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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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organisiren und zu leiten, trifft ihn in Beziehung auf die deutschen Angelegen¬
heiten auf eine ähnliche Weise, Um seine Stellung als preußischer Bevollmäch¬
tigter in Frankfurt zu würdigen, müssen wir einen Augenblick zurückblicken.

Die preußische Politik in Bezug ans die deutsche Frage, wie sie Camphausen
von seinem Vorgänger überkam, und wie sie mit seinen Ueberzeugungen überein¬
stimmte, war bereits in der Proclamation vom 18. März augedeutet, und die
Unterhandlungen, welche der Geueral Nadowitz in Wien leitete, konnten wenigstens
insofern damit in Uebereinstimmung gebracht werden, als sie die Los ug der Ver¬
pflichtungen Preußens gegen Oestreich herbeiführten. Sie ging Hand in Hand
mit den Märzministeriell der kleinen Staaten, und bestand darin, eine engere
Koalition der regenerirten deutschen Staaten -- mit Ausschluß Oestreichs --
zu bewerkstelligen, die dnrch ein a"S den Ständen der einzelnen Staaten gebil¬
detes Parlament und durch eine für die gemeinsamen Ailgelegeliheiteu gemeinsame
Regierung getragen werdeu sollte. Es ist uugef.'ehr die nämliche Idee, die der
spätern Union zit Grllilde gelegt wurde, und die auch alieni in die deutschell Zu-
stände Ordnung bringen kaun. -- Allein es geschah voll preußischer Seite nichts,
diese Idee zu realisiven. -- Man ließ das Vorparlament ruhig zusammenkommen,
ohne dafür zu sorgen, daß Preußen darin vertreten war; man hatte versäumt,
mit Gagern lind den übrigen liberalem Ministern sich in EinVerständniß zu setzen,
und so geschah es, daß jene Versammlung, vou der der Bundestag nicht ver-
-schmähte, sich Gesetze ertheilen zu lassen, einen Beschluß faßte, der solgellschwerer
war, als alle übrigen, scheinbar viel revolutiouäreru: die Zllziehung der Oestrei¬
cher zum deutscheu Parlament. Damit war der preußischen Politik der alte Weg
abgeschnitten.

Es läßt sich Manches zur Entschuldigung der preußischen Minister sagen:
sie waren im Jnnern zik beschäftigt u. s. w. Aber soviel bleibt wahr: durch
jenen Beschluß wurde dem preußischen Liberalismus ebenso das Heft in Deutsch¬
land aus den Händen gewunden, als durch Einberufung einer preußischen Con¬
stituante das Heft in Preußen.

Wenn nun Camphausen diese neue Wendung der Dinge soweit ignorirte,
daß er die Wahlen zum Parlament dem alten Landtag übertrug, einem ständi¬
schen Institut, das eben, im Begriff war, sich selber aufzulösen, so war das eben
ein solcher Anachronismus, als der kurze Zeit darauf publicirte Verfassungsent-
wurf der Vertrauensmänner, der, auf die alten Voraussetzungen berechnet, in der
neuen Lage der Dinge vollkommen unverständlich war. Und wenn sich dann
Camphausen beeilte, auf deu Befehl des Bundestags, der sich den Drohungen
des Fünfziger-Ausschusses fügte, seinen Beschluß zurückzunehmen, so war das --
wenn auch vielleicht unvermeidlich -- jedenfalls nicht geeignet, die Autorität der
preußischen Politik zu erhöhen. Denn man mußte sich fragen: handelt der preu¬
ßische Bnndestagögesandte unabhängig von seiner Negierung? oder muß er sich


Grenzboten- IV. 1850. 79

organisiren und zu leiten, trifft ihn in Beziehung auf die deutschen Angelegen¬
heiten auf eine ähnliche Weise, Um seine Stellung als preußischer Bevollmäch¬
tigter in Frankfurt zu würdigen, müssen wir einen Augenblick zurückblicken.

Die preußische Politik in Bezug ans die deutsche Frage, wie sie Camphausen
von seinem Vorgänger überkam, und wie sie mit seinen Ueberzeugungen überein¬
stimmte, war bereits in der Proclamation vom 18. März augedeutet, und die
Unterhandlungen, welche der Geueral Nadowitz in Wien leitete, konnten wenigstens
insofern damit in Uebereinstimmung gebracht werden, als sie die Los ug der Ver¬
pflichtungen Preußens gegen Oestreich herbeiführten. Sie ging Hand in Hand
mit den Märzministeriell der kleinen Staaten, und bestand darin, eine engere
Koalition der regenerirten deutschen Staaten — mit Ausschluß Oestreichs —
zu bewerkstelligen, die dnrch ein a»S den Ständen der einzelnen Staaten gebil¬
detes Parlament und durch eine für die gemeinsamen Ailgelegeliheiteu gemeinsame
Regierung getragen werdeu sollte. Es ist uugef.'ehr die nämliche Idee, die der
spätern Union zit Grllilde gelegt wurde, und die auch alieni in die deutschell Zu-
stände Ordnung bringen kaun. — Allein es geschah voll preußischer Seite nichts,
diese Idee zu realisiven. — Man ließ das Vorparlament ruhig zusammenkommen,
ohne dafür zu sorgen, daß Preußen darin vertreten war; man hatte versäumt,
mit Gagern lind den übrigen liberalem Ministern sich in EinVerständniß zu setzen,
und so geschah es, daß jene Versammlung, vou der der Bundestag nicht ver-
-schmähte, sich Gesetze ertheilen zu lassen, einen Beschluß faßte, der solgellschwerer
war, als alle übrigen, scheinbar viel revolutiouäreru: die Zllziehung der Oestrei¬
cher zum deutscheu Parlament. Damit war der preußischen Politik der alte Weg
abgeschnitten.

Es läßt sich Manches zur Entschuldigung der preußischen Minister sagen:
sie waren im Jnnern zik beschäftigt u. s. w. Aber soviel bleibt wahr: durch
jenen Beschluß wurde dem preußischen Liberalismus ebenso das Heft in Deutsch¬
land aus den Händen gewunden, als durch Einberufung einer preußischen Con¬
stituante das Heft in Preußen.

Wenn nun Camphausen diese neue Wendung der Dinge soweit ignorirte,
daß er die Wahlen zum Parlament dem alten Landtag übertrug, einem ständi¬
schen Institut, das eben, im Begriff war, sich selber aufzulösen, so war das eben
ein solcher Anachronismus, als der kurze Zeit darauf publicirte Verfassungsent-
wurf der Vertrauensmänner, der, auf die alten Voraussetzungen berechnet, in der
neuen Lage der Dinge vollkommen unverständlich war. Und wenn sich dann
Camphausen beeilte, auf deu Befehl des Bundestags, der sich den Drohungen
des Fünfziger-Ausschusses fügte, seinen Beschluß zurückzunehmen, so war das —
wenn auch vielleicht unvermeidlich — jedenfalls nicht geeignet, die Autorität der
preußischen Politik zu erhöhen. Denn man mußte sich fragen: handelt der preu¬
ßische Bnndestagögesandte unabhängig von seiner Negierung? oder muß er sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/113>, abgerufen am 25.08.2024.