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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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habhaft werden. Da nun aver die Geistlichen ans Bestrafung dieses frechen Ne- ^
ligionsbetrugö drangen, so nahmen die Gensdarmen die Mutter des Täuflings
gefangen, was ihnen nur nach wochenlanger Mühe in einem Walde bei Kleine
gelang, und die wilde Frau hatte nun das Unglück, 6 Wochen lang das Zucht¬
haus vou Kleine bewohnen zu müssen. Zwei Geistliche vom Orden der Francis-
caner, Herr Sterlecki und Bernardin Kopczywa, sollen sich dort große Mühe
gegeben haben, der Nomadin einen Begriff von dem Wesen und Werthe der
kirchlichen Satzungen zu verschaffe!!, aber keineswegs mit dem Resultate ihrer Be¬
mühung zufrieden gewesen sein.

Da sie nicht zu den berechtigten Bewohnern des Landes gerechnet werden,
so sollen sie sich mit einer schriftlichen Erlaubniß zum Aufenthalt in demselben
versehen, und diese wird mir mit der Bedingung bewilligt, daß der Stamm den
Anforderungen der herrschenden Kirche Genüge leiste. Diese Bedingung ist anch
auf dem Erlaubnisscheine, der (^KansKi, xas-Port (Zigeuuerpaß) genannt wird und
die Form eiues Gewerbschcinö hat, schriftlich bezeichnet, und das Amt pflegt noch be¬
sonders darauf zu bemerken, daß die Horde, oder der Anführer im Namen derselben,
sich der Bedingung unterworfen habe. Die Zigeuner lassen sich bei den Taufen die
Vermittelung der christlichen Kirche sehr gern gefallen, für Trauungen, Leichen-
bestattung und audere ähnliche Acte aber nehmen sie dieselbe niemals in Anspruch,
vollziehen diese vielmehr uach ihrer eigeuen halb oder ganz'heidnischen Weise.

Durch die christliche Taufe erachten sie ihre eigenen Gebräuche keineswegs
für überflüssig geworden. Dieselben sind roh wie bei den meisten wilden oder
verwahrlosten Völkern, und so sonderbar, daß eine kurze Mittheilung wohl gerecht¬
fertigt erscheinen mag.

Die Hilfleistung bei der Geburt ist eine Pflicht des Gatten, so wie bei der
unverehelichten Tochter die Pflicht des Vaters. Weibliche Hände berühren die
Gebärende nie; aber wenn diese auch männliche Hilfe nicht annimmt, so wird
dies für etwas Preiswürdiges gehalten. Daher pflegen sich die Zigeunerinnen,
wenn sie von den Wehen nicht völlig überwunden werden, selbst zu entbinden.
In Südrußland siudet dieser Act auf einem Schilflager im Beisein der ganzen
Horde, selbst der Kinder, statt. Bei den in Polen lebenden Zigeunern dagegen
hat sich die auf einem Anflug des Schamgefühls beruhende Sitte gebildet, der
Gebärenden ein besonderes Lager von Schilf in der Nähe der Höhle unter einer
jungen Birke oder Eiche zu bereiten, deren Wipfel bis ans die Erde niedergezogen
wird, so daß sich eine Art Laube bildet. Findet die Geburt zur Zeit des Wiuters
statt, so räumt mau der Gebärenden einen besondern Winkel in der Höhle ein
und schmückt und sondert denselben durch Zweige und Aeste von Kiefern oder
Fichten, in Ermangelung des Nadelholzes aber durch dürres Neimg, welches mit
Immergrün, Epheu, Moos und andern frischen Gewächsen behängt wird. Wäh¬
rend der Geburt entfernen sich sämmtliche Frauen des Stammes in die nächsten


habhaft werden. Da nun aver die Geistlichen ans Bestrafung dieses frechen Ne- ^
ligionsbetrugö drangen, so nahmen die Gensdarmen die Mutter des Täuflings
gefangen, was ihnen nur nach wochenlanger Mühe in einem Walde bei Kleine
gelang, und die wilde Frau hatte nun das Unglück, 6 Wochen lang das Zucht¬
haus vou Kleine bewohnen zu müssen. Zwei Geistliche vom Orden der Francis-
caner, Herr Sterlecki und Bernardin Kopczywa, sollen sich dort große Mühe
gegeben haben, der Nomadin einen Begriff von dem Wesen und Werthe der
kirchlichen Satzungen zu verschaffe!!, aber keineswegs mit dem Resultate ihrer Be¬
mühung zufrieden gewesen sein.

Da sie nicht zu den berechtigten Bewohnern des Landes gerechnet werden,
so sollen sie sich mit einer schriftlichen Erlaubniß zum Aufenthalt in demselben
versehen, und diese wird mir mit der Bedingung bewilligt, daß der Stamm den
Anforderungen der herrschenden Kirche Genüge leiste. Diese Bedingung ist anch
auf dem Erlaubnisscheine, der (^KansKi, xas-Port (Zigeuuerpaß) genannt wird und
die Form eiues Gewerbschcinö hat, schriftlich bezeichnet, und das Amt pflegt noch be¬
sonders darauf zu bemerken, daß die Horde, oder der Anführer im Namen derselben,
sich der Bedingung unterworfen habe. Die Zigeuner lassen sich bei den Taufen die
Vermittelung der christlichen Kirche sehr gern gefallen, für Trauungen, Leichen-
bestattung und audere ähnliche Acte aber nehmen sie dieselbe niemals in Anspruch,
vollziehen diese vielmehr uach ihrer eigeuen halb oder ganz'heidnischen Weise.

Durch die christliche Taufe erachten sie ihre eigenen Gebräuche keineswegs
für überflüssig geworden. Dieselben sind roh wie bei den meisten wilden oder
verwahrlosten Völkern, und so sonderbar, daß eine kurze Mittheilung wohl gerecht¬
fertigt erscheinen mag.

Die Hilfleistung bei der Geburt ist eine Pflicht des Gatten, so wie bei der
unverehelichten Tochter die Pflicht des Vaters. Weibliche Hände berühren die
Gebärende nie; aber wenn diese auch männliche Hilfe nicht annimmt, so wird
dies für etwas Preiswürdiges gehalten. Daher pflegen sich die Zigeunerinnen,
wenn sie von den Wehen nicht völlig überwunden werden, selbst zu entbinden.
In Südrußland siudet dieser Act auf einem Schilflager im Beisein der ganzen
Horde, selbst der Kinder, statt. Bei den in Polen lebenden Zigeunern dagegen
hat sich die auf einem Anflug des Schamgefühls beruhende Sitte gebildet, der
Gebärenden ein besonderes Lager von Schilf in der Nähe der Höhle unter einer
jungen Birke oder Eiche zu bereiten, deren Wipfel bis ans die Erde niedergezogen
wird, so daß sich eine Art Laube bildet. Findet die Geburt zur Zeit des Wiuters
statt, so räumt mau der Gebärenden einen besondern Winkel in der Höhle ein
und schmückt und sondert denselben durch Zweige und Aeste von Kiefern oder
Fichten, in Ermangelung des Nadelholzes aber durch dürres Neimg, welches mit
Immergrün, Epheu, Moos und andern frischen Gewächsen behängt wird. Wäh¬
rend der Geburt entfernen sich sämmtliche Frauen des Stammes in die nächsten


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[0132] habhaft werden. Da nun aver die Geistlichen ans Bestrafung dieses frechen Ne- ^ ligionsbetrugö drangen, so nahmen die Gensdarmen die Mutter des Täuflings gefangen, was ihnen nur nach wochenlanger Mühe in einem Walde bei Kleine gelang, und die wilde Frau hatte nun das Unglück, 6 Wochen lang das Zucht¬ haus vou Kleine bewohnen zu müssen. Zwei Geistliche vom Orden der Francis- caner, Herr Sterlecki und Bernardin Kopczywa, sollen sich dort große Mühe gegeben haben, der Nomadin einen Begriff von dem Wesen und Werthe der kirchlichen Satzungen zu verschaffe!!, aber keineswegs mit dem Resultate ihrer Be¬ mühung zufrieden gewesen sein. Da sie nicht zu den berechtigten Bewohnern des Landes gerechnet werden, so sollen sie sich mit einer schriftlichen Erlaubniß zum Aufenthalt in demselben versehen, und diese wird mir mit der Bedingung bewilligt, daß der Stamm den Anforderungen der herrschenden Kirche Genüge leiste. Diese Bedingung ist anch auf dem Erlaubnisscheine, der (^KansKi, xas-Port (Zigeuuerpaß) genannt wird und die Form eiues Gewerbschcinö hat, schriftlich bezeichnet, und das Amt pflegt noch be¬ sonders darauf zu bemerken, daß die Horde, oder der Anführer im Namen derselben, sich der Bedingung unterworfen habe. Die Zigeuner lassen sich bei den Taufen die Vermittelung der christlichen Kirche sehr gern gefallen, für Trauungen, Leichen- bestattung und audere ähnliche Acte aber nehmen sie dieselbe niemals in Anspruch, vollziehen diese vielmehr uach ihrer eigeuen halb oder ganz'heidnischen Weise. Durch die christliche Taufe erachten sie ihre eigenen Gebräuche keineswegs für überflüssig geworden. Dieselben sind roh wie bei den meisten wilden oder verwahrlosten Völkern, und so sonderbar, daß eine kurze Mittheilung wohl gerecht¬ fertigt erscheinen mag. Die Hilfleistung bei der Geburt ist eine Pflicht des Gatten, so wie bei der unverehelichten Tochter die Pflicht des Vaters. Weibliche Hände berühren die Gebärende nie; aber wenn diese auch männliche Hilfe nicht annimmt, so wird dies für etwas Preiswürdiges gehalten. Daher pflegen sich die Zigeunerinnen, wenn sie von den Wehen nicht völlig überwunden werden, selbst zu entbinden. In Südrußland siudet dieser Act auf einem Schilflager im Beisein der ganzen Horde, selbst der Kinder, statt. Bei den in Polen lebenden Zigeunern dagegen hat sich die auf einem Anflug des Schamgefühls beruhende Sitte gebildet, der Gebärenden ein besonderes Lager von Schilf in der Nähe der Höhle unter einer jungen Birke oder Eiche zu bereiten, deren Wipfel bis ans die Erde niedergezogen wird, so daß sich eine Art Laube bildet. Findet die Geburt zur Zeit des Wiuters statt, so räumt mau der Gebärenden einen besondern Winkel in der Höhle ein und schmückt und sondert denselben durch Zweige und Aeste von Kiefern oder Fichten, in Ermangelung des Nadelholzes aber durch dürres Neimg, welches mit Immergrün, Epheu, Moos und andern frischen Gewächsen behängt wird. Wäh¬ rend der Geburt entfernen sich sämmtliche Frauen des Stammes in die nächsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/132>, abgerufen am 25.08.2024.