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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Sterbestündchen verschiebt, denken sie, es wird immer noch Zeit sein zum Nach¬
geben, wenn Noth an Mann ist. Aber der Augenblick, in dem der Tod, der
Augenblick, in dem die Revolution eintritt, sind nicht zu berechnen. Jedes
Säumniß nähert die Zeit der Gefahr, vermindert die Wahrscheinlichkeit des Ge¬
lingens. Noch vor einem Jahr konnte Preußen mit kleinern Opfern Größe¬
res erreichen, als heute. Ohne Opfer, ohne einen Entschluß, ohne Gefahr ist
allerdings der böse Geist nicht zu beschwören. Wenn man aber fortfährt, in der
Revolution nicht den Geist der Unordnung und Willkür, sondern die leitende
sittliche, berechtigte und nothwendige Idee zu bekämpfen, so wird man sich eiuen
Pfad des Heils nach dem andern verschließen, bis das sehr triviale, sehr abge¬
droschene, aber immer wahre: Zu spät! sich geltend macht. Die Stunde ist
nicht zu prophezeien, so wenig wie der Moment des Gewitters in drückender
Sommerschwüle, aber kommen muß sie, und mit ihr unser aller Verderben.




Aus dem siebenbürger Sachsenland.

Es fehlt nicht an Stimmen, welche die eben im Werke begriffene Neorga-
nifiruug Siebenbürgens, wie seines Schwesterlandes Ungarn, in den deutschen
Zeitschriften besprechen. Dennoch dürste es nicht überflüssig sein, der deutschen
Lesewelt auch des sächsischen Volkes Wünsche in dieser Beziehung mitzutheilen,
da seine Anschauung gerade hierin bedeutend von der seiner Nachbarnationen
abweicht.

Während die Walachen es als Hauptaufgabe ihrer gegenwärtigen politischen
Thätigkeit betrachte", uicht uur die Integrität des Landes, sondern auch den von'
allen Nationen desselben gemeinsam beschickten Landtag aufrecht zu erhalten; wäh¬
rend dieses Streben anch dnrch eine starke Partei unter den Magyaren uuterstüizt
wird, dringen die Sachsen nachdrücklich ans eine, jeden fremden Einfluß ans die
innern Angelegenheiten abschneidende Scheidung der Nationalitäten. Sie ver¬
langen, daß entweder ihr Territorium zu einer selbstständigen Provinz erklärt,
oder mindestens ihrem Kreistage der Charakter eines unabhängigen Landtags
verliehen werde.

Die Gründe, welche bei Magyaren und Walachen ein gleiches Streben be¬
wirken, sind sich selbst sehr ähnlich, denn beide Nationen streben darnach, sich
die Präpotenz zu verschaffen, nur der Unterschied waltet zwischen ihnen ob, daß
die Letztern ihre Pläne ans die gegenwärtige Gestalt der Dinge bauen, während
die Magyaren blos die Vergangenheit im Auge behalten.

Es liegt offenbar in der Absicht der Walachen, durch allseitige Geltend-
machung ihres numerischen Uebergewichtes Siebenbürgen nach und nach zu eiuer


Sterbestündchen verschiebt, denken sie, es wird immer noch Zeit sein zum Nach¬
geben, wenn Noth an Mann ist. Aber der Augenblick, in dem der Tod, der
Augenblick, in dem die Revolution eintritt, sind nicht zu berechnen. Jedes
Säumniß nähert die Zeit der Gefahr, vermindert die Wahrscheinlichkeit des Ge¬
lingens. Noch vor einem Jahr konnte Preußen mit kleinern Opfern Größe¬
res erreichen, als heute. Ohne Opfer, ohne einen Entschluß, ohne Gefahr ist
allerdings der böse Geist nicht zu beschwören. Wenn man aber fortfährt, in der
Revolution nicht den Geist der Unordnung und Willkür, sondern die leitende
sittliche, berechtigte und nothwendige Idee zu bekämpfen, so wird man sich eiuen
Pfad des Heils nach dem andern verschließen, bis das sehr triviale, sehr abge¬
droschene, aber immer wahre: Zu spät! sich geltend macht. Die Stunde ist
nicht zu prophezeien, so wenig wie der Moment des Gewitters in drückender
Sommerschwüle, aber kommen muß sie, und mit ihr unser aller Verderben.




Aus dem siebenbürger Sachsenland.

Es fehlt nicht an Stimmen, welche die eben im Werke begriffene Neorga-
nifiruug Siebenbürgens, wie seines Schwesterlandes Ungarn, in den deutschen
Zeitschriften besprechen. Dennoch dürste es nicht überflüssig sein, der deutschen
Lesewelt auch des sächsischen Volkes Wünsche in dieser Beziehung mitzutheilen,
da seine Anschauung gerade hierin bedeutend von der seiner Nachbarnationen
abweicht.

Während die Walachen es als Hauptaufgabe ihrer gegenwärtigen politischen
Thätigkeit betrachte«, uicht uur die Integrität des Landes, sondern auch den von'
allen Nationen desselben gemeinsam beschickten Landtag aufrecht zu erhalten; wäh¬
rend dieses Streben anch dnrch eine starke Partei unter den Magyaren uuterstüizt
wird, dringen die Sachsen nachdrücklich ans eine, jeden fremden Einfluß ans die
innern Angelegenheiten abschneidende Scheidung der Nationalitäten. Sie ver¬
langen, daß entweder ihr Territorium zu einer selbstständigen Provinz erklärt,
oder mindestens ihrem Kreistage der Charakter eines unabhängigen Landtags
verliehen werde.

Die Gründe, welche bei Magyaren und Walachen ein gleiches Streben be¬
wirken, sind sich selbst sehr ähnlich, denn beide Nationen streben darnach, sich
die Präpotenz zu verschaffen, nur der Unterschied waltet zwischen ihnen ob, daß
die Letztern ihre Pläne ans die gegenwärtige Gestalt der Dinge bauen, während
die Magyaren blos die Vergangenheit im Auge behalten.

Es liegt offenbar in der Absicht der Walachen, durch allseitige Geltend-
machung ihres numerischen Uebergewichtes Siebenbürgen nach und nach zu eiuer


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[0151] Sterbestündchen verschiebt, denken sie, es wird immer noch Zeit sein zum Nach¬ geben, wenn Noth an Mann ist. Aber der Augenblick, in dem der Tod, der Augenblick, in dem die Revolution eintritt, sind nicht zu berechnen. Jedes Säumniß nähert die Zeit der Gefahr, vermindert die Wahrscheinlichkeit des Ge¬ lingens. Noch vor einem Jahr konnte Preußen mit kleinern Opfern Größe¬ res erreichen, als heute. Ohne Opfer, ohne einen Entschluß, ohne Gefahr ist allerdings der böse Geist nicht zu beschwören. Wenn man aber fortfährt, in der Revolution nicht den Geist der Unordnung und Willkür, sondern die leitende sittliche, berechtigte und nothwendige Idee zu bekämpfen, so wird man sich eiuen Pfad des Heils nach dem andern verschließen, bis das sehr triviale, sehr abge¬ droschene, aber immer wahre: Zu spät! sich geltend macht. Die Stunde ist nicht zu prophezeien, so wenig wie der Moment des Gewitters in drückender Sommerschwüle, aber kommen muß sie, und mit ihr unser aller Verderben. Aus dem siebenbürger Sachsenland. Es fehlt nicht an Stimmen, welche die eben im Werke begriffene Neorga- nifiruug Siebenbürgens, wie seines Schwesterlandes Ungarn, in den deutschen Zeitschriften besprechen. Dennoch dürste es nicht überflüssig sein, der deutschen Lesewelt auch des sächsischen Volkes Wünsche in dieser Beziehung mitzutheilen, da seine Anschauung gerade hierin bedeutend von der seiner Nachbarnationen abweicht. Während die Walachen es als Hauptaufgabe ihrer gegenwärtigen politischen Thätigkeit betrachte«, uicht uur die Integrität des Landes, sondern auch den von' allen Nationen desselben gemeinsam beschickten Landtag aufrecht zu erhalten; wäh¬ rend dieses Streben anch dnrch eine starke Partei unter den Magyaren uuterstüizt wird, dringen die Sachsen nachdrücklich ans eine, jeden fremden Einfluß ans die innern Angelegenheiten abschneidende Scheidung der Nationalitäten. Sie ver¬ langen, daß entweder ihr Territorium zu einer selbstständigen Provinz erklärt, oder mindestens ihrem Kreistage der Charakter eines unabhängigen Landtags verliehen werde. Die Gründe, welche bei Magyaren und Walachen ein gleiches Streben be¬ wirken, sind sich selbst sehr ähnlich, denn beide Nationen streben darnach, sich die Präpotenz zu verschaffen, nur der Unterschied waltet zwischen ihnen ob, daß die Letztern ihre Pläne ans die gegenwärtige Gestalt der Dinge bauen, während die Magyaren blos die Vergangenheit im Auge behalten. Es liegt offenbar in der Absicht der Walachen, durch allseitige Geltend- machung ihres numerischen Uebergewichtes Siebenbürgen nach und nach zu eiuer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/151>, abgerufen am 24.08.2024.