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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sehr schwach unterstützt, er hat zuletzt, als es zum Bruch kommeu sollte -- bei
der Wahl der Ausschüsse -- der Krone nachgegeben, wenn anch unter Vorbehalt.

Das Festhalten des Nechtsbodens, wie überhaupt jeder legitimen Autorität,
wie jede Rechtgläubigkeit, hat etwas ungemein Bequemes und schmeichelt dem
Selbstgefühl. Man weiß in jedem Augenblick sein Stichwort, man ist überall
einig mit sich selbst, man darf sich nie etwas vergeben. Die Rolle eines Ver¬
mittlers ist stets peinlich, auch wenn sie ihren Zweck uicht verfehlt, denn sie ist
unsicher, zweifelhaft. Aber in solchen Dingen hat das persönliche Selbstgefühl
doch nicht ausschließlich das Wort. Das refiguirte Zurückziehen aus der politischen
Entwickelung, wo das volle Recht uicht gewährt ist, und wo gegen deu Ueber-
treter des Rechts kein höherer Richter da ist, ist doch immer, wenn es überhaupt
etwas bedeuten soll, eine entfernte Provocation auf die Entscheidung der That¬
sachen. Wer dieser abhold ist, weil er uoch andere Interessen zu vertreten hat,
als das eine abstracte Recht, und weil er weiß, daß diese bei der thatsächlichen
Entscheidung, wo die Leidenschaft über deu Verstand, der Zufall über den Plan
hinausgeht, untergehen müssen, wird doch wohl das Recht haben, sich auf den
Weg der Verhandlung einzulassen, bei welchem sich, wenn anch nicht immer ein
Ende, doch wenigstens ein Weiterkommen absehen läßt. Freilich hat diese Klug-
heitsregel ihre Grenze, es gibt Zeiten, wo auf alle Gefahr hin uur das per¬
sönliche Ehrgefühl zu sprechen hat.

In den Laudtagsverhaudluugeu scheint nur dieser Augenblick uoch uicht vor¬
handen gewesen zu sein. Die Aussicht ans ein- allmäliges Entgegenkommen der
widerstreitenden Absichten, wenn man vom Nechtspunkt absah, da die constitutio-
nelle Centralisation Preußens uicht blos im Interesse des Volks, sondern anch
in dem der Krone lag, war zu groß; der Erfolg der bloßen Protestation, da die
öffentliche Meinung damals über sich selber noch gar nicht im Klaren sein konnte,
zu zweifelhaft, als daß der praktische Mann sich nicht zu dein Versuch einer ver¬
mittelnden Thätigkeit hätte getrieben fühlen sollen.

Von diesem Gesichtspunkt ans vertheidige ich Cmuphauseu, der übrigens darin
consequent blieb, uicht nnr wegen seiner Weigerung, die Declaration der Rechte
zu unterschreiben -- ein kühn aussehender Schritt, dessen Erfolg aber mehr als
zweifelhaft war, souderu auch wegen seiner Theilnahme an der Ansschnßwahl,
gegen deren rechtliche Gültigkeit Protest eingelegt wurde. Trotz seines prin¬
cipiellen Widerspruchs stand ihm z. B. Vincke viel näher, als vielen der Unter¬
zeichner jenes Protestes.

Die Ausschüsse gaben Camphausen -- der übrigeus sonst diese Gelegenheit,
sich öffentlich auszusprechen, redlich dazu benutzte, der Krone zu drohen, und
zwar auf eine Weife, die sich bald uur zu sehr bethätigen sollte -- Veranlassung,
das Verhältniß Preußens zum deutschen Bund in's Ange zu fassen.

Wenn in einer der kleinen deutschen Kammern irgend eine Frage angeregt


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sehr schwach unterstützt, er hat zuletzt, als es zum Bruch kommeu sollte — bei
der Wahl der Ausschüsse — der Krone nachgegeben, wenn anch unter Vorbehalt.

Das Festhalten des Nechtsbodens, wie überhaupt jeder legitimen Autorität,
wie jede Rechtgläubigkeit, hat etwas ungemein Bequemes und schmeichelt dem
Selbstgefühl. Man weiß in jedem Augenblick sein Stichwort, man ist überall
einig mit sich selbst, man darf sich nie etwas vergeben. Die Rolle eines Ver¬
mittlers ist stets peinlich, auch wenn sie ihren Zweck uicht verfehlt, denn sie ist
unsicher, zweifelhaft. Aber in solchen Dingen hat das persönliche Selbstgefühl
doch nicht ausschließlich das Wort. Das refiguirte Zurückziehen aus der politischen
Entwickelung, wo das volle Recht uicht gewährt ist, und wo gegen deu Ueber-
treter des Rechts kein höherer Richter da ist, ist doch immer, wenn es überhaupt
etwas bedeuten soll, eine entfernte Provocation auf die Entscheidung der That¬
sachen. Wer dieser abhold ist, weil er uoch andere Interessen zu vertreten hat,
als das eine abstracte Recht, und weil er weiß, daß diese bei der thatsächlichen
Entscheidung, wo die Leidenschaft über deu Verstand, der Zufall über den Plan
hinausgeht, untergehen müssen, wird doch wohl das Recht haben, sich auf den
Weg der Verhandlung einzulassen, bei welchem sich, wenn anch nicht immer ein
Ende, doch wenigstens ein Weiterkommen absehen läßt. Freilich hat diese Klug-
heitsregel ihre Grenze, es gibt Zeiten, wo auf alle Gefahr hin uur das per¬
sönliche Ehrgefühl zu sprechen hat.

In den Laudtagsverhaudluugeu scheint nur dieser Augenblick uoch uicht vor¬
handen gewesen zu sein. Die Aussicht ans ein- allmäliges Entgegenkommen der
widerstreitenden Absichten, wenn man vom Nechtspunkt absah, da die constitutio-
nelle Centralisation Preußens uicht blos im Interesse des Volks, sondern anch
in dem der Krone lag, war zu groß; der Erfolg der bloßen Protestation, da die
öffentliche Meinung damals über sich selber noch gar nicht im Klaren sein konnte,
zu zweifelhaft, als daß der praktische Mann sich nicht zu dein Versuch einer ver¬
mittelnden Thätigkeit hätte getrieben fühlen sollen.

Von diesem Gesichtspunkt ans vertheidige ich Cmuphauseu, der übrigens darin
consequent blieb, uicht nnr wegen seiner Weigerung, die Declaration der Rechte
zu unterschreiben — ein kühn aussehender Schritt, dessen Erfolg aber mehr als
zweifelhaft war, souderu auch wegen seiner Theilnahme an der Ansschnßwahl,
gegen deren rechtliche Gültigkeit Protest eingelegt wurde. Trotz seines prin¬
cipiellen Widerspruchs stand ihm z. B. Vincke viel näher, als vielen der Unter¬
zeichner jenes Protestes.

Die Ausschüsse gaben Camphausen — der übrigeus sonst diese Gelegenheit,
sich öffentlich auszusprechen, redlich dazu benutzte, der Krone zu drohen, und
zwar auf eine Weife, die sich bald uur zu sehr bethätigen sollte — Veranlassung,
das Verhältniß Preußens zum deutschen Bund in's Ange zu fassen.

Wenn in einer der kleinen deutschen Kammern irgend eine Frage angeregt


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[0107] sehr schwach unterstützt, er hat zuletzt, als es zum Bruch kommeu sollte — bei der Wahl der Ausschüsse — der Krone nachgegeben, wenn anch unter Vorbehalt. Das Festhalten des Nechtsbodens, wie überhaupt jeder legitimen Autorität, wie jede Rechtgläubigkeit, hat etwas ungemein Bequemes und schmeichelt dem Selbstgefühl. Man weiß in jedem Augenblick sein Stichwort, man ist überall einig mit sich selbst, man darf sich nie etwas vergeben. Die Rolle eines Ver¬ mittlers ist stets peinlich, auch wenn sie ihren Zweck uicht verfehlt, denn sie ist unsicher, zweifelhaft. Aber in solchen Dingen hat das persönliche Selbstgefühl doch nicht ausschließlich das Wort. Das refiguirte Zurückziehen aus der politischen Entwickelung, wo das volle Recht uicht gewährt ist, und wo gegen deu Ueber- treter des Rechts kein höherer Richter da ist, ist doch immer, wenn es überhaupt etwas bedeuten soll, eine entfernte Provocation auf die Entscheidung der That¬ sachen. Wer dieser abhold ist, weil er uoch andere Interessen zu vertreten hat, als das eine abstracte Recht, und weil er weiß, daß diese bei der thatsächlichen Entscheidung, wo die Leidenschaft über deu Verstand, der Zufall über den Plan hinausgeht, untergehen müssen, wird doch wohl das Recht haben, sich auf den Weg der Verhandlung einzulassen, bei welchem sich, wenn anch nicht immer ein Ende, doch wenigstens ein Weiterkommen absehen läßt. Freilich hat diese Klug- heitsregel ihre Grenze, es gibt Zeiten, wo auf alle Gefahr hin uur das per¬ sönliche Ehrgefühl zu sprechen hat. In den Laudtagsverhaudluugeu scheint nur dieser Augenblick uoch uicht vor¬ handen gewesen zu sein. Die Aussicht ans ein- allmäliges Entgegenkommen der widerstreitenden Absichten, wenn man vom Nechtspunkt absah, da die constitutio- nelle Centralisation Preußens uicht blos im Interesse des Volks, sondern anch in dem der Krone lag, war zu groß; der Erfolg der bloßen Protestation, da die öffentliche Meinung damals über sich selber noch gar nicht im Klaren sein konnte, zu zweifelhaft, als daß der praktische Mann sich nicht zu dein Versuch einer ver¬ mittelnden Thätigkeit hätte getrieben fühlen sollen. Von diesem Gesichtspunkt ans vertheidige ich Cmuphauseu, der übrigens darin consequent blieb, uicht nnr wegen seiner Weigerung, die Declaration der Rechte zu unterschreiben — ein kühn aussehender Schritt, dessen Erfolg aber mehr als zweifelhaft war, souderu auch wegen seiner Theilnahme an der Ansschnßwahl, gegen deren rechtliche Gültigkeit Protest eingelegt wurde. Trotz seines prin¬ cipiellen Widerspruchs stand ihm z. B. Vincke viel näher, als vielen der Unter¬ zeichner jenes Protestes. Die Ausschüsse gaben Camphausen — der übrigeus sonst diese Gelegenheit, sich öffentlich auszusprechen, redlich dazu benutzte, der Krone zu drohen, und zwar auf eine Weife, die sich bald uur zu sehr bethätigen sollte — Veranlassung, das Verhältniß Preußens zum deutschen Bund in's Ange zu fassen. Wenn in einer der kleinen deutschen Kammern irgend eine Frage angeregt 78*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/107>, abgerufen am 25.08.2024.