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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wie es bei der G. Sand geschehen wäre, wenn ihr realistischer Sinn sie nicht
aus ihren hochfliegenden Träumereien in die bedingte Welt des endlichen Lebens
zurückgeführt hätte.

Die Natur dieses Denkens und Empfindens läßt sich auf den Mangel an
objectiver Beschäftigung zurückführen. Mantaigne, Pascal, Rousseau, die Ian-
senisten überhaupt waren einsame Denker, denen jede weltliche Thätigkeit ver¬
dächtig war. Bei den Frauen findet ein ganz ähnliches Verhältniß statt. Man
wird aber zuletzt verwirrt, wenn man beständig in sich hineinspricht.

Vandreuil ist durch seiue legitimistischen Ansichten vom Staatsleben ausgeschlos¬
sen ; seiue Güter scheinen in so gutem Stand zu sein, daß er sich uicht viel darum
zu kümmern braucht. So hat er denn hinlängliche Muße zu innerer Betrachtung,
d. h. zu Träumereien. Seine philosophischen Studien gehen ans dem Traumleben
nicht heraus, einerlei, welches Ziel sie sich augenblicklich stecken. Nachdem er sich
zuletzt mit Gott versöhnt nud so die ideale Seite seines Wahnes befriedigt hat,
wird die Frage schwer zu beantworten sein, was er nun weiter anfangen soll.

Mit der "Schollen Seele" seiner Gattin ist es auch eine bedenkliche Sache.
So empörend in der Indiana die unsittliche Trennung ist, in welcher die l'emwe
inenmpi'ise sich ihrem realistischen Gemahl gegenüber erhält, weil sie sich von
vornherein in den Kopf gesetzt hat, er sei nicht geeignet, sie zu verstehen, so lästig
muß auf die Länge dieses Bestreben werden, sich mit ihm in beständigem Seelen¬
rapport zu erhalten, dieses ewige Vigiliren auf die Natur seiner Ansichten, seiner
Empfindungen, seines Glaubens. Die Meuscheu siud wahrhaft erfinderisch, sich
einander zu quälen, aus Liebe uicht weniger wie aus Haß. Wenn eine Frau
sich vou deu Reminiscenzen ihrer Kinderzeit nicht trennen mag, und den Glauben,
der ihr in denselben gegeben ist, durch Verstaudesgründe nicht erschüttern läßt, so
ist nichts dagegen zu sagen; eine gesunde Natur wird auch durch einen falschem
Glauben nicht corrumpirt, und bei Frauen kommt es überhaupt weniger darauf
an, wie sie räsonnireu, als wie sie empfinden; wenn sie aber ihr Gefühl als
Maßstab an das Denken und Empfinden ihres Mannes legt, so hat diese Be¬
rechtigung des Instincts gegenüber der Autonomie des Gedankens ihre Grenze.
Das Ueberschreiten derselben ist, auch wenn es vou einem feiugeftimmteu Herzen
ausgeht, immer eine Erscheinung jenes Hochmuths der Subjektivität, die nirgend
einen bequemern Spielraum sendet, als in religiösen Dingen.


nachträgliches zu Balzac.

Wir fügen uuserer Charakteristik in Heft 37 noch Einiges über die Reihen¬
folge seiner Schriften hinzu. -- In seiue erste Periode (1822--1826) gehören
die schlechten Bücher: Deux Rector, veux veringden, eiolilcle 6e I^usignan on
1e beau .tun, 1e Viemio 6e8 ^räennös, Annette et le Ornriwel. Die beiden
letzten sind insofern schon für Balzac's spätere Richtung charakteristisch, als der


wie es bei der G. Sand geschehen wäre, wenn ihr realistischer Sinn sie nicht
aus ihren hochfliegenden Träumereien in die bedingte Welt des endlichen Lebens
zurückgeführt hätte.

Die Natur dieses Denkens und Empfindens läßt sich auf den Mangel an
objectiver Beschäftigung zurückführen. Mantaigne, Pascal, Rousseau, die Ian-
senisten überhaupt waren einsame Denker, denen jede weltliche Thätigkeit ver¬
dächtig war. Bei den Frauen findet ein ganz ähnliches Verhältniß statt. Man
wird aber zuletzt verwirrt, wenn man beständig in sich hineinspricht.

Vandreuil ist durch seiue legitimistischen Ansichten vom Staatsleben ausgeschlos¬
sen ; seiue Güter scheinen in so gutem Stand zu sein, daß er sich uicht viel darum
zu kümmern braucht. So hat er denn hinlängliche Muße zu innerer Betrachtung,
d. h. zu Träumereien. Seine philosophischen Studien gehen ans dem Traumleben
nicht heraus, einerlei, welches Ziel sie sich augenblicklich stecken. Nachdem er sich
zuletzt mit Gott versöhnt nud so die ideale Seite seines Wahnes befriedigt hat,
wird die Frage schwer zu beantworten sein, was er nun weiter anfangen soll.

Mit der „Schollen Seele" seiner Gattin ist es auch eine bedenkliche Sache.
So empörend in der Indiana die unsittliche Trennung ist, in welcher die l'emwe
inenmpi'ise sich ihrem realistischen Gemahl gegenüber erhält, weil sie sich von
vornherein in den Kopf gesetzt hat, er sei nicht geeignet, sie zu verstehen, so lästig
muß auf die Länge dieses Bestreben werden, sich mit ihm in beständigem Seelen¬
rapport zu erhalten, dieses ewige Vigiliren auf die Natur seiner Ansichten, seiner
Empfindungen, seines Glaubens. Die Meuscheu siud wahrhaft erfinderisch, sich
einander zu quälen, aus Liebe uicht weniger wie aus Haß. Wenn eine Frau
sich vou deu Reminiscenzen ihrer Kinderzeit nicht trennen mag, und den Glauben,
der ihr in denselben gegeben ist, durch Verstaudesgründe nicht erschüttern läßt, so
ist nichts dagegen zu sagen; eine gesunde Natur wird auch durch einen falschem
Glauben nicht corrumpirt, und bei Frauen kommt es überhaupt weniger darauf
an, wie sie räsonnireu, als wie sie empfinden; wenn sie aber ihr Gefühl als
Maßstab an das Denken und Empfinden ihres Mannes legt, so hat diese Be¬
rechtigung des Instincts gegenüber der Autonomie des Gedankens ihre Grenze.
Das Ueberschreiten derselben ist, auch wenn es vou einem feiugeftimmteu Herzen
ausgeht, immer eine Erscheinung jenes Hochmuths der Subjektivität, die nirgend
einen bequemern Spielraum sendet, als in religiösen Dingen.


nachträgliches zu Balzac.

Wir fügen uuserer Charakteristik in Heft 37 noch Einiges über die Reihen¬
folge seiner Schriften hinzu. — In seiue erste Periode (1822—1826) gehören
die schlechten Bücher: Deux Rector, veux veringden, eiolilcle 6e I^usignan on
1e beau .tun, 1e Viemio 6e8 ^räennös, Annette et le Ornriwel. Die beiden
letzten sind insofern schon für Balzac's spätere Richtung charakteristisch, als der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/23>, abgerufen am 24.08.2024.