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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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es ihm unmöglich ist, sich mit den großen Maßregeln zu beschäftigen, und ernst>
liebe Studien zur Reform schlechter Institutionen oder zum Schaffen großer
Dinge zu macheu. Der Münster wird eine Unterzeichnungsmaschine, er herrscht,
und die Schreiber regieren.

Die den Beamten gesicherte Unverleizlichkeit, die Centralisation und ihre
tausend Arme, die einen überall erreichen können, haben zur Folge, daß die
Bürger jedesmal vou Furcht und Zittern ergriffen werden, wenn sie Interessen
gegen den Staat oder seine Beamten geltend zu macheu haben; sie fühlen ihre
Ohnmacht, schweigen oder beugen sich in Erwartung einer Revolution, die sie
anch wohl selbst hervorrufen.

Dieser Zustand, in Verbindung mit dem geringen Belange des Privat-
vermögenö, läßt es einer Menge von Personen wünschenswert!) erscheinen, öffent¬
liche Beamte zu werden, uni ihren Antheil an der Macht und am Budget zu
haben; und wie die Regierung andererseits oft in den Beamten ein Mittel der
Einwirkung und des Einflusses sah, so haben das stetlensüchtige Publicum und
die Regierung an Eiser sich überboten, die Zahl der Stellen unaufhörlich zu
vermehren.

Die Regierung hat an den um Stellen und Gunstbezeigungen sich bewer¬
benden Privatpersonen uoch nicht einmal genug gehabt, sie hat verschiedene Mittel
ersonnen, die Gemeinden, die Departements, die ganze Bevölkerung zu Bitt-
stellern im Großen zu machen. Ohne die öffentlichen Arbeiten zu rechnen, die
ein mächtiges Mittel sind, ganze Landestheile in Abhängigkeit von ihr zu erhal¬
ten, bewilligt die Centralisation Gelder, welche sie uach ihrem Willen an die
Wohlthätigkeitsanstalten, an die Vereine zur Hebung des Elendes, an die Ge¬
meinden und Departements vertheilt, um Schulen zu stiften, Gehaltsaulageu
für die Professoren der Kollegien zu geben, Gebäude zu errichten, historische
Denkmäler wieder herzustellen, der Unzulänglichkeit der Mittel Abhilfe zu ge¬
währen.

So wird die Bevölkerung unaufhörlich angespornt, Bittgesuche zu machen,
um Almosen von der Regierung zu erhalten, und in Frankreich petitioniren Privat¬
personen, Gemeinden, Hospitäler, Wohlthätigkeitsanstalten, Departements un-
aufhörlich, und strecken gegen das Ministerium die Hand aus.

Und wem wird alles dieses Geld gegeben? Denen, die es am nöthigsten
haben? Das ist ganz einfach unmöglich. Wie kann uuter den Tausenden von
Wohlthätigkeits-Btlreaur. oder Anstalten der Barmherzigkeit in Frankreich der
Minister diejenigen kennen, die ans seine Gaben das meiste Recht haben? Oft
haben die ärmsten Gegenden, welche etwas empfangen müßten, Niemanden, der
fähig wäre, die Gesuche schicklich abzufassen und durchzuführen, und die Landes-
theile, welche etwas erhalten, siud oft diejenigen, in deuen die meiste Einsicht,
die meisten einflußreiche Mäuner und die wenigsten Bedürfnisse find.


es ihm unmöglich ist, sich mit den großen Maßregeln zu beschäftigen, und ernst>
liebe Studien zur Reform schlechter Institutionen oder zum Schaffen großer
Dinge zu macheu. Der Münster wird eine Unterzeichnungsmaschine, er herrscht,
und die Schreiber regieren.

Die den Beamten gesicherte Unverleizlichkeit, die Centralisation und ihre
tausend Arme, die einen überall erreichen können, haben zur Folge, daß die
Bürger jedesmal vou Furcht und Zittern ergriffen werden, wenn sie Interessen
gegen den Staat oder seine Beamten geltend zu macheu haben; sie fühlen ihre
Ohnmacht, schweigen oder beugen sich in Erwartung einer Revolution, die sie
anch wohl selbst hervorrufen.

Dieser Zustand, in Verbindung mit dem geringen Belange des Privat-
vermögenö, läßt es einer Menge von Personen wünschenswert!) erscheinen, öffent¬
liche Beamte zu werden, uni ihren Antheil an der Macht und am Budget zu
haben; und wie die Regierung andererseits oft in den Beamten ein Mittel der
Einwirkung und des Einflusses sah, so haben das stetlensüchtige Publicum und
die Regierung an Eiser sich überboten, die Zahl der Stellen unaufhörlich zu
vermehren.

Die Regierung hat an den um Stellen und Gunstbezeigungen sich bewer¬
benden Privatpersonen uoch nicht einmal genug gehabt, sie hat verschiedene Mittel
ersonnen, die Gemeinden, die Departements, die ganze Bevölkerung zu Bitt-
stellern im Großen zu machen. Ohne die öffentlichen Arbeiten zu rechnen, die
ein mächtiges Mittel sind, ganze Landestheile in Abhängigkeit von ihr zu erhal¬
ten, bewilligt die Centralisation Gelder, welche sie uach ihrem Willen an die
Wohlthätigkeitsanstalten, an die Vereine zur Hebung des Elendes, an die Ge¬
meinden und Departements vertheilt, um Schulen zu stiften, Gehaltsaulageu
für die Professoren der Kollegien zu geben, Gebäude zu errichten, historische
Denkmäler wieder herzustellen, der Unzulänglichkeit der Mittel Abhilfe zu ge¬
währen.

So wird die Bevölkerung unaufhörlich angespornt, Bittgesuche zu machen,
um Almosen von der Regierung zu erhalten, und in Frankreich petitioniren Privat¬
personen, Gemeinden, Hospitäler, Wohlthätigkeitsanstalten, Departements un-
aufhörlich, und strecken gegen das Ministerium die Hand aus.

Und wem wird alles dieses Geld gegeben? Denen, die es am nöthigsten
haben? Das ist ganz einfach unmöglich. Wie kann uuter den Tausenden von
Wohlthätigkeits-Btlreaur. oder Anstalten der Barmherzigkeit in Frankreich der
Minister diejenigen kennen, die ans seine Gaben das meiste Recht haben? Oft
haben die ärmsten Gegenden, welche etwas empfangen müßten, Niemanden, der
fähig wäre, die Gesuche schicklich abzufassen und durchzuführen, und die Landes-
theile, welche etwas erhalten, siud oft diejenigen, in deuen die meiste Einsicht,
die meisten einflußreiche Mäuner und die wenigsten Bedürfnisse find.


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[0141] es ihm unmöglich ist, sich mit den großen Maßregeln zu beschäftigen, und ernst> liebe Studien zur Reform schlechter Institutionen oder zum Schaffen großer Dinge zu macheu. Der Münster wird eine Unterzeichnungsmaschine, er herrscht, und die Schreiber regieren. Die den Beamten gesicherte Unverleizlichkeit, die Centralisation und ihre tausend Arme, die einen überall erreichen können, haben zur Folge, daß die Bürger jedesmal vou Furcht und Zittern ergriffen werden, wenn sie Interessen gegen den Staat oder seine Beamten geltend zu macheu haben; sie fühlen ihre Ohnmacht, schweigen oder beugen sich in Erwartung einer Revolution, die sie anch wohl selbst hervorrufen. Dieser Zustand, in Verbindung mit dem geringen Belange des Privat- vermögenö, läßt es einer Menge von Personen wünschenswert!) erscheinen, öffent¬ liche Beamte zu werden, uni ihren Antheil an der Macht und am Budget zu haben; und wie die Regierung andererseits oft in den Beamten ein Mittel der Einwirkung und des Einflusses sah, so haben das stetlensüchtige Publicum und die Regierung an Eiser sich überboten, die Zahl der Stellen unaufhörlich zu vermehren. Die Regierung hat an den um Stellen und Gunstbezeigungen sich bewer¬ benden Privatpersonen uoch nicht einmal genug gehabt, sie hat verschiedene Mittel ersonnen, die Gemeinden, die Departements, die ganze Bevölkerung zu Bitt- stellern im Großen zu machen. Ohne die öffentlichen Arbeiten zu rechnen, die ein mächtiges Mittel sind, ganze Landestheile in Abhängigkeit von ihr zu erhal¬ ten, bewilligt die Centralisation Gelder, welche sie uach ihrem Willen an die Wohlthätigkeitsanstalten, an die Vereine zur Hebung des Elendes, an die Ge¬ meinden und Departements vertheilt, um Schulen zu stiften, Gehaltsaulageu für die Professoren der Kollegien zu geben, Gebäude zu errichten, historische Denkmäler wieder herzustellen, der Unzulänglichkeit der Mittel Abhilfe zu ge¬ währen. So wird die Bevölkerung unaufhörlich angespornt, Bittgesuche zu machen, um Almosen von der Regierung zu erhalten, und in Frankreich petitioniren Privat¬ personen, Gemeinden, Hospitäler, Wohlthätigkeitsanstalten, Departements un- aufhörlich, und strecken gegen das Ministerium die Hand aus. Und wem wird alles dieses Geld gegeben? Denen, die es am nöthigsten haben? Das ist ganz einfach unmöglich. Wie kann uuter den Tausenden von Wohlthätigkeits-Btlreaur. oder Anstalten der Barmherzigkeit in Frankreich der Minister diejenigen kennen, die ans seine Gaben das meiste Recht haben? Oft haben die ärmsten Gegenden, welche etwas empfangen müßten, Niemanden, der fähig wäre, die Gesuche schicklich abzufassen und durchzuführen, und die Landes- theile, welche etwas erhalten, siud oft diejenigen, in deuen die meiste Einsicht, die meisten einflußreiche Mäuner und die wenigsten Bedürfnisse find.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/141>, abgerufen am 02.10.2024.