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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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schwer entschließen, ans den Befehl eines Andern, als seines bisherigen Kirchen
Herrn seine Dienstverrichtnngen zu beginnen. Mit Mühe brachte ihn endlich der
mit der Commission herbeigekommene Pope so weit. Als der Augenblick kommt,
wo die Gemeinde die Erscheinung des Predigers erwartet, sieht sie zu ihrem nicht
geringen Erstaunen den Polizeipräsidenten auftreten. Dieser wohluuiformirte Krieger
der streitbaren Kirche unternahm es, in sehr beruhigenden Worten der Gemeinde
zu erklären, daß die Abwesenheit ihres bisherigen Popen in einer polizeilichen
Verwickelung ihren Grund habe, welche seine schleunige Berufung vor die Guber-
nialbehörde nöthig gemacht. Da nun aber nach den kaiserlichen Gesetzen in keinem
Fall die Religionsübung unterbrochen werden dürfe, so sei der vorstehende Geist¬
liche, Herr D., berufen und befehligt worden, bis auf weitere Bestimmung Herrn B.
zu ersetzen. Nach dieser Eröffnung trat der orthodoxe Pope auf und vollzog
seine kirchlichen Verrichtungen. Zwei der Grundherren, welche bei dem Gottes¬
dienste anwesend waren, nahmen sich die Freiheit, nach der Kirche den Polizei¬
präsidenten zu fragen, worin denn jene polizeilichen Verwickelungen bestehen, an
welchen ihr Pope betheiligt sei, und erhielten zur Antwort: er habe sich geweigert,
das Gebet für das kaiserliche Haus zu verrichten und den Kaiser als den obersten
kirchlichen Machthaber anzuerkennen.

Wahrscheinlich siud diese Grüude auch in den Acten vorgeschoben worden.
Ein wirklicher Proceß ist aber nie geführt worden. Während seines kurzen
Aufenthalts in der Gubernialstadt blieb der Pope fortwährend unter Bewachung.
Seine Bitte, einigen Verwandten einen Besuch machen zu dürfen, wurde ihm
abgeschlagen, dagegen erhielt er sieben Male den Besuch eiues Adjutanten des
Gubernators, der Hauptmann und dem Anscheine nach Naczobnik der Guber-
nialkanzlei war. Mit diesem zugleich erschien jederzeit ein Adjunct des Polizei-
commissariates und ein Schreiber. Fünf dieser Besuche hatten zum Zwecke, den
Popen zu Nachgiebigkeit gegen die Anforderungen des Gouvernements zu bewegen.
Der vorletzte aber betraf ausschließlich seiue anderweit persönlichen Verhältnisse,
besonders sein Vermögen und seiue Gattin. Im Betreff Letzterer wurde ihm
versichert, daß derselben niemals ein Hinderniß in den Weg gelegt werden werde,
wenn sie danach verlangen sollte, sich an denselben Ort zu begeben, an welchen
er versetzt werden müßte; sollte sie aber diesen Schritt nicht unternehmen wollen,
so werde ihr sür ihre Lebenszeit ein kleiner Antheil an den Einkünften der
Pfarrei, die er bis jetzt verwaltet habe, zugewiesen werden. Auf die Frage,
an welchen Ort er versetzt werde, erhielt er die Antwort: an welchen Ort für
immer? hänge noch von "höherer" Beschließung ab; wohin aber vorläufig? sei
ihm mitzutheilen nicht gestattet. Auf die Frage des Popen: ob man ihn für
einen Verbrecher und staatsgefangenen anzusehen gesonnen sei, antwortete der
Befragte uach langem verlegenem Bedenken mit einem zweifelhaften Achselzucken. Ge¬
gen elf Uhr des Nachts zwang man ihn, statt seiner priesterlichen Kopfbedeckung


Grenzvoten. IV. 1850. . 87

schwer entschließen, ans den Befehl eines Andern, als seines bisherigen Kirchen
Herrn seine Dienstverrichtnngen zu beginnen. Mit Mühe brachte ihn endlich der
mit der Commission herbeigekommene Pope so weit. Als der Augenblick kommt,
wo die Gemeinde die Erscheinung des Predigers erwartet, sieht sie zu ihrem nicht
geringen Erstaunen den Polizeipräsidenten auftreten. Dieser wohluuiformirte Krieger
der streitbaren Kirche unternahm es, in sehr beruhigenden Worten der Gemeinde
zu erklären, daß die Abwesenheit ihres bisherigen Popen in einer polizeilichen
Verwickelung ihren Grund habe, welche seine schleunige Berufung vor die Guber-
nialbehörde nöthig gemacht. Da nun aber nach den kaiserlichen Gesetzen in keinem
Fall die Religionsübung unterbrochen werden dürfe, so sei der vorstehende Geist¬
liche, Herr D., berufen und befehligt worden, bis auf weitere Bestimmung Herrn B.
zu ersetzen. Nach dieser Eröffnung trat der orthodoxe Pope auf und vollzog
seine kirchlichen Verrichtungen. Zwei der Grundherren, welche bei dem Gottes¬
dienste anwesend waren, nahmen sich die Freiheit, nach der Kirche den Polizei¬
präsidenten zu fragen, worin denn jene polizeilichen Verwickelungen bestehen, an
welchen ihr Pope betheiligt sei, und erhielten zur Antwort: er habe sich geweigert,
das Gebet für das kaiserliche Haus zu verrichten und den Kaiser als den obersten
kirchlichen Machthaber anzuerkennen.

Wahrscheinlich siud diese Grüude auch in den Acten vorgeschoben worden.
Ein wirklicher Proceß ist aber nie geführt worden. Während seines kurzen
Aufenthalts in der Gubernialstadt blieb der Pope fortwährend unter Bewachung.
Seine Bitte, einigen Verwandten einen Besuch machen zu dürfen, wurde ihm
abgeschlagen, dagegen erhielt er sieben Male den Besuch eiues Adjutanten des
Gubernators, der Hauptmann und dem Anscheine nach Naczobnik der Guber-
nialkanzlei war. Mit diesem zugleich erschien jederzeit ein Adjunct des Polizei-
commissariates und ein Schreiber. Fünf dieser Besuche hatten zum Zwecke, den
Popen zu Nachgiebigkeit gegen die Anforderungen des Gouvernements zu bewegen.
Der vorletzte aber betraf ausschließlich seiue anderweit persönlichen Verhältnisse,
besonders sein Vermögen und seiue Gattin. Im Betreff Letzterer wurde ihm
versichert, daß derselben niemals ein Hinderniß in den Weg gelegt werden werde,
wenn sie danach verlangen sollte, sich an denselben Ort zu begeben, an welchen
er versetzt werden müßte; sollte sie aber diesen Schritt nicht unternehmen wollen,
so werde ihr sür ihre Lebenszeit ein kleiner Antheil an den Einkünften der
Pfarrei, die er bis jetzt verwaltet habe, zugewiesen werden. Auf die Frage,
an welchen Ort er versetzt werde, erhielt er die Antwort: an welchen Ort für
immer? hänge noch von „höherer" Beschließung ab; wohin aber vorläufig? sei
ihm mitzutheilen nicht gestattet. Auf die Frage des Popen: ob man ihn für
einen Verbrecher und staatsgefangenen anzusehen gesonnen sei, antwortete der
Befragte uach langem verlegenem Bedenken mit einem zweifelhaften Achselzucken. Ge¬
gen elf Uhr des Nachts zwang man ihn, statt seiner priesterlichen Kopfbedeckung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/177>, abgerufen am 22.07.2024.