Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Raum. -- Allerdings ist das viel bequemer, als wenn man sich bemüht, die
Scenen sorgfältig in einander zu verflechten, und eine innere Continuität der
Handlung hervorzubringen; aber um diese lose Manier als die höhere Kunstform
der regelmäßigen Komödie des Mandrischen, des französischen und selbst des spani¬
schen Theaters gegenüberzustellen, dazu gehört der verschrobene Geschmack unserer
romantischen Kuustlehrer. Mau führe mir uicht Lessing an! Freilich hat er die
Marotten der Pedanterie, den blos äußerlichen Calcul Boileau's bekämpft, aber er
hat in seinen eigenen Stücken die Einheit der Handlung viel strenger und ge¬
wissenhafter festgehalten, als irgend ein deutscher Dichter.

Ebenso schlimm ist die Gewalt, welche der Stimmung angethan wird. Man
pflegt dabei zweierlei zu verwechseln. Sehr häufig ist bei Shakespeare die Will¬
kür, in welcher die Stimmung gewechselt wird, nur eine scheinbare; sie hat
einen künstlerischem Zweck. Entweder soll sie dnrch den Contrast wirken -- wie es
Shakespeare vortrefflich versteht, eine Spannung durch Retardireu in's Fieber¬
hafte zu steigern; oder, was noch poetischer ist, er entwickelt das Entsetzliche an
seinem Gegensatz. So wird z. B. das Fürchterliche in der Leidenschaft Othello's
dnrch die teuflischen Cynismen, mit denen Iago ihn stachelt, indem er zugleich
seinem innern Jubel Luft macht, keineswegs vermindert, jeder neue wilde Scherz
schärft vielmehr uusern Schauder. -- Das Gesetz dieses Wechsels läßt sich in
deu einzelnen Fällen ganz genau nachweisen, gerade wie in der Musik, wo über
dem scheinbaren Contrast der Grundton nie vergessen werden darf. -- Aber kein
aufrichtiger Kritiker wird leugnen, daß die Willkür auch uur zu oft eine uicht
blos scheinbare, sondern sehr reale ist. Wenn z. B. nach Julia's Tod der
Hanswurst des Stücks mit den Musikanten seiue faden Späße macht, so ist für
diesen Gegensatz nicht der mindeste Grund vorhanden, denn daß dergleichen rus¬
sische Dampfbäder im wirklichen Leben vorkommen, daß z. B. der Held in dem
Augenblick, wo er sein Königreich oder seine Ehre verloren hat, anch noch wegen
Verletzung der Diät in Bauchgrimmen verfällt -- diese Rechtfertigung der Kunst
als die angebliche Copie des wirklichen Lebens wird heute wohl Niemand mehr
so dreist sein, zu übernehmen.

Ich glaube, nicht zu viel zu behaupten, wenn ich die Einmischung tragischer
oder rührender Motive in die Burleske uoch unnatürlicher finde, als das Um¬
gekehrte. -- Der Grundton unsers Stücks ist offenbar der derb komische; dabei
tritt aber auf einmal, unversehens, eine ängstliche Spannung ein, die über den
Spaß geht, und wir wissen nicht recht, in welche Stimmung wir uns versetzen
sollen. In solchem Zustand kommt man sich immer albern vor. -- Es liegt das
nicht unbedingt im Stoff. Scribe z. B. in seinem vortrefflichen Lustspiel: lin<z
elmme spielt auch beständig mit sehr bedenklichen Zuständen und Conflicten, aber
er hat es verstanden, für diese Spannung den durchgehenden heilen Ton zu
finden. " Viel Lärm um Nichts " hetzt uus aber aus eiuer Empfindung in die


Raum. — Allerdings ist das viel bequemer, als wenn man sich bemüht, die
Scenen sorgfältig in einander zu verflechten, und eine innere Continuität der
Handlung hervorzubringen; aber um diese lose Manier als die höhere Kunstform
der regelmäßigen Komödie des Mandrischen, des französischen und selbst des spani¬
schen Theaters gegenüberzustellen, dazu gehört der verschrobene Geschmack unserer
romantischen Kuustlehrer. Mau führe mir uicht Lessing an! Freilich hat er die
Marotten der Pedanterie, den blos äußerlichen Calcul Boileau's bekämpft, aber er
hat in seinen eigenen Stücken die Einheit der Handlung viel strenger und ge¬
wissenhafter festgehalten, als irgend ein deutscher Dichter.

Ebenso schlimm ist die Gewalt, welche der Stimmung angethan wird. Man
pflegt dabei zweierlei zu verwechseln. Sehr häufig ist bei Shakespeare die Will¬
kür, in welcher die Stimmung gewechselt wird, nur eine scheinbare; sie hat
einen künstlerischem Zweck. Entweder soll sie dnrch den Contrast wirken — wie es
Shakespeare vortrefflich versteht, eine Spannung durch Retardireu in's Fieber¬
hafte zu steigern; oder, was noch poetischer ist, er entwickelt das Entsetzliche an
seinem Gegensatz. So wird z. B. das Fürchterliche in der Leidenschaft Othello's
dnrch die teuflischen Cynismen, mit denen Iago ihn stachelt, indem er zugleich
seinem innern Jubel Luft macht, keineswegs vermindert, jeder neue wilde Scherz
schärft vielmehr uusern Schauder. — Das Gesetz dieses Wechsels läßt sich in
deu einzelnen Fällen ganz genau nachweisen, gerade wie in der Musik, wo über
dem scheinbaren Contrast der Grundton nie vergessen werden darf. — Aber kein
aufrichtiger Kritiker wird leugnen, daß die Willkür auch uur zu oft eine uicht
blos scheinbare, sondern sehr reale ist. Wenn z. B. nach Julia's Tod der
Hanswurst des Stücks mit den Musikanten seiue faden Späße macht, so ist für
diesen Gegensatz nicht der mindeste Grund vorhanden, denn daß dergleichen rus¬
sische Dampfbäder im wirklichen Leben vorkommen, daß z. B. der Held in dem
Augenblick, wo er sein Königreich oder seine Ehre verloren hat, anch noch wegen
Verletzung der Diät in Bauchgrimmen verfällt — diese Rechtfertigung der Kunst
als die angebliche Copie des wirklichen Lebens wird heute wohl Niemand mehr
so dreist sein, zu übernehmen.

Ich glaube, nicht zu viel zu behaupten, wenn ich die Einmischung tragischer
oder rührender Motive in die Burleske uoch unnatürlicher finde, als das Um¬
gekehrte. — Der Grundton unsers Stücks ist offenbar der derb komische; dabei
tritt aber auf einmal, unversehens, eine ängstliche Spannung ein, die über den
Spaß geht, und wir wissen nicht recht, in welche Stimmung wir uns versetzen
sollen. In solchem Zustand kommt man sich immer albern vor. — Es liegt das
nicht unbedingt im Stoff. Scribe z. B. in seinem vortrefflichen Lustspiel: lin<z
elmme spielt auch beständig mit sehr bedenklichen Zuständen und Conflicten, aber
er hat es verstanden, für diese Spannung den durchgehenden heilen Ton zu
finden. „ Viel Lärm um Nichts " hetzt uus aber aus eiuer Empfindung in die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92493"/>
          <p xml:id="ID_671" prev="#ID_670"> Raum. &#x2014; Allerdings ist das viel bequemer, als wenn man sich bemüht, die<lb/>
Scenen sorgfältig in einander zu verflechten, und eine innere Continuität der<lb/>
Handlung hervorzubringen; aber um diese lose Manier als die höhere Kunstform<lb/>
der regelmäßigen Komödie des Mandrischen, des französischen und selbst des spani¬<lb/>
schen Theaters gegenüberzustellen, dazu gehört der verschrobene Geschmack unserer<lb/>
romantischen Kuustlehrer. Mau führe mir uicht Lessing an! Freilich hat er die<lb/>
Marotten der Pedanterie, den blos äußerlichen Calcul Boileau's bekämpft, aber er<lb/>
hat in seinen eigenen Stücken die Einheit der Handlung viel strenger und ge¬<lb/>
wissenhafter festgehalten, als irgend ein deutscher Dichter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_672"> Ebenso schlimm ist die Gewalt, welche der Stimmung angethan wird. Man<lb/>
pflegt dabei zweierlei zu verwechseln. Sehr häufig ist bei Shakespeare die Will¬<lb/>
kür, in welcher die Stimmung gewechselt wird, nur eine scheinbare; sie hat<lb/>
einen künstlerischem Zweck. Entweder soll sie dnrch den Contrast wirken &#x2014; wie es<lb/>
Shakespeare vortrefflich versteht, eine Spannung durch Retardireu in's Fieber¬<lb/>
hafte zu steigern; oder, was noch poetischer ist, er entwickelt das Entsetzliche an<lb/>
seinem Gegensatz. So wird z. B. das Fürchterliche in der Leidenschaft Othello's<lb/>
dnrch die teuflischen Cynismen, mit denen Iago ihn stachelt, indem er zugleich<lb/>
seinem innern Jubel Luft macht, keineswegs vermindert, jeder neue wilde Scherz<lb/>
schärft vielmehr uusern Schauder. &#x2014; Das Gesetz dieses Wechsels läßt sich in<lb/>
deu einzelnen Fällen ganz genau nachweisen, gerade wie in der Musik, wo über<lb/>
dem scheinbaren Contrast der Grundton nie vergessen werden darf. &#x2014; Aber kein<lb/>
aufrichtiger Kritiker wird leugnen, daß die Willkür auch uur zu oft eine uicht<lb/>
blos scheinbare, sondern sehr reale ist. Wenn z. B. nach Julia's Tod der<lb/>
Hanswurst des Stücks mit den Musikanten seiue faden Späße macht, so ist für<lb/>
diesen Gegensatz nicht der mindeste Grund vorhanden, denn daß dergleichen rus¬<lb/>
sische Dampfbäder im wirklichen Leben vorkommen, daß z. B. der Held in dem<lb/>
Augenblick, wo er sein Königreich oder seine Ehre verloren hat, anch noch wegen<lb/>
Verletzung der Diät in Bauchgrimmen verfällt &#x2014; diese Rechtfertigung der Kunst<lb/>
als die angebliche Copie des wirklichen Lebens wird heute wohl Niemand mehr<lb/>
so dreist sein, zu übernehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_673" next="#ID_674"> Ich glaube, nicht zu viel zu behaupten, wenn ich die Einmischung tragischer<lb/>
oder rührender Motive in die Burleske uoch unnatürlicher finde, als das Um¬<lb/>
gekehrte. &#x2014; Der Grundton unsers Stücks ist offenbar der derb komische; dabei<lb/>
tritt aber auf einmal, unversehens, eine ängstliche Spannung ein, die über den<lb/>
Spaß geht, und wir wissen nicht recht, in welche Stimmung wir uns versetzen<lb/>
sollen. In solchem Zustand kommt man sich immer albern vor. &#x2014; Es liegt das<lb/>
nicht unbedingt im Stoff. Scribe z. B. in seinem vortrefflichen Lustspiel: lin&lt;z<lb/>
elmme spielt auch beständig mit sehr bedenklichen Zuständen und Conflicten, aber<lb/>
er hat es verstanden, für diese Spannung den durchgehenden heilen Ton zu<lb/>
finden.  &#x201E; Viel Lärm um Nichts " hetzt uus aber aus eiuer Empfindung in die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0204] Raum. — Allerdings ist das viel bequemer, als wenn man sich bemüht, die Scenen sorgfältig in einander zu verflechten, und eine innere Continuität der Handlung hervorzubringen; aber um diese lose Manier als die höhere Kunstform der regelmäßigen Komödie des Mandrischen, des französischen und selbst des spani¬ schen Theaters gegenüberzustellen, dazu gehört der verschrobene Geschmack unserer romantischen Kuustlehrer. Mau führe mir uicht Lessing an! Freilich hat er die Marotten der Pedanterie, den blos äußerlichen Calcul Boileau's bekämpft, aber er hat in seinen eigenen Stücken die Einheit der Handlung viel strenger und ge¬ wissenhafter festgehalten, als irgend ein deutscher Dichter. Ebenso schlimm ist die Gewalt, welche der Stimmung angethan wird. Man pflegt dabei zweierlei zu verwechseln. Sehr häufig ist bei Shakespeare die Will¬ kür, in welcher die Stimmung gewechselt wird, nur eine scheinbare; sie hat einen künstlerischem Zweck. Entweder soll sie dnrch den Contrast wirken — wie es Shakespeare vortrefflich versteht, eine Spannung durch Retardireu in's Fieber¬ hafte zu steigern; oder, was noch poetischer ist, er entwickelt das Entsetzliche an seinem Gegensatz. So wird z. B. das Fürchterliche in der Leidenschaft Othello's dnrch die teuflischen Cynismen, mit denen Iago ihn stachelt, indem er zugleich seinem innern Jubel Luft macht, keineswegs vermindert, jeder neue wilde Scherz schärft vielmehr uusern Schauder. — Das Gesetz dieses Wechsels läßt sich in deu einzelnen Fällen ganz genau nachweisen, gerade wie in der Musik, wo über dem scheinbaren Contrast der Grundton nie vergessen werden darf. — Aber kein aufrichtiger Kritiker wird leugnen, daß die Willkür auch uur zu oft eine uicht blos scheinbare, sondern sehr reale ist. Wenn z. B. nach Julia's Tod der Hanswurst des Stücks mit den Musikanten seiue faden Späße macht, so ist für diesen Gegensatz nicht der mindeste Grund vorhanden, denn daß dergleichen rus¬ sische Dampfbäder im wirklichen Leben vorkommen, daß z. B. der Held in dem Augenblick, wo er sein Königreich oder seine Ehre verloren hat, anch noch wegen Verletzung der Diät in Bauchgrimmen verfällt — diese Rechtfertigung der Kunst als die angebliche Copie des wirklichen Lebens wird heute wohl Niemand mehr so dreist sein, zu übernehmen. Ich glaube, nicht zu viel zu behaupten, wenn ich die Einmischung tragischer oder rührender Motive in die Burleske uoch unnatürlicher finde, als das Um¬ gekehrte. — Der Grundton unsers Stücks ist offenbar der derb komische; dabei tritt aber auf einmal, unversehens, eine ängstliche Spannung ein, die über den Spaß geht, und wir wissen nicht recht, in welche Stimmung wir uns versetzen sollen. In solchem Zustand kommt man sich immer albern vor. — Es liegt das nicht unbedingt im Stoff. Scribe z. B. in seinem vortrefflichen Lustspiel: lin<z elmme spielt auch beständig mit sehr bedenklichen Zuständen und Conflicten, aber er hat es verstanden, für diese Spannung den durchgehenden heilen Ton zu finden. „ Viel Lärm um Nichts " hetzt uus aber aus eiuer Empfindung in die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/204
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/204>, abgerufen am 23.07.2024.