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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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licher Herrschsucht aussah, faud sowohl bei den Gemeinden, als selbst bei vielen
orthodoxen Rabbinern heftigen Widerstand, denn bis dahin konnte jeder bereits
angestellte Rabbiner die venia zur jüdischem Seelsorge ertheilen, und nur von der
Gemeinde, welche den Candidaten anstellen wollte, hing es ab, ob sie sich mit
dem Diplom irgend eines kleinen Rabbis begnügen wollte, oder die Anerkennung
des Candidaten durch einen größern Rabbi verlangte; sie bezeichnete sogar oft
selbst den Rabbi, dem sie in dieser Angelegenheit ihr Vertrauen geschenkt hat;
nun sollten die einzelnen Rabbiner sowohl als die Gemeinden ihr Recht an eine
Coterie abtreten, die ihnen in keiner Hinsicht genügende Garantien gegen Mi߬
brauch bieten kounte, einzig und allein um einigen jungen Leuten das Nabbiner-
werden unmöglich zu machen: die Gemeinden und Rabbiner verhielten sich also
zum größten Theil passiv, .und mehr bedürfte es nicht, um das Bestreben der
Pakser Versammlung scheitern zu machen.

Indessen gingen mehrere jüdische Jünglinge nach deutscheu und audern aus¬
ländischen Universitäten, und holten sich von dort gründliche jüdisch-theologische
Kenntnisse und jene wissenschaftliche Bildung, die uns allem befähigen kann, einer
Gemeinde eine wahrhaft religiöse Leitung zu geben, und in ihre Heimath zurück¬
kehrend, bemühten sie sich, als Lehrer und Prediger Licht und Aufklärung unter
ihren Glaubensgenossen zu verbreiten. Das ungarisch-nationale Element, welches
sich diese jungen Reformer bemühten unter den Juden einheimisch zu macheu,
kam ihren Bestrebungen in hohem Maße zu Hilfe. Mit deu im magyarischen
Elemente wurzelnden liberalen Principiell befreundet, suchten sie die magyarische
Sprache in Schule, Haus und Tempel der Juden einzuführen und da die Juden
überhaupt dem Magyarenthnm zugeneigt waren, so setzten ihnen in dieser Hinsicht
selbst die Orthodoxen keine Hindernisse entgegen. -- So sehen wir auch hier
die Nationalität zur Trägerin des liberalem und reformatorischen Princips werden,
und manch' gut orthodoxer jüdischer Familienvater ahnte nicht, indem er einen
jungen ungarischen Sprachlehrer in's Haus gehen ließ, daß mit Märtons und
Tvplers Grammatik der Ritus des Hamburger Neformtempels ein- und die Sehen
vor uukoscheru Speisen auswandern werde. --

So traf die Revolution die ungarischen Juden. Ihre Theilnahme an dieser,
ihre patriotischen Opfer an Gut und Blut, ihre Leiden während und nach der
Revolution sind bereits vou der Presse gewürdigt wordeu; und der Patriotismus
der Juden, den Manche gern für eine Emancipationsspecnlation ausgegeben
hätten, ist so wenig durch diese Leiden, als durch das unwürdige Benehmen der
revolutionären Regierung -- die bekanntlich erst dann die Emancipation aus-
sprach, als sie bereits selbst auf dem Wege war, einer Emancipation zu bedürfen --
nicht geschwächt worden, und wenn unsere Regierung bei der jetzigen Conscription
die Nationalität nach dem Willen des Jnfcribenden bestimmen ließe, so konnten
die Magyaren mit Sicherheit auf einen Zuwachs von -500,000 Menschen rechnen.


licher Herrschsucht aussah, faud sowohl bei den Gemeinden, als selbst bei vielen
orthodoxen Rabbinern heftigen Widerstand, denn bis dahin konnte jeder bereits
angestellte Rabbiner die venia zur jüdischem Seelsorge ertheilen, und nur von der
Gemeinde, welche den Candidaten anstellen wollte, hing es ab, ob sie sich mit
dem Diplom irgend eines kleinen Rabbis begnügen wollte, oder die Anerkennung
des Candidaten durch einen größern Rabbi verlangte; sie bezeichnete sogar oft
selbst den Rabbi, dem sie in dieser Angelegenheit ihr Vertrauen geschenkt hat;
nun sollten die einzelnen Rabbiner sowohl als die Gemeinden ihr Recht an eine
Coterie abtreten, die ihnen in keiner Hinsicht genügende Garantien gegen Mi߬
brauch bieten kounte, einzig und allein um einigen jungen Leuten das Nabbiner-
werden unmöglich zu machen: die Gemeinden und Rabbiner verhielten sich also
zum größten Theil passiv, .und mehr bedürfte es nicht, um das Bestreben der
Pakser Versammlung scheitern zu machen.

Indessen gingen mehrere jüdische Jünglinge nach deutscheu und audern aus¬
ländischen Universitäten, und holten sich von dort gründliche jüdisch-theologische
Kenntnisse und jene wissenschaftliche Bildung, die uns allem befähigen kann, einer
Gemeinde eine wahrhaft religiöse Leitung zu geben, und in ihre Heimath zurück¬
kehrend, bemühten sie sich, als Lehrer und Prediger Licht und Aufklärung unter
ihren Glaubensgenossen zu verbreiten. Das ungarisch-nationale Element, welches
sich diese jungen Reformer bemühten unter den Juden einheimisch zu macheu,
kam ihren Bestrebungen in hohem Maße zu Hilfe. Mit deu im magyarischen
Elemente wurzelnden liberalen Principiell befreundet, suchten sie die magyarische
Sprache in Schule, Haus und Tempel der Juden einzuführen und da die Juden
überhaupt dem Magyarenthnm zugeneigt waren, so setzten ihnen in dieser Hinsicht
selbst die Orthodoxen keine Hindernisse entgegen. — So sehen wir auch hier
die Nationalität zur Trägerin des liberalem und reformatorischen Princips werden,
und manch' gut orthodoxer jüdischer Familienvater ahnte nicht, indem er einen
jungen ungarischen Sprachlehrer in's Haus gehen ließ, daß mit Märtons und
Tvplers Grammatik der Ritus des Hamburger Neformtempels ein- und die Sehen
vor uukoscheru Speisen auswandern werde. —

So traf die Revolution die ungarischen Juden. Ihre Theilnahme an dieser,
ihre patriotischen Opfer an Gut und Blut, ihre Leiden während und nach der
Revolution sind bereits vou der Presse gewürdigt wordeu; und der Patriotismus
der Juden, den Manche gern für eine Emancipationsspecnlation ausgegeben
hätten, ist so wenig durch diese Leiden, als durch das unwürdige Benehmen der
revolutionären Regierung — die bekanntlich erst dann die Emancipation aus-
sprach, als sie bereits selbst auf dem Wege war, einer Emancipation zu bedürfen —
nicht geschwächt worden, und wenn unsere Regierung bei der jetzigen Conscription
die Nationalität nach dem Willen des Jnfcribenden bestimmen ließe, so konnten
die Magyaren mit Sicherheit auf einen Zuwachs von -500,000 Menschen rechnen.


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[0184] licher Herrschsucht aussah, faud sowohl bei den Gemeinden, als selbst bei vielen orthodoxen Rabbinern heftigen Widerstand, denn bis dahin konnte jeder bereits angestellte Rabbiner die venia zur jüdischem Seelsorge ertheilen, und nur von der Gemeinde, welche den Candidaten anstellen wollte, hing es ab, ob sie sich mit dem Diplom irgend eines kleinen Rabbis begnügen wollte, oder die Anerkennung des Candidaten durch einen größern Rabbi verlangte; sie bezeichnete sogar oft selbst den Rabbi, dem sie in dieser Angelegenheit ihr Vertrauen geschenkt hat; nun sollten die einzelnen Rabbiner sowohl als die Gemeinden ihr Recht an eine Coterie abtreten, die ihnen in keiner Hinsicht genügende Garantien gegen Mi߬ brauch bieten kounte, einzig und allein um einigen jungen Leuten das Nabbiner- werden unmöglich zu machen: die Gemeinden und Rabbiner verhielten sich also zum größten Theil passiv, .und mehr bedürfte es nicht, um das Bestreben der Pakser Versammlung scheitern zu machen. Indessen gingen mehrere jüdische Jünglinge nach deutscheu und audern aus¬ ländischen Universitäten, und holten sich von dort gründliche jüdisch-theologische Kenntnisse und jene wissenschaftliche Bildung, die uns allem befähigen kann, einer Gemeinde eine wahrhaft religiöse Leitung zu geben, und in ihre Heimath zurück¬ kehrend, bemühten sie sich, als Lehrer und Prediger Licht und Aufklärung unter ihren Glaubensgenossen zu verbreiten. Das ungarisch-nationale Element, welches sich diese jungen Reformer bemühten unter den Juden einheimisch zu macheu, kam ihren Bestrebungen in hohem Maße zu Hilfe. Mit deu im magyarischen Elemente wurzelnden liberalen Principiell befreundet, suchten sie die magyarische Sprache in Schule, Haus und Tempel der Juden einzuführen und da die Juden überhaupt dem Magyarenthnm zugeneigt waren, so setzten ihnen in dieser Hinsicht selbst die Orthodoxen keine Hindernisse entgegen. — So sehen wir auch hier die Nationalität zur Trägerin des liberalem und reformatorischen Princips werden, und manch' gut orthodoxer jüdischer Familienvater ahnte nicht, indem er einen jungen ungarischen Sprachlehrer in's Haus gehen ließ, daß mit Märtons und Tvplers Grammatik der Ritus des Hamburger Neformtempels ein- und die Sehen vor uukoscheru Speisen auswandern werde. — So traf die Revolution die ungarischen Juden. Ihre Theilnahme an dieser, ihre patriotischen Opfer an Gut und Blut, ihre Leiden während und nach der Revolution sind bereits vou der Presse gewürdigt wordeu; und der Patriotismus der Juden, den Manche gern für eine Emancipationsspecnlation ausgegeben hätten, ist so wenig durch diese Leiden, als durch das unwürdige Benehmen der revolutionären Regierung — die bekanntlich erst dann die Emancipation aus- sprach, als sie bereits selbst auf dem Wege war, einer Emancipation zu bedürfen — nicht geschwächt worden, und wenn unsere Regierung bei der jetzigen Conscription die Nationalität nach dem Willen des Jnfcribenden bestimmen ließe, so konnten die Magyaren mit Sicherheit auf einen Zuwachs von -500,000 Menschen rechnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/184>, abgerufen am 25.08.2024.