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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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zwar nicht des Banditen, sondern des Dichters. Eine ähnliche Renommage ist
aber kaum zu vermeiden, wo man sich fast ausschließlich in chargirteu Rollen be¬
wegt, wo der starke Charakter, ans Mangel an Gelegenheit, seine Kraft in
Actionen zu entfalten, mit seiner Kraft prahlen muß. Als ein abschreckendes
Beispiel ist Holofernes zu nennen, bei dem man unwillkürlich an das Sprichwort
erinnert wird: Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt. Hier kann:
mehr ein Schritt. Wollte man die Judith parodiren -- wozu die Lersuchnng
sehr nahe liegt -- so könnte man die Rolle des Holofernes vollkommen so lassen,
wie sie jetzt ist. Es ist in seinein Auftreten etwas vom Puppenspiel. Er erklärt
gravitätisch: Ich bin der gransame Holofernes, und schlage Jedem, dem ich will,
den Kopf ab, und nun läßt er Einem nach dem Andern den Kopf abschlagen, und
füllt die Zwischenpausen durch Jagdgeschichten ^ 1a Münchhausen aus, z. B., daß
er einmal, um zu probiren, ob es wehe thut, sich ans einem glühenden Rost
habe braten lassen, wo er uns die Erklärung schuldig bleibt, wie es zugegangen,
daß er davon gekommen ist. Es sind das sehr unkünstlerische Mittel, sowohldie
Aufzählung cquilibristischer Künste, -- in denen ihn ein Nerz und Tonrniaire
doch immer übertreffen werden, ohne deshalb die fanatische Anbetung irgend
eines Menschen zu erregen, als die willkürlich gehäuften Blasphemien, die man
immer noch überbieten konnte, denn die Willkür hat kein Maaß und keine Grenze.
-- Ganz anders wird es freilich in der Scene, wo die Leidenschaft in Fluß
kommt, wo der wilde Schwindel der Action auch dieser Marionette den Schein
des Lebens gibt. Die unnatürlich gesteigerte Hitze, die der Dichter anwenden
muß, um das spröde Erz zu schmelzen und in Fluß zu setzen, ist der zweite
Punkt, auf den wir nun übergehn.

Ganz ähnlich nämlich wie die Charaktere, wird anch die Handlung chargirt.
Weil die sentimentalen Dichter einen großen Lärm schlagen über Begebenheiten,
die nicht der Rede werth sind, bewahrt Hebbel bei den haarsträubendsten Hand¬
lungen eine raffinirte, imponirende Kälte, die ebenso gezwungen aussieht, als
die hohle Deklamation der Empfindsamkeit. Auch über die Art, wie er die Fabel
concipirt, geben uns einige kleine Novellen einen genanen Ausschluß. So die
Erzählung "Anne" in Engländer's Salon (1830), die nnr fünf Seiten enthält, und
in der n. a. Folgendes vorkommt: Eine junge Magd wird von dem Herrn in
Gegenwart der Knechte geohrfeigt, von einem der letztern verhöhnt. "Oh! oh!
stöhnte sie krampfhaft zusammenzuckend, sprang auf und packte deu hohnsprechenden
Buben bei Brust und Gesicht. Rasende! rief er erschreckend, und stieß sie, sich
ihrer mit aller Manneskraft erwehreud, zurück. Sie, als wüßte sie selbst nicht,
was sie gethan, starrte ihm nach mit weit aufgerissenen Augen." Während die
Andern sich zur Kirmeß putzen, muß sie in die Flachötammer an die Arbeit, "die
sie in dumpfer Emsigkeit begaun, und'wenn sie auch zuweilen in unbewußtes
Hinbrüten versank, doch sogleich aus diesem wie vor Schlangen- und Taranrclstich


zwar nicht des Banditen, sondern des Dichters. Eine ähnliche Renommage ist
aber kaum zu vermeiden, wo man sich fast ausschließlich in chargirteu Rollen be¬
wegt, wo der starke Charakter, ans Mangel an Gelegenheit, seine Kraft in
Actionen zu entfalten, mit seiner Kraft prahlen muß. Als ein abschreckendes
Beispiel ist Holofernes zu nennen, bei dem man unwillkürlich an das Sprichwort
erinnert wird: Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt. Hier kann:
mehr ein Schritt. Wollte man die Judith parodiren — wozu die Lersuchnng
sehr nahe liegt — so könnte man die Rolle des Holofernes vollkommen so lassen,
wie sie jetzt ist. Es ist in seinein Auftreten etwas vom Puppenspiel. Er erklärt
gravitätisch: Ich bin der gransame Holofernes, und schlage Jedem, dem ich will,
den Kopf ab, und nun läßt er Einem nach dem Andern den Kopf abschlagen, und
füllt die Zwischenpausen durch Jagdgeschichten ^ 1a Münchhausen aus, z. B., daß
er einmal, um zu probiren, ob es wehe thut, sich ans einem glühenden Rost
habe braten lassen, wo er uns die Erklärung schuldig bleibt, wie es zugegangen,
daß er davon gekommen ist. Es sind das sehr unkünstlerische Mittel, sowohldie
Aufzählung cquilibristischer Künste, — in denen ihn ein Nerz und Tonrniaire
doch immer übertreffen werden, ohne deshalb die fanatische Anbetung irgend
eines Menschen zu erregen, als die willkürlich gehäuften Blasphemien, die man
immer noch überbieten konnte, denn die Willkür hat kein Maaß und keine Grenze.
— Ganz anders wird es freilich in der Scene, wo die Leidenschaft in Fluß
kommt, wo der wilde Schwindel der Action auch dieser Marionette den Schein
des Lebens gibt. Die unnatürlich gesteigerte Hitze, die der Dichter anwenden
muß, um das spröde Erz zu schmelzen und in Fluß zu setzen, ist der zweite
Punkt, auf den wir nun übergehn.

Ganz ähnlich nämlich wie die Charaktere, wird anch die Handlung chargirt.
Weil die sentimentalen Dichter einen großen Lärm schlagen über Begebenheiten,
die nicht der Rede werth sind, bewahrt Hebbel bei den haarsträubendsten Hand¬
lungen eine raffinirte, imponirende Kälte, die ebenso gezwungen aussieht, als
die hohle Deklamation der Empfindsamkeit. Auch über die Art, wie er die Fabel
concipirt, geben uns einige kleine Novellen einen genanen Ausschluß. So die
Erzählung „Anne" in Engländer's Salon (1830), die nnr fünf Seiten enthält, und
in der n. a. Folgendes vorkommt: Eine junge Magd wird von dem Herrn in
Gegenwart der Knechte geohrfeigt, von einem der letztern verhöhnt. „Oh! oh!
stöhnte sie krampfhaft zusammenzuckend, sprang auf und packte deu hohnsprechenden
Buben bei Brust und Gesicht. Rasende! rief er erschreckend, und stieß sie, sich
ihrer mit aller Manneskraft erwehreud, zurück. Sie, als wüßte sie selbst nicht,
was sie gethan, starrte ihm nach mit weit aufgerissenen Augen." Während die
Andern sich zur Kirmeß putzen, muß sie in die Flachötammer an die Arbeit, „die
sie in dumpfer Emsigkeit begaun, und'wenn sie auch zuweilen in unbewußtes
Hinbrüten versank, doch sogleich aus diesem wie vor Schlangen- und Taranrclstich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/214>, abgerufen am 23.07.2024.