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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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von Schaumburg gefehlt. Sie war in Ostende und dies war für Hassenpflug
um so günstiger, als sie, seitdem er, wie die Gräfin sagte, "Kurhessen in Berlin
unverantwortlich blamirt hatte" entschieden gegen diesen Minister überhaupt ge¬
stimmt war. Daß diese Fran sür die Abdication des Kurfürsten sei oder gewesen
sei, läßt sich viel eher aus ihren häuslichen Verhältnissen, die anch von dem Er¬
folg der Herrschcrthaten desMnrfürsten Färbung erhalten, erklären und annehmen,
als das Gegentheil. Der Kurfürst selbst aber hat ganz gewiß zu keiner Stunde
an seinen Rücktritt von der Negierung gedacht; wer das geglaubt hat, hat bewiesen,
daß er diesen Fürsten uicht vou ferne kennt. Leidend mag er aussehen, denn
eine innersten Gefühle, seine heftigsten Stimmungen sind durch die Menschen,
mit denen er sich verbunden hat, wie dnrch den Gang der Ereignisse in der stärksten
Weise verletzt. Er muß zur Gewißheit gekommen sein, wie er getäuscht, gebraucht,
in die peinlichste Situation gegen seinen sonst überall eingreifenden Willen gebracht
worden ist. Der Widerstand der Behörden, die totale Erfolglosigkeit seiner landes-
väterlichen Ansprache an die Wähler, kurz alle für ihn so herbe Ersahrungen bis
zu jenem Schritt des Officiercorps, in welchem er nnr das ungehorsame Wider¬
streben gegen seiue Befehle, uicht den Heroismus des Opfers, deu mit brechendem
Herzen besiegelten Gehorsam gegen ihn als Militärchef und die Landesgesetze zu¬
gleich zu erkennen vermögen wird -- das muß ihn zerrüttet und gebrochen haben.
Und wenn er auch vielleicht keine Ahnung davon hat, wie ein ihm theueres Gut,
die ungeheuere Civilliste mit dem Angriff auf die Verfassungsurkunde, in welcher
sie ihren Rechtsboden besitzt, den festesten Schild gegen die in dem so oft ange¬
führten ,,höhern Recht" wohlbegründeten dereinstigen Angriffe und Abstimmungen
verliert; wenn er anch nicht sieht, wie er nach Auflösung der kurhessischeu Armee
der Spielball eines östreichischen oder bairischen Tagesbefehls wird: sein: "Vor¬
wärts mit Hassenpflug" hat er doch nicht mit der starken Stimme des siegahncn-
den Kämpfers, sondern kleinlaut wie ein entwaffneter Besiegter gesprochen -- um
den letzten Versuch zu machen, sich selbst Muth zuzusprechen; er mag ahnen, daß
es leicht sein letztes Wort ist.

Auch der preußische Gesandte Herr v. Thiele hat die östreichischen Machi-
nationen und dem ans der eigenen Noth entsprungenen Drängen Hassen-
pflug's zu immer derbern Gewaltstreichen die Wege sehr erleichtert, wenn anch
wahrscheinlich sehr wider Willen und Wissen. Wir können wenigstens weder einer
ungewöhnlich tiefen Strömung der Politik des preußischen Cabinets auf den
Grund sehen, noch hat uns die thatsächliche Erfahrung über ein ganz besonderes
Meisterstück der Diplomatie seitens des Herrn v. Thiele eine Ueberraschung be¬
reitet, daß wir seine unbegreifliche längere Abwesenheit gerade während der eroti¬
schesten Zeit einem andern Umstände als einer kurzsichtigen Sorglosigkeit und
naiver Unbekanntschaft mit dein Gang der Ereignisse in Kassel zuzuschreiben ver¬
möchten. "Ganz spät, nachdem die Theilung längst geschehen -- Kam Thiele


von Schaumburg gefehlt. Sie war in Ostende und dies war für Hassenpflug
um so günstiger, als sie, seitdem er, wie die Gräfin sagte, „Kurhessen in Berlin
unverantwortlich blamirt hatte" entschieden gegen diesen Minister überhaupt ge¬
stimmt war. Daß diese Fran sür die Abdication des Kurfürsten sei oder gewesen
sei, läßt sich viel eher aus ihren häuslichen Verhältnissen, die anch von dem Er¬
folg der Herrschcrthaten desMnrfürsten Färbung erhalten, erklären und annehmen,
als das Gegentheil. Der Kurfürst selbst aber hat ganz gewiß zu keiner Stunde
an seinen Rücktritt von der Negierung gedacht; wer das geglaubt hat, hat bewiesen,
daß er diesen Fürsten uicht vou ferne kennt. Leidend mag er aussehen, denn
eine innersten Gefühle, seine heftigsten Stimmungen sind durch die Menschen,
mit denen er sich verbunden hat, wie dnrch den Gang der Ereignisse in der stärksten
Weise verletzt. Er muß zur Gewißheit gekommen sein, wie er getäuscht, gebraucht,
in die peinlichste Situation gegen seinen sonst überall eingreifenden Willen gebracht
worden ist. Der Widerstand der Behörden, die totale Erfolglosigkeit seiner landes-
väterlichen Ansprache an die Wähler, kurz alle für ihn so herbe Ersahrungen bis
zu jenem Schritt des Officiercorps, in welchem er nnr das ungehorsame Wider¬
streben gegen seiue Befehle, uicht den Heroismus des Opfers, deu mit brechendem
Herzen besiegelten Gehorsam gegen ihn als Militärchef und die Landesgesetze zu¬
gleich zu erkennen vermögen wird — das muß ihn zerrüttet und gebrochen haben.
Und wenn er auch vielleicht keine Ahnung davon hat, wie ein ihm theueres Gut,
die ungeheuere Civilliste mit dem Angriff auf die Verfassungsurkunde, in welcher
sie ihren Rechtsboden besitzt, den festesten Schild gegen die in dem so oft ange¬
führten ,,höhern Recht" wohlbegründeten dereinstigen Angriffe und Abstimmungen
verliert; wenn er anch nicht sieht, wie er nach Auflösung der kurhessischeu Armee
der Spielball eines östreichischen oder bairischen Tagesbefehls wird: sein: „Vor¬
wärts mit Hassenpflug" hat er doch nicht mit der starken Stimme des siegahncn-
den Kämpfers, sondern kleinlaut wie ein entwaffneter Besiegter gesprochen — um
den letzten Versuch zu machen, sich selbst Muth zuzusprechen; er mag ahnen, daß
es leicht sein letztes Wort ist.

Auch der preußische Gesandte Herr v. Thiele hat die östreichischen Machi-
nationen und dem ans der eigenen Noth entsprungenen Drängen Hassen-
pflug's zu immer derbern Gewaltstreichen die Wege sehr erleichtert, wenn anch
wahrscheinlich sehr wider Willen und Wissen. Wir können wenigstens weder einer
ungewöhnlich tiefen Strömung der Politik des preußischen Cabinets auf den
Grund sehen, noch hat uns die thatsächliche Erfahrung über ein ganz besonderes
Meisterstück der Diplomatie seitens des Herrn v. Thiele eine Ueberraschung be¬
reitet, daß wir seine unbegreifliche längere Abwesenheit gerade während der eroti¬
schesten Zeit einem andern Umstände als einer kurzsichtigen Sorglosigkeit und
naiver Unbekanntschaft mit dein Gang der Ereignisse in Kassel zuzuschreiben ver¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/234>, abgerufen am 26.07.2024.