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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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dell. Bis nach NowochoperSk wurde er von zwei, von da bis zum Orte seiner
Bestimmung vou einem Soldaten begleitet, in Saratow aber hatte er eine poli¬
zeiliche Bewachung zu erdulden, die ihn einem strafweise und rechtlich hierher
Verwichenen beinahe gleichstellte. Anfangs wurde seine ärmliche Wohnung täg¬
lich, später nicht so regelmäßig revidirt. Dagegen legte man seiner Beschäftigung
als Privatlehrer kein Hinderniß in den Weg, ja der Gouverneur ging in seiner
Gnade sogar so weit, ihm eine Stelle als Lehrer an der kaiserlichen Soldaten-
schnle anzubieten, welche er aber ablehnte. Das kleine baare Vermögen seiner
Gattin und sein außerordentlicher Eifer als Privatlehrer bereiteten ihm nach und
nach ein äußerlich fast erträgliches Leben, und als er endlich sogar Lehrer zweier
Kinder des Gouverneurs wurde, verbesserte sich seine Lage außerordentlich. Mit
dem Rufe, der vorzüglichste Gelehrte der Stadt zu sein, stieg auch die moralische
Beachtung des wackern Mannes. Allein dieses glückliche Verhältniß währte nicht
einmal zwei Jahre lang.

Der Zufall hatte es gefügt, daß sich in S. eine polnische unirte Familie
vou niederem Adel befand. An diese schloß sich -- wie sehr natürlich -- B. mit
seiner Familie an und zog sich dadurch die Ungunst des Gubernators zu. Da
die Aufforderung, die Verbindung mit jener Familie aufzugeben, von Seiten des
Popen unbeachtet blieb, so betraf ihn nun eine Verweisung uach einem Land¬
städtchen desselben Guberniums.

In diesem elendesten Neste der Welt war dem wackern Manne jede Mög¬
lichkeit eines Erwerbs abgeschnitten. Seine Lebensverhältnisse gestalteten sich an
diesem Orte so jämmerlich, daß, wie er sich selbst ausdrückt, "die der Verbrecher
in Irkutsk dagegen günstig erscheinen müssen". Dort existirNer noch.




Die Juden in Ungarn.

Von der Vergangenheit der Juden in Ungarn finden wir nur einzelne Daten
im 0ol-M8 Mris und in einigen Stadtchroniken aufgezeichnet, ans welchen erhellt,
daß die zerstreuten Söhne Israels sich uoch vor den scythischen Magyaren in den
schönen Karpathenkessel verirrt haben; daß sie hier wie überall verschiedene, aber
meist traurige Schicksale erlebt; daß sie uuter dem schwachen Könige Andreas II.
und dem Luxemburger Sigismund, unter denen die monopolisirten Zoll- und
Steuerpachtnngen den Heißhunger ihres Säckels stillten, ihr goldenes Zeitalter
gelebt; daß besonders nach den Verfolgungen in Spanien, Frankreich und Deutsch¬
land viele Juden uach Ungarn einwanderten; daß die ungarische Nation, die
Manche noch heute gern zu deu Barbaren rechnen, zur Zeit als dies unglückliche
Volk von den civilisirten Völkern Europa's mit Feuer und Schwerdt verfolgt


87*

dell. Bis nach NowochoperSk wurde er von zwei, von da bis zum Orte seiner
Bestimmung vou einem Soldaten begleitet, in Saratow aber hatte er eine poli¬
zeiliche Bewachung zu erdulden, die ihn einem strafweise und rechtlich hierher
Verwichenen beinahe gleichstellte. Anfangs wurde seine ärmliche Wohnung täg¬
lich, später nicht so regelmäßig revidirt. Dagegen legte man seiner Beschäftigung
als Privatlehrer kein Hinderniß in den Weg, ja der Gouverneur ging in seiner
Gnade sogar so weit, ihm eine Stelle als Lehrer an der kaiserlichen Soldaten-
schnle anzubieten, welche er aber ablehnte. Das kleine baare Vermögen seiner
Gattin und sein außerordentlicher Eifer als Privatlehrer bereiteten ihm nach und
nach ein äußerlich fast erträgliches Leben, und als er endlich sogar Lehrer zweier
Kinder des Gouverneurs wurde, verbesserte sich seine Lage außerordentlich. Mit
dem Rufe, der vorzüglichste Gelehrte der Stadt zu sein, stieg auch die moralische
Beachtung des wackern Mannes. Allein dieses glückliche Verhältniß währte nicht
einmal zwei Jahre lang.

Der Zufall hatte es gefügt, daß sich in S. eine polnische unirte Familie
vou niederem Adel befand. An diese schloß sich — wie sehr natürlich — B. mit
seiner Familie an und zog sich dadurch die Ungunst des Gubernators zu. Da
die Aufforderung, die Verbindung mit jener Familie aufzugeben, von Seiten des
Popen unbeachtet blieb, so betraf ihn nun eine Verweisung uach einem Land¬
städtchen desselben Guberniums.

In diesem elendesten Neste der Welt war dem wackern Manne jede Mög¬
lichkeit eines Erwerbs abgeschnitten. Seine Lebensverhältnisse gestalteten sich an
diesem Orte so jämmerlich, daß, wie er sich selbst ausdrückt, „die der Verbrecher
in Irkutsk dagegen günstig erscheinen müssen". Dort existirNer noch.




Die Juden in Ungarn.

Von der Vergangenheit der Juden in Ungarn finden wir nur einzelne Daten
im 0ol-M8 Mris und in einigen Stadtchroniken aufgezeichnet, ans welchen erhellt,
daß die zerstreuten Söhne Israels sich uoch vor den scythischen Magyaren in den
schönen Karpathenkessel verirrt haben; daß sie hier wie überall verschiedene, aber
meist traurige Schicksale erlebt; daß sie uuter dem schwachen Könige Andreas II.
und dem Luxemburger Sigismund, unter denen die monopolisirten Zoll- und
Steuerpachtnngen den Heißhunger ihres Säckels stillten, ihr goldenes Zeitalter
gelebt; daß besonders nach den Verfolgungen in Spanien, Frankreich und Deutsch¬
land viele Juden uach Ungarn einwanderten; daß die ungarische Nation, die
Manche noch heute gern zu deu Barbaren rechnen, zur Zeit als dies unglückliche
Volk von den civilisirten Völkern Europa's mit Feuer und Schwerdt verfolgt


87*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/179>, abgerufen am 22.07.2024.