Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gethan werden; alle Einrichtungen, die ans einen wirklichen Fortschritt hinzielten,
gingen von der Uebereinkunft einzelner Staaten ans. -- Das mußte, dem all¬
gemeinen Vorurtheil gegenüber, welches in dem Bundestag nicht das Wesen,
sondern den zufälligen Ausdruck zu bekämpfen glaubte, offen und unumwunden
ausgesprochen werdeu, und dieses Verdienst hat sich Camphausen in den Aus-
schüssen erworben.

Ich lege darum auf diesen scheinbar unbedeutenden Umstand so großes Ge¬
wicht, weil er in diesem Augenblick wieder zur Hauptsache geworden ist. -- Es
hat nicht an dein bösen Willen dieses oder jenes Diplomaten, dieses oder jenes
Fürsten gelegen, daß der Bundestag der Freiheit feindlich war, sondern es lag
in der Natur des Instituts. Die im Bundestag concentrirte Macht der Fürsten
macht ein über deu Schein hinausgehendes Repräsentativstem der einzelnen
Staaten unmöglich, und setzt mau ihm eine gemeinsame deutsche Nationalver-
tretuug gegenüber, so wird diese illusorisch durch die Macht der einzelnen Fürsten,
die über die Grenzen des Bundestags hinausgeht.

Es war uicht uuwichiig, daß jene Erörterung der deutschen Frage in der
preußischen Volksvertretung kurz vor der allgemeinen deutschen Bewegung statt¬
fand, die eine entgegengesetzte, und darum eine illusorische Richtung nahm.

Es zeigte sich damals, daß die vermittelnde Rolle, welche Camphausen im
Landtag gespielt, und welche ihn bei der jetzt eintretenden Krisis der Krone ge-
nehm machen mußte, ihn: in der öffentlichen Meinung keineswegs geschadet hatte.
Er war es, den die allgemeine Stimme schon am 18. März an die Spitze des
neuen Preußen berief.

Bevor das geschah, hatte er Gelegenheit gehabt, in einer am 11. März zu
Bonn mit Hansemann, Beckerath und andern Rheinländern abgefaßten Petition
sein Programm aufzustellen. Es enthielt die Forderung: "den Vereinigten Land¬
tag sofort einzuberufen und demselben Gesetzentwürfe folgenden Inhalts vor¬
legen zu lassen: 1) Abänderung des Wahlsystems in der Art, daß die verschie¬
denen Volksclassen in richtigem Verhältniß vertreten werden;, 2) zeitgemäße
Umgestaltung der Herren-Curie; 3) beschließende Mitwirkung des in vorgedachter
Weise umgestalteten Vereinigten Landtags in der gesammten Gesetzgebung und im
Staatshaushalt mit einfacher Majorität." In demselben Sinne verhieß das Mini¬
sterium Arnim am 22. März: "dem Vereinigten Landtag ein Wahlgesetz zur
Begutachtung vorzulegen, welches eine auf Urwahleu gegründete, alle Interessen
des Volks ohne Unterschied der religiösen Glaubensbekenntnisse umfassende Ver¬
tretung herbeizuführen geeignet wäre, und der durch dieses Wahlgesetz zu bildenden
neuen Volksvertretung Vorschläge über Sicherstellung der persönlichen Freiheit,
über freies Versammlungsrecht u. f. w. zu macheu."

Damals war das Stichwort, welches die neue conservative Partei von der
freilich uoch sehr unklaren, im Gährungsproceß begriffenen revolutionären schied,


gethan werden; alle Einrichtungen, die ans einen wirklichen Fortschritt hinzielten,
gingen von der Uebereinkunft einzelner Staaten ans. — Das mußte, dem all¬
gemeinen Vorurtheil gegenüber, welches in dem Bundestag nicht das Wesen,
sondern den zufälligen Ausdruck zu bekämpfen glaubte, offen und unumwunden
ausgesprochen werdeu, und dieses Verdienst hat sich Camphausen in den Aus-
schüssen erworben.

Ich lege darum auf diesen scheinbar unbedeutenden Umstand so großes Ge¬
wicht, weil er in diesem Augenblick wieder zur Hauptsache geworden ist. — Es
hat nicht an dein bösen Willen dieses oder jenes Diplomaten, dieses oder jenes
Fürsten gelegen, daß der Bundestag der Freiheit feindlich war, sondern es lag
in der Natur des Instituts. Die im Bundestag concentrirte Macht der Fürsten
macht ein über deu Schein hinausgehendes Repräsentativstem der einzelnen
Staaten unmöglich, und setzt mau ihm eine gemeinsame deutsche Nationalver-
tretuug gegenüber, so wird diese illusorisch durch die Macht der einzelnen Fürsten,
die über die Grenzen des Bundestags hinausgeht.

Es war uicht uuwichiig, daß jene Erörterung der deutschen Frage in der
preußischen Volksvertretung kurz vor der allgemeinen deutschen Bewegung statt¬
fand, die eine entgegengesetzte, und darum eine illusorische Richtung nahm.

Es zeigte sich damals, daß die vermittelnde Rolle, welche Camphausen im
Landtag gespielt, und welche ihn bei der jetzt eintretenden Krisis der Krone ge-
nehm machen mußte, ihn: in der öffentlichen Meinung keineswegs geschadet hatte.
Er war es, den die allgemeine Stimme schon am 18. März an die Spitze des
neuen Preußen berief.

Bevor das geschah, hatte er Gelegenheit gehabt, in einer am 11. März zu
Bonn mit Hansemann, Beckerath und andern Rheinländern abgefaßten Petition
sein Programm aufzustellen. Es enthielt die Forderung: „den Vereinigten Land¬
tag sofort einzuberufen und demselben Gesetzentwürfe folgenden Inhalts vor¬
legen zu lassen: 1) Abänderung des Wahlsystems in der Art, daß die verschie¬
denen Volksclassen in richtigem Verhältniß vertreten werden;, 2) zeitgemäße
Umgestaltung der Herren-Curie; 3) beschließende Mitwirkung des in vorgedachter
Weise umgestalteten Vereinigten Landtags in der gesammten Gesetzgebung und im
Staatshaushalt mit einfacher Majorität." In demselben Sinne verhieß das Mini¬
sterium Arnim am 22. März: „dem Vereinigten Landtag ein Wahlgesetz zur
Begutachtung vorzulegen, welches eine auf Urwahleu gegründete, alle Interessen
des Volks ohne Unterschied der religiösen Glaubensbekenntnisse umfassende Ver¬
tretung herbeizuführen geeignet wäre, und der durch dieses Wahlgesetz zu bildenden
neuen Volksvertretung Vorschläge über Sicherstellung der persönlichen Freiheit,
über freies Versammlungsrecht u. f. w. zu macheu."

Damals war das Stichwort, welches die neue conservative Partei von der
freilich uoch sehr unklaren, im Gährungsproceß begriffenen revolutionären schied,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92398"/>
            <p xml:id="ID_331" prev="#ID_330"> gethan werden; alle Einrichtungen, die ans einen wirklichen Fortschritt hinzielten,<lb/>
gingen von der Uebereinkunft einzelner Staaten ans. &#x2014; Das mußte, dem all¬<lb/>
gemeinen Vorurtheil gegenüber, welches in dem Bundestag nicht das Wesen,<lb/>
sondern den zufälligen Ausdruck zu bekämpfen glaubte, offen und unumwunden<lb/>
ausgesprochen werdeu, und dieses Verdienst hat sich Camphausen in den Aus-<lb/>
schüssen erworben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_332"> Ich lege darum auf diesen scheinbar unbedeutenden Umstand so großes Ge¬<lb/>
wicht, weil er in diesem Augenblick wieder zur Hauptsache geworden ist. &#x2014; Es<lb/>
hat nicht an dein bösen Willen dieses oder jenes Diplomaten, dieses oder jenes<lb/>
Fürsten gelegen, daß der Bundestag der Freiheit feindlich war, sondern es lag<lb/>
in der Natur des Instituts. Die im Bundestag concentrirte Macht der Fürsten<lb/>
macht ein über deu Schein hinausgehendes Repräsentativstem der einzelnen<lb/>
Staaten unmöglich, und setzt mau ihm eine gemeinsame deutsche Nationalver-<lb/>
tretuug gegenüber, so wird diese illusorisch durch die Macht der einzelnen Fürsten,<lb/>
die über die Grenzen des Bundestags hinausgeht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_333"> Es war uicht uuwichiig, daß jene Erörterung der deutschen Frage in der<lb/>
preußischen Volksvertretung kurz vor der allgemeinen deutschen Bewegung statt¬<lb/>
fand, die eine entgegengesetzte, und darum eine illusorische Richtung nahm.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_334"> Es zeigte sich damals, daß die vermittelnde Rolle, welche Camphausen im<lb/>
Landtag gespielt, und welche ihn bei der jetzt eintretenden Krisis der Krone ge-<lb/>
nehm machen mußte, ihn: in der öffentlichen Meinung keineswegs geschadet hatte.<lb/>
Er war es, den die allgemeine Stimme schon am 18. März an die Spitze des<lb/>
neuen Preußen berief.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_335"> Bevor das geschah, hatte er Gelegenheit gehabt, in einer am 11. März zu<lb/>
Bonn mit Hansemann, Beckerath und andern Rheinländern abgefaßten Petition<lb/>
sein Programm aufzustellen. Es enthielt die Forderung: &#x201E;den Vereinigten Land¬<lb/>
tag sofort einzuberufen und demselben Gesetzentwürfe folgenden Inhalts vor¬<lb/>
legen zu lassen: 1) Abänderung des Wahlsystems in der Art, daß die verschie¬<lb/>
denen Volksclassen in richtigem Verhältniß vertreten werden;, 2) zeitgemäße<lb/>
Umgestaltung der Herren-Curie; 3) beschließende Mitwirkung des in vorgedachter<lb/>
Weise umgestalteten Vereinigten Landtags in der gesammten Gesetzgebung und im<lb/>
Staatshaushalt mit einfacher Majorität." In demselben Sinne verhieß das Mini¬<lb/>
sterium Arnim am 22. März: &#x201E;dem Vereinigten Landtag ein Wahlgesetz zur<lb/>
Begutachtung vorzulegen, welches eine auf Urwahleu gegründete, alle Interessen<lb/>
des Volks ohne Unterschied der religiösen Glaubensbekenntnisse umfassende Ver¬<lb/>
tretung herbeizuführen geeignet wäre, und der durch dieses Wahlgesetz zu bildenden<lb/>
neuen Volksvertretung Vorschläge über Sicherstellung der persönlichen Freiheit,<lb/>
über freies Versammlungsrecht u. f. w. zu macheu."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_336" next="#ID_337"> Damals war das Stichwort, welches die neue conservative Partei von der<lb/>
freilich uoch sehr unklaren, im Gährungsproceß begriffenen revolutionären schied,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] gethan werden; alle Einrichtungen, die ans einen wirklichen Fortschritt hinzielten, gingen von der Uebereinkunft einzelner Staaten ans. — Das mußte, dem all¬ gemeinen Vorurtheil gegenüber, welches in dem Bundestag nicht das Wesen, sondern den zufälligen Ausdruck zu bekämpfen glaubte, offen und unumwunden ausgesprochen werdeu, und dieses Verdienst hat sich Camphausen in den Aus- schüssen erworben. Ich lege darum auf diesen scheinbar unbedeutenden Umstand so großes Ge¬ wicht, weil er in diesem Augenblick wieder zur Hauptsache geworden ist. — Es hat nicht an dein bösen Willen dieses oder jenes Diplomaten, dieses oder jenes Fürsten gelegen, daß der Bundestag der Freiheit feindlich war, sondern es lag in der Natur des Instituts. Die im Bundestag concentrirte Macht der Fürsten macht ein über deu Schein hinausgehendes Repräsentativstem der einzelnen Staaten unmöglich, und setzt mau ihm eine gemeinsame deutsche Nationalver- tretuug gegenüber, so wird diese illusorisch durch die Macht der einzelnen Fürsten, die über die Grenzen des Bundestags hinausgeht. Es war uicht uuwichiig, daß jene Erörterung der deutschen Frage in der preußischen Volksvertretung kurz vor der allgemeinen deutschen Bewegung statt¬ fand, die eine entgegengesetzte, und darum eine illusorische Richtung nahm. Es zeigte sich damals, daß die vermittelnde Rolle, welche Camphausen im Landtag gespielt, und welche ihn bei der jetzt eintretenden Krisis der Krone ge- nehm machen mußte, ihn: in der öffentlichen Meinung keineswegs geschadet hatte. Er war es, den die allgemeine Stimme schon am 18. März an die Spitze des neuen Preußen berief. Bevor das geschah, hatte er Gelegenheit gehabt, in einer am 11. März zu Bonn mit Hansemann, Beckerath und andern Rheinländern abgefaßten Petition sein Programm aufzustellen. Es enthielt die Forderung: „den Vereinigten Land¬ tag sofort einzuberufen und demselben Gesetzentwürfe folgenden Inhalts vor¬ legen zu lassen: 1) Abänderung des Wahlsystems in der Art, daß die verschie¬ denen Volksclassen in richtigem Verhältniß vertreten werden;, 2) zeitgemäße Umgestaltung der Herren-Curie; 3) beschließende Mitwirkung des in vorgedachter Weise umgestalteten Vereinigten Landtags in der gesammten Gesetzgebung und im Staatshaushalt mit einfacher Majorität." In demselben Sinne verhieß das Mini¬ sterium Arnim am 22. März: „dem Vereinigten Landtag ein Wahlgesetz zur Begutachtung vorzulegen, welches eine auf Urwahleu gegründete, alle Interessen des Volks ohne Unterschied der religiösen Glaubensbekenntnisse umfassende Ver¬ tretung herbeizuführen geeignet wäre, und der durch dieses Wahlgesetz zu bildenden neuen Volksvertretung Vorschläge über Sicherstellung der persönlichen Freiheit, über freies Versammlungsrecht u. f. w. zu macheu." Damals war das Stichwort, welches die neue conservative Partei von der freilich uoch sehr unklaren, im Gährungsproceß begriffenen revolutionären schied,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/109>, abgerufen am 02.10.2024.