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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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die Zuziehung des Landtags zu der neuen Gesetzgebung, also die unmittelbare
Beziehung zu der ältern Nechtöentwickelnng. Die Radicalen, welche dnrch die
Revolution die alte Nechtsentwickelung für geschlossen ansahen, verlangten entweder
die unmittelbare Einführung einer demokratischen Verfassung durch die Souveräne-
tät des Königs, oder die Einberufung eiuer souveränen, constituirenden Ver¬
sammlung.

Wenn die conservative Partei so entschieden ans Einberufung des plötzlich
unpopulär gewordenen Landtags bestand, so konnte das nnr den praktischen Sinn
haben, daß sie mit dieser Vertretung des alten Preußens die neue Verfassung,
die auf die Erfüllung der Forderungen der altliberalen Opposition herauskommen
mußte, vereinbaren wollte. -- Hier ist nun der erste Fall, in welchem Camp-
hausen's Bestreben, überall zu vermitteln, zum Nachtheil des Staates ausschlug.

Als er das Ministerium angetreten hatte, vereinbarte er mit dein Landtage
nämlich nicht die neue Verfassung, sondern die Einberufung einer Versammlung,
mit welcher die neue Verfassung vereinbart werden sollte. Daß die leitenden
Grundsätze derselben beiläufig dem Landtag zur Begutachtung vorgelegt wurden,
änderte daran nichts, denn dieses Gutachten hatte nicht den geringsten rechtlichen
Einfluß ans die Entscheidung der neuen Versammlung.

Unter diesen Umständen konnte man allerdings fragen, wozu mau sich durch
deu Zusammentritt des Landtags eigentlich mit den Radicalen überworfen habe.
Denn es war durch ihn die Revolution nicht geschlossen, es war nur talenta rasa
gemacht, der Rechtsboden gelöst, der Staat ohne Verfassung, es traten zwei
Paciscenten zusammen, um dieselbe zu vereinbaren, und was geschehen sollte,
wenn diese Vereinbarung nicht bewirkt wurde, darüber war keine Auskunft gegeben.

Dem ersten Anschein nach sah dieser Zustand wie eine Concession an die
revolutionäre Partei ans. Das wäre auch der Fall gewesen, wenn -- die Re¬
volution irgend anders vorgefallen wäre, als in den Köpfen der Leute. Ueber
den Pariser Febrnarereignissen und dem Schreck der Barrikadennacht hatte das
Königthum den Kopf verloren, und sich zu Concessionen verstanden, die weit
über die reale Machtentwickelung seiner Gegner Hinansgingen. Es war voraus¬
zusehen, daß es bei dem ersten Abkühlen der revolutionären Glurh zur Besinnung
kommen und zur Zurücknahme seiner Concessionen schreiten würde, wenn es sich
rechtlich nicht gebunden fand.

Hätte Camphausen die Verfassung, welche er später der Nationalversamm¬
lung vorlegte, ohne Weiteres mit dem Landtag vereinbart, dessen Loyalität an
einen ernstlichen Widerspruch nicht denken ließ, so hätte damals, wo die Furcht
noch waltete, das Königthum, der Adel, der Hof mit Freuden zugegriffen, die
Verfassung wäre beschworen, das Heer vereidigt wordeu, und hätte das Berliner
Gesindel eine Emente versucht, so wäre es vou der vereinigten Begeisterung der
Bürger und des Militärs leicht zu Paaren getrieben.


die Zuziehung des Landtags zu der neuen Gesetzgebung, also die unmittelbare
Beziehung zu der ältern Nechtöentwickelnng. Die Radicalen, welche dnrch die
Revolution die alte Nechtsentwickelung für geschlossen ansahen, verlangten entweder
die unmittelbare Einführung einer demokratischen Verfassung durch die Souveräne-
tät des Königs, oder die Einberufung eiuer souveränen, constituirenden Ver¬
sammlung.

Wenn die conservative Partei so entschieden ans Einberufung des plötzlich
unpopulär gewordenen Landtags bestand, so konnte das nnr den praktischen Sinn
haben, daß sie mit dieser Vertretung des alten Preußens die neue Verfassung,
die auf die Erfüllung der Forderungen der altliberalen Opposition herauskommen
mußte, vereinbaren wollte. — Hier ist nun der erste Fall, in welchem Camp-
hausen's Bestreben, überall zu vermitteln, zum Nachtheil des Staates ausschlug.

Als er das Ministerium angetreten hatte, vereinbarte er mit dein Landtage
nämlich nicht die neue Verfassung, sondern die Einberufung einer Versammlung,
mit welcher die neue Verfassung vereinbart werden sollte. Daß die leitenden
Grundsätze derselben beiläufig dem Landtag zur Begutachtung vorgelegt wurden,
änderte daran nichts, denn dieses Gutachten hatte nicht den geringsten rechtlichen
Einfluß ans die Entscheidung der neuen Versammlung.

Unter diesen Umständen konnte man allerdings fragen, wozu mau sich durch
deu Zusammentritt des Landtags eigentlich mit den Radicalen überworfen habe.
Denn es war durch ihn die Revolution nicht geschlossen, es war nur talenta rasa
gemacht, der Rechtsboden gelöst, der Staat ohne Verfassung, es traten zwei
Paciscenten zusammen, um dieselbe zu vereinbaren, und was geschehen sollte,
wenn diese Vereinbarung nicht bewirkt wurde, darüber war keine Auskunft gegeben.

Dem ersten Anschein nach sah dieser Zustand wie eine Concession an die
revolutionäre Partei ans. Das wäre auch der Fall gewesen, wenn — die Re¬
volution irgend anders vorgefallen wäre, als in den Köpfen der Leute. Ueber
den Pariser Febrnarereignissen und dem Schreck der Barrikadennacht hatte das
Königthum den Kopf verloren, und sich zu Concessionen verstanden, die weit
über die reale Machtentwickelung seiner Gegner Hinansgingen. Es war voraus¬
zusehen, daß es bei dem ersten Abkühlen der revolutionären Glurh zur Besinnung
kommen und zur Zurücknahme seiner Concessionen schreiten würde, wenn es sich
rechtlich nicht gebunden fand.

Hätte Camphausen die Verfassung, welche er später der Nationalversamm¬
lung vorlegte, ohne Weiteres mit dem Landtag vereinbart, dessen Loyalität an
einen ernstlichen Widerspruch nicht denken ließ, so hätte damals, wo die Furcht
noch waltete, das Königthum, der Adel, der Hof mit Freuden zugegriffen, die
Verfassung wäre beschworen, das Heer vereidigt wordeu, und hätte das Berliner
Gesindel eine Emente versucht, so wäre es vou der vereinigten Begeisterung der
Bürger und des Militärs leicht zu Paaren getrieben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/110>, abgerufen am 25.08.2024.