prahlerei noch schärfer hervorzuheben. In dem
Augenblick, wo alle Gegner Preußens mit gezücktem Schwert ihm gegenüberstehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/250>, abgerufen am 22.07.2024.