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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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andere. Erst die tragische, erschütternde Scene in der Kirche, dann die wahr¬
haft empörende zwischen den jungen Edelleuten und dem gekränkten Vater; dann
wieder die Tölpelei der Clowns -- die beiläufig in der Aufführung sehr lang¬
weilig sind -- es ist kein Grundton darin, der uus über diese Widersprüche be¬
ruhigt, denn die bloße Ironie des Scheins, die in dem Titel angedentet ist, kann
diesen nicht ersetzen. Es ist ein Geschmack, der uns bereits fremd ist.

Und doch ist "Viel Lärm um Nichts" vou allen Shakespeare'schen Lust¬
spielen nicht nur dasjenige, welches ans der Bühne noch am leichtesten sich her¬
stellen läßt, sondern welches anch den meisten innern Werth hat -- "Was ihr
wollt" allenfalls ausgenommen. Es ist ein Leben und eine Gesundheit in diesen
Figuren, die unsere Dichter beneiden müssen. Aber die angeführten Uebelstände
-- zu denen noch kommt, daß es bessere Schauspieler verlangt, als die sind,
deren wir uus erfreuen -- scheinen mir doch zu groß, als daß es in unserer
Zeit noch eine andere Rolle als die einer Studie spielen sollte.




Englische Literatur.

Von William Wordsworth ist ein posthumes Werk erschienen: IIis ?r6tuae
or Kro>olu ok 3 ?vel/s Rinck; an ^utoKioArgMoal ?ven. Es ist eigentlich schon
1799 angefangen und 1805 beendigt, und wurde von Coleridge in seinen sibyllinischen
Blättern als eine "göttliche Geschichte hoher und leidenschaftlicher Gedanken, die nach
ihrer eignen Musik gesungen wären", gefeiert, aber der Dichter hielt es dennoch in der
Mappe zurück, um erst nach seinem Tode veröffentlicht zu werden. Es enthält eine
Art Selbstbiographie in fünffüßigen ungereimten Jamben (blaue verse), in vierzehn
Bücher getheilt, in welchen der Dichter die Ereignisse seines Lebens und seiner Empfin¬
dungen von Kindheit an mittheilt; seine Erfahrungen zu Hause, in Cambridge, in
London und in Paris während der französischen Revolutionszeit; bis zu seiner Rückkehr
nach England. Es ist erfüllt von dem Bewußtsein des hohen Berufs, welcher dem
Poeten vorgezeichnet ist, und von seiner eignen Wichtigkeit. Die Diction schwankt
zwischen äußerster Prosa, wenn er bis in's kleinste Detail seiner jugendlichen Beschäfti¬
gungen eingeht, und einer ziemlich geschraubten Bildersprache, die nicht frei ist von un¬
mittelbaren Reminiscenzen früherer Dichter, namentlich Milton's. Die idyllischen Dar¬
stellungen der Kinderspiele, z. B. des Eislaufs, durch Coleridge's Citate schon früher
in England bekannt gemacht, sind mitunter vortrefflich; es fehlen auch uicht alle die
einsamen Träumereien, die ersten Liebesgefühle u. f. w., welche ein geborner Poet durch¬
zumachen hat. Aber auch Reflexionen über Parlament, Zuckerfrage, Parteikämpfe,
Whigs und Tones u. s. w.; von den letzteren kann man keineswegs sagen, daß sie
durch das Metrum gewinnen. Von Interesse ist, daß er die französische Revolution im
Princip wie in den Thatsachen vollständig billigt, eine Anerkennung, die so weit geht,
daß er offen seine Freude darüber ausspricht, wenn die Truppen seines eigenen Landes
von der Revolutionsarmee geschlagen werden. Doch besänftigen sich diese epischen Em-


andere. Erst die tragische, erschütternde Scene in der Kirche, dann die wahr¬
haft empörende zwischen den jungen Edelleuten und dem gekränkten Vater; dann
wieder die Tölpelei der Clowns — die beiläufig in der Aufführung sehr lang¬
weilig sind — es ist kein Grundton darin, der uus über diese Widersprüche be¬
ruhigt, denn die bloße Ironie des Scheins, die in dem Titel angedentet ist, kann
diesen nicht ersetzen. Es ist ein Geschmack, der uns bereits fremd ist.

Und doch ist „Viel Lärm um Nichts" vou allen Shakespeare'schen Lust¬
spielen nicht nur dasjenige, welches ans der Bühne noch am leichtesten sich her¬
stellen läßt, sondern welches anch den meisten innern Werth hat — „Was ihr
wollt" allenfalls ausgenommen. Es ist ein Leben und eine Gesundheit in diesen
Figuren, die unsere Dichter beneiden müssen. Aber die angeführten Uebelstände
— zu denen noch kommt, daß es bessere Schauspieler verlangt, als die sind,
deren wir uus erfreuen — scheinen mir doch zu groß, als daß es in unserer
Zeit noch eine andere Rolle als die einer Studie spielen sollte.




Englische Literatur.

Von William Wordsworth ist ein posthumes Werk erschienen: IIis ?r6tuae
or Kro>olu ok 3 ?vel/s Rinck; an ^utoKioArgMoal ?ven. Es ist eigentlich schon
1799 angefangen und 1805 beendigt, und wurde von Coleridge in seinen sibyllinischen
Blättern als eine „göttliche Geschichte hoher und leidenschaftlicher Gedanken, die nach
ihrer eignen Musik gesungen wären", gefeiert, aber der Dichter hielt es dennoch in der
Mappe zurück, um erst nach seinem Tode veröffentlicht zu werden. Es enthält eine
Art Selbstbiographie in fünffüßigen ungereimten Jamben (blaue verse), in vierzehn
Bücher getheilt, in welchen der Dichter die Ereignisse seines Lebens und seiner Empfin¬
dungen von Kindheit an mittheilt; seine Erfahrungen zu Hause, in Cambridge, in
London und in Paris während der französischen Revolutionszeit; bis zu seiner Rückkehr
nach England. Es ist erfüllt von dem Bewußtsein des hohen Berufs, welcher dem
Poeten vorgezeichnet ist, und von seiner eignen Wichtigkeit. Die Diction schwankt
zwischen äußerster Prosa, wenn er bis in's kleinste Detail seiner jugendlichen Beschäfti¬
gungen eingeht, und einer ziemlich geschraubten Bildersprache, die nicht frei ist von un¬
mittelbaren Reminiscenzen früherer Dichter, namentlich Milton's. Die idyllischen Dar¬
stellungen der Kinderspiele, z. B. des Eislaufs, durch Coleridge's Citate schon früher
in England bekannt gemacht, sind mitunter vortrefflich; es fehlen auch uicht alle die
einsamen Träumereien, die ersten Liebesgefühle u. f. w., welche ein geborner Poet durch¬
zumachen hat. Aber auch Reflexionen über Parlament, Zuckerfrage, Parteikämpfe,
Whigs und Tones u. s. w.; von den letzteren kann man keineswegs sagen, daß sie
durch das Metrum gewinnen. Von Interesse ist, daß er die französische Revolution im
Princip wie in den Thatsachen vollständig billigt, eine Anerkennung, die so weit geht,
daß er offen seine Freude darüber ausspricht, wenn die Truppen seines eigenen Landes
von der Revolutionsarmee geschlagen werden. Doch besänftigen sich diese epischen Em-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/205>, abgerufen am 23.07.2024.