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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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genießt die Netze der ersten besten fremden Gattin, die der Zufall an seine Seite
geführt, oder die er, durch eine flüchtige Neigung gereizt, vou ihrem Gatten
gegen seine eigne Fran für eine Nacht oder einige Stunden vertauscht hat. Er
zieht eine Dirne an seine Seite und schiebt dafür deren Vater oder Liebhaber
seine Frau oder Schwester hin.

Ihre Todten Pflegen sie zu zerschneiden und stückweise uuter den Bäumen
des Waldes zu begraben. Eine Empfindung der Trauer wird bei Todesfällen
nie sichtbar, vielmehr feiert man das Hinscheiden des Genossen durch eine Art
von Tanz und ein zweites Feuer, welches ganz besouders sür die entschlafene
Person angezündet wird. In Dörfern rasten sie niemals, man erblickt sie darin
immer nur durchziehend. Ihre Nastorte sind die Wälder, deren unzugänglichste
Wildniß sie besonders sür längern Aufenthalt auserwählen. Finden sie keine
Höhle, so graben sie sich eine Vertiefung in die Erde, über der sie ein Dach
von Zweigen, Schilf und Nasen errichten. Den Fußboden dieses Raumes be¬
decken sie mehrere Fuß hoch mit Reißig und Kalmnsschilf, so daß er ihnen eine
angenehm weiche Lagerstätte gewährt.

Dies ist das Hans der Spinne. Von hier ans werden nnn alle möglichen
Viehdiebereien versucht, und sie gelingen ihnen desto leichter, da die polnischen
Viehhirten das Wächtertalent der Hunde noch nicht ausgebildet haben. Man
pflegt den Verlust in die der polnischen Buchhaltung nie fehlende Rubrik
"Wolfsranb" zu schreiben.

Da die Horden gewöhnlich sehr zahlreich sind, so drängt das Bedürfniß zu
großen oder häufigen Räubereien. Sie sind daher eine fürchterliche Plage für
den Ackerbürger, Bauer und Landedelmann, und ein Glück für diese ist es noch
immer, daß die Zigeuner.nie lange einen Lagerort beibehalten. Ihre Feigheit
ist grenzenlos, daher sie jeder Gefahr durch schnelle Veränderung ihrer Nieder¬
lassung auszuweichen suchen.

So lange sie rasten, leben sie nur durch Viehdieberei und genießen nichts
Anderes als Fleisch, und als Gemüse Pilze und Knoblauch. Brod findet man
niemals bei ihnen, außer etwa bei ihren Wanderzügen ein erbetteltes Stück.
Allein sie genießen es ungern und nehmen es selten an, wenn es ihnen ange¬
boten wird. Dagegen verachten sie auch das Fleisch vou gestorbenen Vieh nicht
und erbetteln es zur Zeit des Winters, wo ihnen Viehdiebereien so häufig uicht
gelingen.

Das Aas wie das gesunde Fleisch wird auf gleiche Weife zubereitet, näm¬
lich zwischen drei zusammengelehnten Stangen aufgehängt und so der Flamme
eines starken Feuers so lauge ausgesetzt, bis es alle Fetttheile ausgeschwitzt und
sich in eine trockene mürbe Masse verwandelt hat.

Wo ihnen viele Viehdiebstähle glücken und der Raub uicht consumirt werden
kann, werden die überflüssigen lebendigen Thiere oder Fleischmassen an Pech-


genießt die Netze der ersten besten fremden Gattin, die der Zufall an seine Seite
geführt, oder die er, durch eine flüchtige Neigung gereizt, vou ihrem Gatten
gegen seine eigne Fran für eine Nacht oder einige Stunden vertauscht hat. Er
zieht eine Dirne an seine Seite und schiebt dafür deren Vater oder Liebhaber
seine Frau oder Schwester hin.

Ihre Todten Pflegen sie zu zerschneiden und stückweise uuter den Bäumen
des Waldes zu begraben. Eine Empfindung der Trauer wird bei Todesfällen
nie sichtbar, vielmehr feiert man das Hinscheiden des Genossen durch eine Art
von Tanz und ein zweites Feuer, welches ganz besouders sür die entschlafene
Person angezündet wird. In Dörfern rasten sie niemals, man erblickt sie darin
immer nur durchziehend. Ihre Nastorte sind die Wälder, deren unzugänglichste
Wildniß sie besonders sür längern Aufenthalt auserwählen. Finden sie keine
Höhle, so graben sie sich eine Vertiefung in die Erde, über der sie ein Dach
von Zweigen, Schilf und Nasen errichten. Den Fußboden dieses Raumes be¬
decken sie mehrere Fuß hoch mit Reißig und Kalmnsschilf, so daß er ihnen eine
angenehm weiche Lagerstätte gewährt.

Dies ist das Hans der Spinne. Von hier ans werden nnn alle möglichen
Viehdiebereien versucht, und sie gelingen ihnen desto leichter, da die polnischen
Viehhirten das Wächtertalent der Hunde noch nicht ausgebildet haben. Man
pflegt den Verlust in die der polnischen Buchhaltung nie fehlende Rubrik
„Wolfsranb" zu schreiben.

Da die Horden gewöhnlich sehr zahlreich sind, so drängt das Bedürfniß zu
großen oder häufigen Räubereien. Sie sind daher eine fürchterliche Plage für
den Ackerbürger, Bauer und Landedelmann, und ein Glück für diese ist es noch
immer, daß die Zigeuner.nie lange einen Lagerort beibehalten. Ihre Feigheit
ist grenzenlos, daher sie jeder Gefahr durch schnelle Veränderung ihrer Nieder¬
lassung auszuweichen suchen.

So lange sie rasten, leben sie nur durch Viehdieberei und genießen nichts
Anderes als Fleisch, und als Gemüse Pilze und Knoblauch. Brod findet man
niemals bei ihnen, außer etwa bei ihren Wanderzügen ein erbetteltes Stück.
Allein sie genießen es ungern und nehmen es selten an, wenn es ihnen ange¬
boten wird. Dagegen verachten sie auch das Fleisch vou gestorbenen Vieh nicht
und erbetteln es zur Zeit des Winters, wo ihnen Viehdiebereien so häufig uicht
gelingen.

Das Aas wie das gesunde Fleisch wird auf gleiche Weife zubereitet, näm¬
lich zwischen drei zusammengelehnten Stangen aufgehängt und so der Flamme
eines starken Feuers so lauge ausgesetzt, bis es alle Fetttheile ausgeschwitzt und
sich in eine trockene mürbe Masse verwandelt hat.

Wo ihnen viele Viehdiebstähle glücken und der Raub uicht consumirt werden
kann, werden die überflüssigen lebendigen Thiere oder Fleischmassen an Pech-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/136>, abgerufen am 25.08.2024.