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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Prinz Eugen der edle Ritter und: die Glocke von Capcrnanm! -- und endlich
gar das eigentliche Christfest!

Schon vier Wochen vorher war die Freundin in großer stiller Aufregung.
Die Mantille rauschte doppelt geisterhaft und geheimnisvoll, die Stube war un¬
wegsam, wie eine Cajüte vou lauter namenlosen, herrenlosen Effekten, welche
durch große Tücher so sorgfältig verdeckt waren, daß uur selten ein Hanswurst¬
bein, oder eine Bandschleife hervorzugucken wagte. Und wie nähte, schueiderte
und strickte die Agnes. Traf ich sie nicht einst allein in ihrer Stube, als sie
über einen riesigen alten Regenschirm von rothem Baumwollenzeug hergefallen
war und mit der Scheere begeistert in ihn hineinschnitt; sie hing an ihm, wie
eine Hummel in dem Kelch einer Tulpe. Und als ich sie frug, weshalb sie gegen
deu guten alten Schirm wüthe, wie schlau und selbstgefällig setzte sie mir aus¬
einander, daß er ein prächtiges Futter abgeben werde für den Bournus ihres
kleinen Pflegesohns. Und das ist wahr gewesen, kein Mensch hat dem Mäntel¬
chen angemerkt, woher sein Inwendiges stammte, und wenn der kleine Kerl darin
umherstapfte und wir ihn ansahen, dann winkte sie mir mit sehr glücklichem
Gesicht geheimnißvoll zu.

Die Pracht der Einbescheerung aber zu schildern, bin ich gar nicht im Stande.
Diese vielen Wachöstöckchen und dieser furchtbar große Weihnachtsbaum, und diese
Masse vou kleinen Geschenken auf zwei langen Tafeln in vielen Portionen, und
bei jeder ein allerliebstes grün und roth gemaltes Licht. Zuerst kamen die Armen,
dann die Kinder, daun die Freunde. Jeder erhielt und versuchte zu geben. Das
war ein Staunenswerthes Durcheinander vou Danksagungen und Händedrücken, von
freudigem Entsetzen und hübsch gespieltem Erstaunen. All dem Abend saß die kleine
Dame zuletzt da, wie eine Königin, etwas müde und angegriffen von dem Lärm
und der Freude, aber ihre Augen glänzten von Seligkeit und Rührung.^

Gute Freundin! Deine Bücher für Kinder liegen in neuer Ausgabe vor mir,
du selbst schläfst seit Jahren den ewigen Schlaf. Doch die Kleinen, die dn erzogen,
gedeihen; die Lieder, die dn geschriebell, werden von vielen Kinderlippen ge¬
sungen, lind die Menschen, die dich gekannt, wären nicht im Stande, dich zu
vergessen, anch wenn sie wollten. Wie auch die Gegellwart unsre Seele in Allspruch
nimmt, wenn Weihnacht herankommt, der Schnee an den Fenstern hängt und die
Klingel den Kindern die Gegenwart des Christkinds meldet, dann wenigstens
werden die Erwachsenen, die Dich geliebt haben, Dein gedenken!




Prinz Eugen der edle Ritter und: die Glocke von Capcrnanm! — und endlich
gar das eigentliche Christfest!

Schon vier Wochen vorher war die Freundin in großer stiller Aufregung.
Die Mantille rauschte doppelt geisterhaft und geheimnisvoll, die Stube war un¬
wegsam, wie eine Cajüte vou lauter namenlosen, herrenlosen Effekten, welche
durch große Tücher so sorgfältig verdeckt waren, daß uur selten ein Hanswurst¬
bein, oder eine Bandschleife hervorzugucken wagte. Und wie nähte, schueiderte
und strickte die Agnes. Traf ich sie nicht einst allein in ihrer Stube, als sie
über einen riesigen alten Regenschirm von rothem Baumwollenzeug hergefallen
war und mit der Scheere begeistert in ihn hineinschnitt; sie hing an ihm, wie
eine Hummel in dem Kelch einer Tulpe. Und als ich sie frug, weshalb sie gegen
deu guten alten Schirm wüthe, wie schlau und selbstgefällig setzte sie mir aus¬
einander, daß er ein prächtiges Futter abgeben werde für den Bournus ihres
kleinen Pflegesohns. Und das ist wahr gewesen, kein Mensch hat dem Mäntel¬
chen angemerkt, woher sein Inwendiges stammte, und wenn der kleine Kerl darin
umherstapfte und wir ihn ansahen, dann winkte sie mir mit sehr glücklichem
Gesicht geheimnißvoll zu.

Die Pracht der Einbescheerung aber zu schildern, bin ich gar nicht im Stande.
Diese vielen Wachöstöckchen und dieser furchtbar große Weihnachtsbaum, und diese
Masse vou kleinen Geschenken auf zwei langen Tafeln in vielen Portionen, und
bei jeder ein allerliebstes grün und roth gemaltes Licht. Zuerst kamen die Armen,
dann die Kinder, daun die Freunde. Jeder erhielt und versuchte zu geben. Das
war ein Staunenswerthes Durcheinander vou Danksagungen und Händedrücken, von
freudigem Entsetzen und hübsch gespieltem Erstaunen. All dem Abend saß die kleine
Dame zuletzt da, wie eine Königin, etwas müde und angegriffen von dem Lärm
und der Freude, aber ihre Augen glänzten von Seligkeit und Rührung.^

Gute Freundin! Deine Bücher für Kinder liegen in neuer Ausgabe vor mir,
du selbst schläfst seit Jahren den ewigen Schlaf. Doch die Kleinen, die dn erzogen,
gedeihen; die Lieder, die dn geschriebell, werden von vielen Kinderlippen ge¬
sungen, lind die Menschen, die dich gekannt, wären nicht im Stande, dich zu
vergessen, anch wenn sie wollten. Wie auch die Gegellwart unsre Seele in Allspruch
nimmt, wenn Weihnacht herankommt, der Schnee an den Fenstern hängt und die
Klingel den Kindern die Gegenwart des Christkinds meldet, dann wenigstens
werden die Erwachsenen, die Dich geliebt haben, Dein gedenken!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/224>, abgerufen am 24.07.2024.