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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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diese Millionen wurden ausgegeben und der Bau war uoch nicht vollendet, es
wurde eine zweite Anleihe gemacht und den Inhabern dieser Papiere der Nest
der zukünftigen Einnahme der Eisenbahn als Interessen zugesichert, welcher nach
der Abzahlung der Interessen der ersten Anleihe übrig bleiben würde; diese letz¬
tern Papiere konnte man schon nicht mehr Pari verkaufen, sie brachten oft
weniger als 60 Procent. Das Resultat dieser Fiuanzspeculation ist leicht zu er¬
rathen. Nachdem die Eisenbahn sertig und in Activität war, erhielten die In¬
haber der ersten Anleihe ihre Interessen, die Inhaber der zweiten Anleihe zuweilen
etwas, zuweilen nichts, die Actionäre jedoch keinen Cent. Leider malt dies ge¬
gebene Bild die finanziellen Verhältnisse der Mehrzahl unserer Eisenbahnen, einige
haben sich schon bankerott erklärt, bei andern wünschen die Directoren noch eine
Galgenfrist, leihen Gelder für 20 Procent, um die Interessen der Schuldscheine
und selbst den Actionären halbjährlich noch etwas zu bezahlen; wie lange eine
dergleichen Wirthschaft dauern kann, ist zu denken; dabei werden die von den
Directoren gestellten Rechnungen so geheimnißvoll und dunkel abgefaßt, daß es
keinem der unerfahrenen Actionäre möglich ist, ein Urtheil über den wahren Werth
heikler Actien zu fallen, er wird erst enttäuscht, wenn die ganze Angelegenheit
explodirt.

Ueber die Beschaffenheit der Hypothekcnscheiue, welche eine ganz andere
Einrichtung haben, als in Deutschland, und der Handnoten, welche in den mittlern
und westlichen Staaten sehr häusig die Stelle der Barzahlungen vertreten, lese
Ulan das Werk selbst nach. Zwei Grundsätze aber sind zu merken: Erstens, daß
der Amerikaner Geld wie jede andere Waare betrachtet und sür den Gebrauch
desselben sich so viel geben läßt, als er nur immer erhalten kann, daß dieser
Gebrauch bei dem Boden- und Mineralreichthum des Laudes und durch die durch
Natur und Kunst erleichterte Trausportation von Gütern einen doppelten, wenn
nicht dreifachen Werth hat, als in Europa, so daß selbst in den mittlern und
westlichen Staaten die größten Handelshäuser 10 Procent geben können und
wirklich geben. Zweitens, daß Gelder mit größter Sicherheit hier angelegt
werden können, daß dagegen, um dies zu thun, eine genaue Kenntniß der Ver¬
hältnisse und der bestehenden Gesetze nothwendig ist und stets eine Prüfung der
Besitzrechte des Hypothekenausstellers auf das Grundeigenthum vorgenommen
werden muß.

Summen nnter 100 Dollars können schon nicht mehr für 10 Procent erhal¬
ten werden, selbst wenn die höchste Sicherheit geboten wird, für diese hat man
von 15-60 Procent zu geben.

Die Engländer haben ein Sprüchwort, welches heißt: "Wer würde wohl
es vorziehen, in einem neuen Lande zu leben, wenn er in einem alten leben kaun?"
und ein zweites: "Armuth .in einem neuen Lande ist der Mallgel des Luxus,
Armuth in einem alten Lande ist der Mangel nothwendiger Lebensbedürfnisse".


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diese Millionen wurden ausgegeben und der Bau war uoch nicht vollendet, es
wurde eine zweite Anleihe gemacht und den Inhabern dieser Papiere der Nest
der zukünftigen Einnahme der Eisenbahn als Interessen zugesichert, welcher nach
der Abzahlung der Interessen der ersten Anleihe übrig bleiben würde; diese letz¬
tern Papiere konnte man schon nicht mehr Pari verkaufen, sie brachten oft
weniger als 60 Procent. Das Resultat dieser Fiuanzspeculation ist leicht zu er¬
rathen. Nachdem die Eisenbahn sertig und in Activität war, erhielten die In¬
haber der ersten Anleihe ihre Interessen, die Inhaber der zweiten Anleihe zuweilen
etwas, zuweilen nichts, die Actionäre jedoch keinen Cent. Leider malt dies ge¬
gebene Bild die finanziellen Verhältnisse der Mehrzahl unserer Eisenbahnen, einige
haben sich schon bankerott erklärt, bei andern wünschen die Directoren noch eine
Galgenfrist, leihen Gelder für 20 Procent, um die Interessen der Schuldscheine
und selbst den Actionären halbjährlich noch etwas zu bezahlen; wie lange eine
dergleichen Wirthschaft dauern kann, ist zu denken; dabei werden die von den
Directoren gestellten Rechnungen so geheimnißvoll und dunkel abgefaßt, daß es
keinem der unerfahrenen Actionäre möglich ist, ein Urtheil über den wahren Werth
heikler Actien zu fallen, er wird erst enttäuscht, wenn die ganze Angelegenheit
explodirt.

Ueber die Beschaffenheit der Hypothekcnscheiue, welche eine ganz andere
Einrichtung haben, als in Deutschland, und der Handnoten, welche in den mittlern
und westlichen Staaten sehr häusig die Stelle der Barzahlungen vertreten, lese
Ulan das Werk selbst nach. Zwei Grundsätze aber sind zu merken: Erstens, daß
der Amerikaner Geld wie jede andere Waare betrachtet und sür den Gebrauch
desselben sich so viel geben läßt, als er nur immer erhalten kann, daß dieser
Gebrauch bei dem Boden- und Mineralreichthum des Laudes und durch die durch
Natur und Kunst erleichterte Trausportation von Gütern einen doppelten, wenn
nicht dreifachen Werth hat, als in Europa, so daß selbst in den mittlern und
westlichen Staaten die größten Handelshäuser 10 Procent geben können und
wirklich geben. Zweitens, daß Gelder mit größter Sicherheit hier angelegt
werden können, daß dagegen, um dies zu thun, eine genaue Kenntniß der Ver¬
hältnisse und der bestehenden Gesetze nothwendig ist und stets eine Prüfung der
Besitzrechte des Hypothekenausstellers auf das Grundeigenthum vorgenommen
werden muß.

Summen nnter 100 Dollars können schon nicht mehr für 10 Procent erhal¬
ten werden, selbst wenn die höchste Sicherheit geboten wird, für diese hat man
von 15-60 Procent zu geben.

Die Engländer haben ein Sprüchwort, welches heißt: „Wer würde wohl
es vorziehen, in einem neuen Lande zu leben, wenn er in einem alten leben kaun?"
und ein zweites: „Armuth .in einem neuen Lande ist der Mallgel des Luxus,
Armuth in einem alten Lande ist der Mangel nothwendiger Lebensbedürfnisse".


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/195>, abgerufen am 22.07.2024.