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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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mnßie sich sorgfältig hüten, irgend ein Ding, welches an irgend einem Orte lag,
anzusehn, weil man immer fürchten konnte, daß es ein kleines Geschenk sei, welches
die Freundin vergnügt bis zum rechten Augenblick versteckt hatte.

In ihren Gedichten und Erzählungen hat sie oft mit Engeln, Blumen und
unsrem Herrgott Verkehr. Wenn ein Weltkind das liest, wird ihm manchmal des
Guten zu viel; wenn man mit ihr umging, merkte man davon nicht mehr, als
nützlich für die gute Lanne war; ja man merkte überhaupt nicht, daß man bei
einer Dichterin saß. Ein Jahr lang waren wir mit einander gute Leute gewesen
und ich hatte uoch kein Wort vou ihr gelesen. Und als ich ihr einmal bei
gelegentlichem Händeschütteln das erzählte, geriet!) sie in außerordentliche Sorge
und meinte, ich sollte das niemals thun, denn ihre Poeterei könne uns Männern
nicht gefallen, und sah dabei so liebevoll besorgt und befangen ans, daß selbst der
Mensch hingebend wurde und Alles las, was sie geschrieben hatte, der sonstwie
ein grober Nußknacker unter den hellen freundlichen Gerätschaften ihrer Woh¬
nung stand.

Ihr ganzes Leben war ein Christabend. Und nun vollends die Weihnachts¬
zeit! Da wurde ihre innere Heiterkeit riesengroß und ihre Stube glänzte vor
Behagen. Schon vom frühen Morgen ab sah man Leute zu ihr hinaufschleichen,
solche Leute, die uicht auf der Sonnenseite des Glücks stehn, mit Krücken, mit
zerrissenen Schleiern vor dem Gesicht und Bettelkinder auf allen Vieren. Und
häufig kounte Ulan kurz darauf die Fränzchen sehn, wie sie im Hut und der
Mantille aus ihrem Dachstübchen herunterstieg und eilig durch den Winterschnee
raschelte, bald in schlechte Hütten, bald in große Hänser, wo die Reichen wohn¬
ten. Doch da sie selbst nie von diesen Gängen sprach, wollen wir anch nicht
davon reden.

Aber an den Winterabenden, wenn die vier Kleinen nur den Sessel der Tante
standen und kauerten, das Lampenlicht wohlgefällig ans den weißen Theetassen
glänzte, da gab's eine endlose Reihe von Kinderfehler. Da war das Vrat-
äpfelfest, wo die Kinder wie Indianer um die große Schüssel voll Pelzäpfel eine
Art Kriegstauz aufführten und allerliebste Lieder saugen, welche Fränzchen auf
dem alten Clavier begleitete, bis zuletzt Alt und Jung in der Stube herumwälzte,
während die Freundin unaufhörlich und lächelnd die Musik machte, ja bis selbst
Tische und Stühle zuvorkommend ihre Beine einzogen und ihr eckiges Wesen
merkwürdig verbargen, weil ohne ihre Nachgiebigkeit das Tanzen in dem engen
Raum ganz unmöglich gewesen wäre. Dann das Fest des Bleigießeus, wo Agnes
sich nicht nehmen ließ, allen jungen und alten Gästen die Bedeutung ihres Gusses
auszulegen. Und wie schelmisch und sein that sie das, so daß das Gelächter und
sanftes Erröthett der jttttgen Damen gar nicht aufhörte; -- und ferner der Abend
der schwimmenden Nußschalen, wobei ungewöhnlich viel Nüsse verbraucht, und
zuletzt deu Nüssen zum Trotz Volkslieder und Canon's gesungen wurden, z. B.


mnßie sich sorgfältig hüten, irgend ein Ding, welches an irgend einem Orte lag,
anzusehn, weil man immer fürchten konnte, daß es ein kleines Geschenk sei, welches
die Freundin vergnügt bis zum rechten Augenblick versteckt hatte.

In ihren Gedichten und Erzählungen hat sie oft mit Engeln, Blumen und
unsrem Herrgott Verkehr. Wenn ein Weltkind das liest, wird ihm manchmal des
Guten zu viel; wenn man mit ihr umging, merkte man davon nicht mehr, als
nützlich für die gute Lanne war; ja man merkte überhaupt nicht, daß man bei
einer Dichterin saß. Ein Jahr lang waren wir mit einander gute Leute gewesen
und ich hatte uoch kein Wort vou ihr gelesen. Und als ich ihr einmal bei
gelegentlichem Händeschütteln das erzählte, geriet!) sie in außerordentliche Sorge
und meinte, ich sollte das niemals thun, denn ihre Poeterei könne uns Männern
nicht gefallen, und sah dabei so liebevoll besorgt und befangen ans, daß selbst der
Mensch hingebend wurde und Alles las, was sie geschrieben hatte, der sonstwie
ein grober Nußknacker unter den hellen freundlichen Gerätschaften ihrer Woh¬
nung stand.

Ihr ganzes Leben war ein Christabend. Und nun vollends die Weihnachts¬
zeit! Da wurde ihre innere Heiterkeit riesengroß und ihre Stube glänzte vor
Behagen. Schon vom frühen Morgen ab sah man Leute zu ihr hinaufschleichen,
solche Leute, die uicht auf der Sonnenseite des Glücks stehn, mit Krücken, mit
zerrissenen Schleiern vor dem Gesicht und Bettelkinder auf allen Vieren. Und
häufig kounte Ulan kurz darauf die Fränzchen sehn, wie sie im Hut und der
Mantille aus ihrem Dachstübchen herunterstieg und eilig durch den Winterschnee
raschelte, bald in schlechte Hütten, bald in große Hänser, wo die Reichen wohn¬
ten. Doch da sie selbst nie von diesen Gängen sprach, wollen wir anch nicht
davon reden.

Aber an den Winterabenden, wenn die vier Kleinen nur den Sessel der Tante
standen und kauerten, das Lampenlicht wohlgefällig ans den weißen Theetassen
glänzte, da gab's eine endlose Reihe von Kinderfehler. Da war das Vrat-
äpfelfest, wo die Kinder wie Indianer um die große Schüssel voll Pelzäpfel eine
Art Kriegstauz aufführten und allerliebste Lieder saugen, welche Fränzchen auf
dem alten Clavier begleitete, bis zuletzt Alt und Jung in der Stube herumwälzte,
während die Freundin unaufhörlich und lächelnd die Musik machte, ja bis selbst
Tische und Stühle zuvorkommend ihre Beine einzogen und ihr eckiges Wesen
merkwürdig verbargen, weil ohne ihre Nachgiebigkeit das Tanzen in dem engen
Raum ganz unmöglich gewesen wäre. Dann das Fest des Bleigießeus, wo Agnes
sich nicht nehmen ließ, allen jungen und alten Gästen die Bedeutung ihres Gusses
auszulegen. Und wie schelmisch und sein that sie das, so daß das Gelächter und
sanftes Erröthett der jttttgen Damen gar nicht aufhörte; — und ferner der Abend
der schwimmenden Nußschalen, wobei ungewöhnlich viel Nüsse verbraucht, und
zuletzt deu Nüssen zum Trotz Volkslieder und Canon's gesungen wurden, z. B.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/223>, abgerufen am 24.07.2024.