Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Stimmenmehrheit von Lippe-Detmold, Anhalt-Cöthen n. s. w. fügen? in
welchem letztem Fall Preußen als mediatisirt anzusehen war.

Nach diesem Schritt war vorläufig für Preußen in Frankfurt nichts zu thun.
Die Nationalversammlung war antipreußisch und antirepnblikanisch, sie stand also,
ebenso wie die von ihr geschaffene Centralgewalt, ohne es selber zu wissen, unter
östreichischen Einfluß. Allein damit war noch nichts verloren, Es mußte eine natür¬
liche Reaction eintreten, sobald Oestreich seine Maske abwarf und sobald man in
Preußens Stärke, die man zu rasch als gebrochen angesehen hatte, wieder Ver¬
trauen setzen t'ounte.

Es geschah dies nach deu Novemberthaten. -- Man vergesse nicht,
daß Gagern's Amendement zu dem Großdentschen Verfassnngs-Entivnrf noch im
Oel ob er höchstens ans einige 30 Stimmen rechnen konnte. -- In kurzer Zeit
änderten sich die Verhältnisse. Die Weidenbusch-Partei organisirte sich, und schou
im Januar hatte sie die Majorität.

Es fehlte dieser Partei nur Eines. Ebenso wie die übrigen Fractionen des
Parlaments hatte sie sich in die Taktik der parlamentarischen Intrigue so verloren,
daß sie die viel wichtigeren, außerparlamentarischen Thatsachen nnr durch ein
gefärbtes Glas betrachtete. Es fehlte ihr ein Führer, der sie mit der Macht, in
deren Namen und zu deren Gunsten sie operirte, in einem beständigen, realen
Rapport erhielt. Zu dieser Stellung war Camphausen sowohl dnrch sein Amt
verpflichtet, als dnrch seine parlamentarische Vergangenheit befähigt, denn ihm.
konnte der deutsche Liberalismus, dem das preußische Toryministerium immer
verdächtig sein mußte, volles Vertrauen schenken. -- Diese Pflicht hat Camp¬
hausen versäumt. Er spielte der Partei gegenüber den schweigsamen Diplomaten,
und feiner Negierung gegenüber -- spielte er ihn anch. Und doch kam es darauf
an, die vollkommen sachgemäßen Bemerkungen, welche die Note vom 23. Januar
mit der vornehmen Nonchalance einer Macht, die sich auf sich selber stützt, und
daher in einer fast beleidigenden Form hinwarf, der Partei mit der Wärme einer
sichern Ueberzeugung in's Herz zu reden. Es kam darauf an, ihr deutlich zu
macheu, daß sie ihren Accent auf ein ganz falsches Wort legte; daß es Preußen
mit dem Erbkaiserthum, Deutschland mit der Volkssouveränetät nicht gedient sein
könne, daß diese an sich unerheblichen Formen nnr schädlich sein müßten, weil
sie den Particularismus empörten, ohne ihn zu bezwingen, daß der Punt't, auf
deu Alles ankäme, vielmehr nichts sei, als -- Trennung von Oestreich und
parlamentarische Organisation des übrigen Bundesgebiets. In diesem Fall wäre
selbst uuter der bescheidenen Form eiues Directoriums Preußen die Hegemonie
zugefallen. Wäre der Partei ganz entschieden erklärt worden, daß dieses Preußens
eigentliche Meinung sei, so hätte sie sich früher zu einem Schritt entschlossen, den
sie in Gotha zu spät that. Camphausen's Verantwortlichkeit für diesen Fehler
wird dadurch uicht aufgehoben, daß seine eigene Stellung zu deu regierenden


der Stimmenmehrheit von Lippe-Detmold, Anhalt-Cöthen n. s. w. fügen? in
welchem letztem Fall Preußen als mediatisirt anzusehen war.

Nach diesem Schritt war vorläufig für Preußen in Frankfurt nichts zu thun.
Die Nationalversammlung war antipreußisch und antirepnblikanisch, sie stand also,
ebenso wie die von ihr geschaffene Centralgewalt, ohne es selber zu wissen, unter
östreichischen Einfluß. Allein damit war noch nichts verloren, Es mußte eine natür¬
liche Reaction eintreten, sobald Oestreich seine Maske abwarf und sobald man in
Preußens Stärke, die man zu rasch als gebrochen angesehen hatte, wieder Ver¬
trauen setzen t'ounte.

Es geschah dies nach deu Novemberthaten. — Man vergesse nicht,
daß Gagern's Amendement zu dem Großdentschen Verfassnngs-Entivnrf noch im
Oel ob er höchstens ans einige 30 Stimmen rechnen konnte. — In kurzer Zeit
änderten sich die Verhältnisse. Die Weidenbusch-Partei organisirte sich, und schou
im Januar hatte sie die Majorität.

Es fehlte dieser Partei nur Eines. Ebenso wie die übrigen Fractionen des
Parlaments hatte sie sich in die Taktik der parlamentarischen Intrigue so verloren,
daß sie die viel wichtigeren, außerparlamentarischen Thatsachen nnr durch ein
gefärbtes Glas betrachtete. Es fehlte ihr ein Führer, der sie mit der Macht, in
deren Namen und zu deren Gunsten sie operirte, in einem beständigen, realen
Rapport erhielt. Zu dieser Stellung war Camphausen sowohl dnrch sein Amt
verpflichtet, als dnrch seine parlamentarische Vergangenheit befähigt, denn ihm.
konnte der deutsche Liberalismus, dem das preußische Toryministerium immer
verdächtig sein mußte, volles Vertrauen schenken. — Diese Pflicht hat Camp¬
hausen versäumt. Er spielte der Partei gegenüber den schweigsamen Diplomaten,
und feiner Negierung gegenüber — spielte er ihn anch. Und doch kam es darauf
an, die vollkommen sachgemäßen Bemerkungen, welche die Note vom 23. Januar
mit der vornehmen Nonchalance einer Macht, die sich auf sich selber stützt, und
daher in einer fast beleidigenden Form hinwarf, der Partei mit der Wärme einer
sichern Ueberzeugung in's Herz zu reden. Es kam darauf an, ihr deutlich zu
macheu, daß sie ihren Accent auf ein ganz falsches Wort legte; daß es Preußen
mit dem Erbkaiserthum, Deutschland mit der Volkssouveränetät nicht gedient sein
könne, daß diese an sich unerheblichen Formen nnr schädlich sein müßten, weil
sie den Particularismus empörten, ohne ihn zu bezwingen, daß der Punt't, auf
deu Alles ankäme, vielmehr nichts sei, als — Trennung von Oestreich und
parlamentarische Organisation des übrigen Bundesgebiets. In diesem Fall wäre
selbst uuter der bescheidenen Form eiues Directoriums Preußen die Hegemonie
zugefallen. Wäre der Partei ganz entschieden erklärt worden, daß dieses Preußens
eigentliche Meinung sei, so hätte sie sich früher zu einem Schritt entschlossen, den
sie in Gotha zu spät that. Camphausen's Verantwortlichkeit für diesen Fehler
wird dadurch uicht aufgehoben, daß seine eigene Stellung zu deu regierenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92403"/>
            <p xml:id="ID_354" prev="#ID_353"> der Stimmenmehrheit von Lippe-Detmold, Anhalt-Cöthen n. s. w. fügen? in<lb/>
welchem letztem Fall Preußen als mediatisirt anzusehen war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_355"> Nach diesem Schritt war vorläufig für Preußen in Frankfurt nichts zu thun.<lb/>
Die Nationalversammlung war antipreußisch und antirepnblikanisch, sie stand also,<lb/>
ebenso wie die von ihr geschaffene Centralgewalt, ohne es selber zu wissen, unter<lb/>
östreichischen Einfluß. Allein damit war noch nichts verloren, Es mußte eine natür¬<lb/>
liche Reaction eintreten, sobald Oestreich seine Maske abwarf und sobald man in<lb/>
Preußens Stärke, die man zu rasch als gebrochen angesehen hatte, wieder Ver¬<lb/>
trauen setzen t'ounte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_356"> Es geschah dies nach deu Novemberthaten. &#x2014; Man vergesse nicht,<lb/>
daß Gagern's Amendement zu dem Großdentschen Verfassnngs-Entivnrf noch im<lb/>
Oel ob er höchstens ans einige 30 Stimmen rechnen konnte. &#x2014; In kurzer Zeit<lb/>
änderten sich die Verhältnisse. Die Weidenbusch-Partei organisirte sich, und schou<lb/>
im Januar hatte sie die Majorität.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_357" next="#ID_358"> Es fehlte dieser Partei nur Eines. Ebenso wie die übrigen Fractionen des<lb/>
Parlaments hatte sie sich in die Taktik der parlamentarischen Intrigue so verloren,<lb/>
daß sie die viel wichtigeren, außerparlamentarischen Thatsachen nnr durch ein<lb/>
gefärbtes Glas betrachtete. Es fehlte ihr ein Führer, der sie mit der Macht, in<lb/>
deren Namen und zu deren Gunsten sie operirte, in einem beständigen, realen<lb/>
Rapport erhielt. Zu dieser Stellung war Camphausen sowohl dnrch sein Amt<lb/>
verpflichtet, als dnrch seine parlamentarische Vergangenheit befähigt, denn ihm.<lb/>
konnte der deutsche Liberalismus, dem das preußische Toryministerium immer<lb/>
verdächtig sein mußte, volles Vertrauen schenken. &#x2014; Diese Pflicht hat Camp¬<lb/>
hausen versäumt. Er spielte der Partei gegenüber den schweigsamen Diplomaten,<lb/>
und feiner Negierung gegenüber &#x2014; spielte er ihn anch. Und doch kam es darauf<lb/>
an, die vollkommen sachgemäßen Bemerkungen, welche die Note vom 23. Januar<lb/>
mit der vornehmen Nonchalance einer Macht, die sich auf sich selber stützt, und<lb/>
daher in einer fast beleidigenden Form hinwarf, der Partei mit der Wärme einer<lb/>
sichern Ueberzeugung in's Herz zu reden. Es kam darauf an, ihr deutlich zu<lb/>
macheu, daß sie ihren Accent auf ein ganz falsches Wort legte; daß es Preußen<lb/>
mit dem Erbkaiserthum, Deutschland mit der Volkssouveränetät nicht gedient sein<lb/>
könne, daß diese an sich unerheblichen Formen nnr schädlich sein müßten, weil<lb/>
sie den Particularismus empörten, ohne ihn zu bezwingen, daß der Punt't, auf<lb/>
deu Alles ankäme, vielmehr nichts sei, als &#x2014; Trennung von Oestreich und<lb/>
parlamentarische Organisation des übrigen Bundesgebiets. In diesem Fall wäre<lb/>
selbst uuter der bescheidenen Form eiues Directoriums Preußen die Hegemonie<lb/>
zugefallen. Wäre der Partei ganz entschieden erklärt worden, daß dieses Preußens<lb/>
eigentliche Meinung sei, so hätte sie sich früher zu einem Schritt entschlossen, den<lb/>
sie in Gotha zu spät that. Camphausen's Verantwortlichkeit für diesen Fehler<lb/>
wird dadurch uicht aufgehoben, daß seine eigene Stellung zu deu regierenden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] der Stimmenmehrheit von Lippe-Detmold, Anhalt-Cöthen n. s. w. fügen? in welchem letztem Fall Preußen als mediatisirt anzusehen war. Nach diesem Schritt war vorläufig für Preußen in Frankfurt nichts zu thun. Die Nationalversammlung war antipreußisch und antirepnblikanisch, sie stand also, ebenso wie die von ihr geschaffene Centralgewalt, ohne es selber zu wissen, unter östreichischen Einfluß. Allein damit war noch nichts verloren, Es mußte eine natür¬ liche Reaction eintreten, sobald Oestreich seine Maske abwarf und sobald man in Preußens Stärke, die man zu rasch als gebrochen angesehen hatte, wieder Ver¬ trauen setzen t'ounte. Es geschah dies nach deu Novemberthaten. — Man vergesse nicht, daß Gagern's Amendement zu dem Großdentschen Verfassnngs-Entivnrf noch im Oel ob er höchstens ans einige 30 Stimmen rechnen konnte. — In kurzer Zeit änderten sich die Verhältnisse. Die Weidenbusch-Partei organisirte sich, und schou im Januar hatte sie die Majorität. Es fehlte dieser Partei nur Eines. Ebenso wie die übrigen Fractionen des Parlaments hatte sie sich in die Taktik der parlamentarischen Intrigue so verloren, daß sie die viel wichtigeren, außerparlamentarischen Thatsachen nnr durch ein gefärbtes Glas betrachtete. Es fehlte ihr ein Führer, der sie mit der Macht, in deren Namen und zu deren Gunsten sie operirte, in einem beständigen, realen Rapport erhielt. Zu dieser Stellung war Camphausen sowohl dnrch sein Amt verpflichtet, als dnrch seine parlamentarische Vergangenheit befähigt, denn ihm. konnte der deutsche Liberalismus, dem das preußische Toryministerium immer verdächtig sein mußte, volles Vertrauen schenken. — Diese Pflicht hat Camp¬ hausen versäumt. Er spielte der Partei gegenüber den schweigsamen Diplomaten, und feiner Negierung gegenüber — spielte er ihn anch. Und doch kam es darauf an, die vollkommen sachgemäßen Bemerkungen, welche die Note vom 23. Januar mit der vornehmen Nonchalance einer Macht, die sich auf sich selber stützt, und daher in einer fast beleidigenden Form hinwarf, der Partei mit der Wärme einer sichern Ueberzeugung in's Herz zu reden. Es kam darauf an, ihr deutlich zu macheu, daß sie ihren Accent auf ein ganz falsches Wort legte; daß es Preußen mit dem Erbkaiserthum, Deutschland mit der Volkssouveränetät nicht gedient sein könne, daß diese an sich unerheblichen Formen nnr schädlich sein müßten, weil sie den Particularismus empörten, ohne ihn zu bezwingen, daß der Punt't, auf deu Alles ankäme, vielmehr nichts sei, als — Trennung von Oestreich und parlamentarische Organisation des übrigen Bundesgebiets. In diesem Fall wäre selbst uuter der bescheidenen Form eiues Directoriums Preußen die Hegemonie zugefallen. Wäre der Partei ganz entschieden erklärt worden, daß dieses Preußens eigentliche Meinung sei, so hätte sie sich früher zu einem Schritt entschlossen, den sie in Gotha zu spät that. Camphausen's Verantwortlichkeit für diesen Fehler wird dadurch uicht aufgehoben, daß seine eigene Stellung zu deu regierenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/114>, abgerufen am 25.08.2024.