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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Singakademie veranstaltete Aufführung des San!, einer der großartigsten und
reichsten, aber selten gehörten Schöpfungen Händel's, und die Darstellung der
Antigone im K. Schauspielhause. Die ursprünglich beabsichtigte Vorstellung des
Oedipus auf Kolonos war ans samische Hindernisse gestoßen und mau hatte des¬
halb die Medea zur Aufführung bestimmt, als ein Specialbefehl des Königs statt
dessen die Darstellung derAutigoue gebot, die längere Zeit wegen Beifallöänßernngen
von Seiten des Pliblicnnls bei einigen, politisch bezüglichen Stellen geruht hatte;
war es aber weise, oder uur verständig, bei der Aufführung vor einem ein¬
geladenen, gelehrten Publicum deu Vers:


Habgierig inuucr ist das V>:ik der Könige!

auszulassen: wie kommt Herr vou Küstuer dazu? Vom Director deö U^aere
treu^is wären dergleichen zarte Rücksichten vordem bcgreiflch gewesen -- aber hier?
Die Könige werden wahrlich selten ärger compromittirt, als dnrch die rücksichtsvolle
Taktlosigkeit ihrer sogenannten treusten Diener. Am ärgsten freilich geht mit
dem Volte der Könige Herr Nott um: etwas Gespreizteres und Geschraubteres,
der Antike mehr Hohn Sprechendes als seinen Krevu erinnere ich mich nie ge¬
sehen zu haben: diese eckigen, ungestümen Bewegungen sind ebenso wenig hellenisch
als diese unreinen verunstalteten Laute deutsch zu sein beanspruchen dürfen: sie
versetzen uus aus dem Palaste auf die Börse, in die unmittelbare Nähe des be¬
rufenen Zwickauer. Sophokles freilich ist Unverwüstlich und neben der Darstellung
der Antigone dnrch die Crelinger, der man dasselbe Beiwort zu ertheilen sich ver¬
sucht fühlt, und der Musik Mendelssohn'ö konnte es Nott nicht gelingen, die
Wirkung deö erhabenen Werkes zu zerstören. Diese Aufführung fand am
Montag start, das Concert am Mittwoch: den Abend zwischen beiden füllte eine
glänzende, dnrch Alex. v. Humboldt'S Gegenwart angezeichnete, auch von Herrn
v. Ladenberg besuchte Soiree bei dem Präsidenten der Gesellschaft, der in Gemein¬
schaft mit seiner umsichtigen und taktvollen Gattin und seiner anmuthigen Tochter
ans die gewinnendste Weise die Honneurs seines Hauses machte. In wunderbarer
Weise verschmelzen sich in Böckl" die Gewandtheit deö Weidmanns mit naiver,
süddeutscher Treuherzigkeit und mit der feinen und so!ratiscl)en Ironie, mittelst
deren er die Trockenheit der Präsidialges.hafte zu mindern und die geselligen
Zusammenkünfte zu würzen und zu beleben wußte. Zu diesen war für die andern
Abende und für die gemeinsamen Mittagsmahl^eilen das Mater'sche. ehemals
Jagor'sche Local uuter deu Linden bestimmt. Hatte schou in jeuer Böckh'scheu
Soiree trotz der saloumäßigeu Toiletten eine gewisse collegialische Vertranlichkeit
und Un^ezwtlngenhcit die Oberhand gewonnen, so boten diese geselligen Zusam-
menkünfte ein noch belebteres Bild. "Die Wühler in gelehrtem Schunde" ent¬
spräche wenig der Beschreibung des Hafis: nicht saßen sie da "mit stierem Aug'
und trockneni Munde"; nur einzelne Gestalten und Gespräche riefen die Schilde¬
rung aus "So wie es Euch gefällt" in die Erinnerung:


Singakademie veranstaltete Aufführung des San!, einer der großartigsten und
reichsten, aber selten gehörten Schöpfungen Händel's, und die Darstellung der
Antigone im K. Schauspielhause. Die ursprünglich beabsichtigte Vorstellung des
Oedipus auf Kolonos war ans samische Hindernisse gestoßen und mau hatte des¬
halb die Medea zur Aufführung bestimmt, als ein Specialbefehl des Königs statt
dessen die Darstellung derAutigoue gebot, die längere Zeit wegen Beifallöänßernngen
von Seiten des Pliblicnnls bei einigen, politisch bezüglichen Stellen geruht hatte;
war es aber weise, oder uur verständig, bei der Aufführung vor einem ein¬
geladenen, gelehrten Publicum deu Vers:


Habgierig inuucr ist das V>:ik der Könige!

auszulassen: wie kommt Herr vou Küstuer dazu? Vom Director deö U^aere
treu^is wären dergleichen zarte Rücksichten vordem bcgreiflch gewesen — aber hier?
Die Könige werden wahrlich selten ärger compromittirt, als dnrch die rücksichtsvolle
Taktlosigkeit ihrer sogenannten treusten Diener. Am ärgsten freilich geht mit
dem Volte der Könige Herr Nott um: etwas Gespreizteres und Geschraubteres,
der Antike mehr Hohn Sprechendes als seinen Krevu erinnere ich mich nie ge¬
sehen zu haben: diese eckigen, ungestümen Bewegungen sind ebenso wenig hellenisch
als diese unreinen verunstalteten Laute deutsch zu sein beanspruchen dürfen: sie
versetzen uus aus dem Palaste auf die Börse, in die unmittelbare Nähe des be¬
rufenen Zwickauer. Sophokles freilich ist Unverwüstlich und neben der Darstellung
der Antigone dnrch die Crelinger, der man dasselbe Beiwort zu ertheilen sich ver¬
sucht fühlt, und der Musik Mendelssohn'ö konnte es Nott nicht gelingen, die
Wirkung deö erhabenen Werkes zu zerstören. Diese Aufführung fand am
Montag start, das Concert am Mittwoch: den Abend zwischen beiden füllte eine
glänzende, dnrch Alex. v. Humboldt'S Gegenwart angezeichnete, auch von Herrn
v. Ladenberg besuchte Soiree bei dem Präsidenten der Gesellschaft, der in Gemein¬
schaft mit seiner umsichtigen und taktvollen Gattin und seiner anmuthigen Tochter
ans die gewinnendste Weise die Honneurs seines Hauses machte. In wunderbarer
Weise verschmelzen sich in Böckl» die Gewandtheit deö Weidmanns mit naiver,
süddeutscher Treuherzigkeit und mit der feinen und so!ratiscl)en Ironie, mittelst
deren er die Trockenheit der Präsidialges.hafte zu mindern und die geselligen
Zusammenkünfte zu würzen und zu beleben wußte. Zu diesen war für die andern
Abende und für die gemeinsamen Mittagsmahl^eilen das Mater'sche. ehemals
Jagor'sche Local uuter deu Linden bestimmt. Hatte schou in jeuer Böckh'scheu
Soiree trotz der saloumäßigeu Toiletten eine gewisse collegialische Vertranlichkeit
und Un^ezwtlngenhcit die Oberhand gewonnen, so boten diese geselligen Zusam-
menkünfte ein noch belebteres Bild. „Die Wühler in gelehrtem Schunde" ent¬
spräche wenig der Beschreibung des Hafis: nicht saßen sie da „mit stierem Aug'
und trockneni Munde"; nur einzelne Gestalten und Gespräche riefen die Schilde¬
rung aus „So wie es Euch gefällt" in die Erinnerung:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/100>, abgerufen am 25.08.2024.