Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weinen sollen. In solche Wüste ist ein Bändchen Lieder gefallen, die wie eine Oase
den dürstenden Wanderer locken und erquicken. Die Gedichte von Julius Seur in
scheinen mir von Ihrem Recensenten Hu leicht genommen zu sein. Ich glaube zu dieser
Bemerkung um so mehr verpflichtet zu sein, als sie größtenteils in unserer kleinen Re¬
sidenz entstanden sind, obgleich der Verfasser einer andern der 34 deutschen Nationen an¬
gehört und jetzt in Ihrem Sachsen weilt. Lassen Sie mich mit einem Sonett des
Dichters schließen:


Eins ist uns noth und ohne dieses Eine
Sind unsre Hoffnnngöträumc Selbstbcthörnng,
Und unsre Worte falsche Edelsteine,
Und unsre Thaten nichts als Glückzcrstörnng.
Eins ist uns noth, mit ihm nnr in? Vereine
Trägt unser Flehn in sich die Gottcrhörung,
Und für dies höchste Eine, daS ich meine,
Ihr Brüder, ruf' ich auf euch zur Verschwörung.
Wir wollen kämpfend mit des Geistes Waffen
Rastlos den cigcnnntz'gen Haß bedrängen,
Mit gilts'nden Kohlen ihm daS Haupt versengen,
Bis wir der Liebe vollen Sieg verschaffen,
Der Liebe, die entstammt der Gottheit Schooße
Am Herzen trägt der Freiheit Alpenrose.

Bis das geschieht, hat es freilich wohl noch einige Zeit. Indessen bedeuten ja die
grünen Blätter die Hoffnung: lassen Sie uns denn hoffen und der Zeit warten, da
wir werden handeln können. Bis dahin leben Sie wohl.




Literaturblatt.

Ein neuer Roman, der in England viel Aufsehen und Verdruß erregt hat, heißt I^sinon,
Ms. Mborl^ Er enthält eine Schilderung der vornehmen Welt in England, die
"icht schmeichelhaft ist, aber den Stempel der Wahrheit trägt, daher der Verdruß der
Beteiligten. Der Inbegriff des Wortes lusliion ist eigentlich unübersetzbar: die Mode
und ihre Tyrannei ist wohl annähernd der Sinn ; jedoch bleibt die Deutung für deut¬
sche Leser immer noch ziemlich unverständlich, weil man bei uns keinen Begriff von den
launenhaften, albernen und despotischen Gesetzen der Mode in England hat. Sie beziehen
sich nicht, wie bei uns, auf äußerliche Dinge, auf Kleidung, Hausrath u. f. in., son¬
dern hauptsächlich auf die Geltung und die Stellung in der vornehmen Gesellschaft.
Um darin eine Rolle zu spielen, muß man die geheimnißvollen Bedingungen und Eigen¬
schaften kennen, welche die Despotin Fashion vorschreibt. Hohe Geburt und Reichthum,
Getst und Schönheit finden keine Gnade vor ihr, wenn ihre eigensinnigen Gesetze nicht
befolgt werden. Und worin diese bestehen, weiß eben kein Mensch zu sagen, sie ent¬
halten doppelt und dreifach das 1o no sais ciuoi der Franzosen. Die Exclusivität der
englischen Gesellschaft ist bekannt, sie soll darin neuerdings nur von ihrre Copistin der
amerikanischen in Newyork und Boston übertroffen werden. Doch ist es noch nicht ge¬
nügend, den Einlaß in den Zauberkreis erlangt zu haben, die Fashion verlangt darin
unerbittlich ihre Opfer. Wie dem Malvch werden ihr irdische und himmlische Güter ge-


weinen sollen. In solche Wüste ist ein Bändchen Lieder gefallen, die wie eine Oase
den dürstenden Wanderer locken und erquicken. Die Gedichte von Julius Seur in
scheinen mir von Ihrem Recensenten Hu leicht genommen zu sein. Ich glaube zu dieser
Bemerkung um so mehr verpflichtet zu sein, als sie größtenteils in unserer kleinen Re¬
sidenz entstanden sind, obgleich der Verfasser einer andern der 34 deutschen Nationen an¬
gehört und jetzt in Ihrem Sachsen weilt. Lassen Sie mich mit einem Sonett des
Dichters schließen:


Eins ist uns noth und ohne dieses Eine
Sind unsre Hoffnnngöträumc Selbstbcthörnng,
Und unsre Worte falsche Edelsteine,
Und unsre Thaten nichts als Glückzcrstörnng.
Eins ist uns noth, mit ihm nnr in? Vereine
Trägt unser Flehn in sich die Gottcrhörung,
Und für dies höchste Eine, daS ich meine,
Ihr Brüder, ruf' ich auf euch zur Verschwörung.
Wir wollen kämpfend mit des Geistes Waffen
Rastlos den cigcnnntz'gen Haß bedrängen,
Mit gilts'nden Kohlen ihm daS Haupt versengen,
Bis wir der Liebe vollen Sieg verschaffen,
Der Liebe, die entstammt der Gottheit Schooße
Am Herzen trägt der Freiheit Alpenrose.

Bis das geschieht, hat es freilich wohl noch einige Zeit. Indessen bedeuten ja die
grünen Blätter die Hoffnung: lassen Sie uns denn hoffen und der Zeit warten, da
wir werden handeln können. Bis dahin leben Sie wohl.




Literaturblatt.

Ein neuer Roman, der in England viel Aufsehen und Verdruß erregt hat, heißt I^sinon,
Ms. Mborl^ Er enthält eine Schilderung der vornehmen Welt in England, die
"icht schmeichelhaft ist, aber den Stempel der Wahrheit trägt, daher der Verdruß der
Beteiligten. Der Inbegriff des Wortes lusliion ist eigentlich unübersetzbar: die Mode
und ihre Tyrannei ist wohl annähernd der Sinn ; jedoch bleibt die Deutung für deut¬
sche Leser immer noch ziemlich unverständlich, weil man bei uns keinen Begriff von den
launenhaften, albernen und despotischen Gesetzen der Mode in England hat. Sie beziehen
sich nicht, wie bei uns, auf äußerliche Dinge, auf Kleidung, Hausrath u. f. in., son¬
dern hauptsächlich auf die Geltung und die Stellung in der vornehmen Gesellschaft.
Um darin eine Rolle zu spielen, muß man die geheimnißvollen Bedingungen und Eigen¬
schaften kennen, welche die Despotin Fashion vorschreibt. Hohe Geburt und Reichthum,
Getst und Schönheit finden keine Gnade vor ihr, wenn ihre eigensinnigen Gesetze nicht
befolgt werden. Und worin diese bestehen, weiß eben kein Mensch zu sagen, sie ent¬
halten doppelt und dreifach das 1o no sais ciuoi der Franzosen. Die Exclusivität der
englischen Gesellschaft ist bekannt, sie soll darin neuerdings nur von ihrre Copistin der
amerikanischen in Newyork und Boston übertroffen werden. Doch ist es noch nicht ge¬
nügend, den Einlaß in den Zauberkreis erlangt zu haben, die Fashion verlangt darin
unerbittlich ihre Opfer. Wie dem Malvch werden ihr irdische und himmlische Güter ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92454"/>
          <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540" next="#ID_542"> weinen sollen. In solche Wüste ist ein Bändchen Lieder gefallen, die wie eine Oase<lb/>
den dürstenden Wanderer locken und erquicken. Die Gedichte von Julius Seur in<lb/>
scheinen mir von Ihrem Recensenten Hu leicht genommen zu sein. Ich glaube zu dieser<lb/>
Bemerkung um so mehr verpflichtet zu sein, als sie größtenteils in unserer kleinen Re¬<lb/>
sidenz entstanden sind, obgleich der Verfasser einer andern der 34 deutschen Nationen an¬<lb/>
gehört und jetzt in Ihrem Sachsen weilt. Lassen Sie mich mit einem Sonett des<lb/>
Dichters schließen:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_24" type="poem">
              <l> Eins ist uns noth und ohne dieses Eine<lb/>
Sind unsre Hoffnnngöträumc Selbstbcthörnng,<lb/>
Und unsre Worte falsche Edelsteine,<lb/>
Und unsre Thaten nichts als Glückzcrstörnng.</l>
              <l> Eins ist uns noth, mit ihm nnr in? Vereine<lb/>
Trägt unser Flehn in sich die Gottcrhörung,<lb/>
Und für dies höchste Eine, daS ich meine,<lb/>
Ihr Brüder, ruf' ich auf euch zur Verschwörung.</l>
              <l> Wir wollen kämpfend mit des Geistes Waffen<lb/>
Rastlos den cigcnnntz'gen Haß bedrängen,<lb/>
Mit gilts'nden Kohlen ihm daS Haupt versengen,</l>
              <l> Bis wir der Liebe vollen Sieg verschaffen,<lb/>
Der Liebe, die entstammt der Gottheit Schooße<lb/>
Am Herzen trägt der Freiheit Alpenrose.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_542" prev="#ID_541"> Bis das geschieht, hat es freilich wohl noch einige Zeit. Indessen bedeuten ja die<lb/>
grünen Blätter die Hoffnung: lassen Sie uns denn hoffen und der Zeit warten, da<lb/>
wir werden handeln können.  Bis dahin leben Sie wohl.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literaturblatt.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_543" next="#ID_544"> Ein neuer Roman, der in England viel Aufsehen und Verdruß erregt hat, heißt I^sinon,<lb/>
Ms. Mborl^ Er enthält eine Schilderung der vornehmen Welt in England, die<lb/>
"icht schmeichelhaft ist, aber den Stempel der Wahrheit trägt, daher der Verdruß der<lb/>
Beteiligten. Der Inbegriff des Wortes lusliion ist eigentlich unübersetzbar: die Mode<lb/>
und ihre Tyrannei ist wohl annähernd der Sinn ; jedoch bleibt die Deutung für deut¬<lb/>
sche Leser immer noch ziemlich unverständlich, weil man bei uns keinen Begriff von den<lb/>
launenhaften, albernen und despotischen Gesetzen der Mode in England hat. Sie beziehen<lb/>
sich nicht, wie bei uns, auf äußerliche Dinge, auf Kleidung, Hausrath u. f. in., son¬<lb/>
dern hauptsächlich auf die Geltung und die Stellung in der vornehmen Gesellschaft.<lb/>
Um darin eine Rolle zu spielen, muß man die geheimnißvollen Bedingungen und Eigen¬<lb/>
schaften kennen, welche die Despotin Fashion vorschreibt. Hohe Geburt und Reichthum,<lb/>
Getst und Schönheit finden keine Gnade vor ihr, wenn ihre eigensinnigen Gesetze nicht<lb/>
befolgt werden. Und worin diese bestehen, weiß eben kein Mensch zu sagen, sie ent¬<lb/>
halten doppelt und dreifach das 1o no sais ciuoi der Franzosen. Die Exclusivität der<lb/>
englischen Gesellschaft ist bekannt, sie soll darin neuerdings nur von ihrre Copistin der<lb/>
amerikanischen in Newyork und Boston übertroffen werden. Doch ist es noch nicht ge¬<lb/>
nügend, den Einlaß in den Zauberkreis erlangt zu haben, die Fashion verlangt darin<lb/>
unerbittlich ihre Opfer.  Wie dem Malvch werden ihr irdische und himmlische Güter ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] weinen sollen. In solche Wüste ist ein Bändchen Lieder gefallen, die wie eine Oase den dürstenden Wanderer locken und erquicken. Die Gedichte von Julius Seur in scheinen mir von Ihrem Recensenten Hu leicht genommen zu sein. Ich glaube zu dieser Bemerkung um so mehr verpflichtet zu sein, als sie größtenteils in unserer kleinen Re¬ sidenz entstanden sind, obgleich der Verfasser einer andern der 34 deutschen Nationen an¬ gehört und jetzt in Ihrem Sachsen weilt. Lassen Sie mich mit einem Sonett des Dichters schließen: Eins ist uns noth und ohne dieses Eine Sind unsre Hoffnnngöträumc Selbstbcthörnng, Und unsre Worte falsche Edelsteine, Und unsre Thaten nichts als Glückzcrstörnng. Eins ist uns noth, mit ihm nnr in? Vereine Trägt unser Flehn in sich die Gottcrhörung, Und für dies höchste Eine, daS ich meine, Ihr Brüder, ruf' ich auf euch zur Verschwörung. Wir wollen kämpfend mit des Geistes Waffen Rastlos den cigcnnntz'gen Haß bedrängen, Mit gilts'nden Kohlen ihm daS Haupt versengen, Bis wir der Liebe vollen Sieg verschaffen, Der Liebe, die entstammt der Gottheit Schooße Am Herzen trägt der Freiheit Alpenrose. Bis das geschieht, hat es freilich wohl noch einige Zeit. Indessen bedeuten ja die grünen Blätter die Hoffnung: lassen Sie uns denn hoffen und der Zeit warten, da wir werden handeln können. Bis dahin leben Sie wohl. Literaturblatt. Ein neuer Roman, der in England viel Aufsehen und Verdruß erregt hat, heißt I^sinon, Ms. Mborl^ Er enthält eine Schilderung der vornehmen Welt in England, die "icht schmeichelhaft ist, aber den Stempel der Wahrheit trägt, daher der Verdruß der Beteiligten. Der Inbegriff des Wortes lusliion ist eigentlich unübersetzbar: die Mode und ihre Tyrannei ist wohl annähernd der Sinn ; jedoch bleibt die Deutung für deut¬ sche Leser immer noch ziemlich unverständlich, weil man bei uns keinen Begriff von den launenhaften, albernen und despotischen Gesetzen der Mode in England hat. Sie beziehen sich nicht, wie bei uns, auf äußerliche Dinge, auf Kleidung, Hausrath u. f. in., son¬ dern hauptsächlich auf die Geltung und die Stellung in der vornehmen Gesellschaft. Um darin eine Rolle zu spielen, muß man die geheimnißvollen Bedingungen und Eigen¬ schaften kennen, welche die Despotin Fashion vorschreibt. Hohe Geburt und Reichthum, Getst und Schönheit finden keine Gnade vor ihr, wenn ihre eigensinnigen Gesetze nicht befolgt werden. Und worin diese bestehen, weiß eben kein Mensch zu sagen, sie ent¬ halten doppelt und dreifach das 1o no sais ciuoi der Franzosen. Die Exclusivität der englischen Gesellschaft ist bekannt, sie soll darin neuerdings nur von ihrre Copistin der amerikanischen in Newyork und Boston übertroffen werden. Doch ist es noch nicht ge¬ nügend, den Einlaß in den Zauberkreis erlangt zu haben, die Fashion verlangt darin unerbittlich ihre Opfer. Wie dem Malvch werden ihr irdische und himmlische Güter ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/165>, abgerufen am 22.07.2024.