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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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selbst bei seinem letzten verhängnißvollen Gange zum Galgen nicht. Er hatte sich
willig zur Waffenstreckung in Villagvs entschlossen, der er am 6. October als
Opfer fiel.

Der letzte Brief, welchen der blühende Mann, der im Alter von 30 Jahren
einem furchtbaren Schicksal verfiel, an sein Weib schrieb, ist in Bruchstücken schon
vor längerer Zeit durch deutsche Zeitungen gegangen. Diesem Blatt ist so eben
eine Abschrift durch General Klapka mit dein Wunsch zugegangen, daß dasselbe
diese letzten rührenden Worte eines braven und hochherzigen Soldaten dem
deutschen Publikum mittheilen möchte. Die letzten Worte eines Mannes, der auf
das Blutgerüst tritt, werden, so hoffen wir, der Theilnahme unserer Freunde
selbst dann sicher sein, wenn ihnen Einzelnes aus dem Briefe bereits bekannt
sein sollte.


Meine einzige, bis zum letzten Athemzuge geliebte Lisa!

Die Würfel siud gefallen, und nur wenige Stunden bleiben mir auf dieser
Erde übrig, um mich aus den bittern Schritt vorzubereiten. -- Der Tod wäre
mir nicht fürchterlich, stünde ich allein: aber der Gedanke an Dich, meine theure
Lisa! an meine unschuldigen Kinder, liegt schwer ans meiner Seele. Der Schlag
traf mich nicht unvorbereitet; ich glaubte, auf Alles gefaßt zu sein, und doch in
diesem Augenblicke zuckt mir das Herz krampfhaft zusammen bei dem Gedanken,
Dich, mein Theuerstes, auf immer zu verlieren. Nein, nicht auf immer! Fest
steht mein Glaube, daß auf dieses Leben ein besseres, schöneres folge. Mein
Geist wird Dich umschweben, denn die Heimath des Geistes ist ja überall, so
weit Gottes Allmacht reicht. Jetzt, in dieser ernsten Stunde, wo alles Irdische
in seiner Vergänglichkeit vor mir steht, wo die Vergangenheit vor mir aufgerollt
liegt -- jetzt komme" alle Eriunenmgen ans mich los und machen mir das
Scheiden schwer. Wie steht Dein Andenken jetzt rein und erhaben vor meiner
Seele; wie möchte ich Dir in Worten ausdrücken können, mit welcher Wehmuth
ich mich dem Gedanken an Dich hingebe. Gott, der Allmächtige, der in mein
Herz sieht, möge mir Stärke verleihen, daß ich sterben kauu wie ein Christ! --
Ich war dem Glauben meiner Väter stets treu ergeben und habe seine Tröstung
aus der Hand des Priesters empfangen und bin bereit, vor deu Richterstuhl
meines Herrn und Schöpfers zu treten. Und Du, meine Lisa, die Du wie ein
Engel des Trostes und der Hoffnung an meiner Seite standest, der ich schwach
vergolten sür das Glück, das Du mir mit überschwenglicher Liebe bereitet, Dir
möge Gott Muth und Starke verleihen, Dein hartes Geschick zu ertragen; wir
aber verzeihe, meine theure Lisa, wenn ich Dir im Leben wehe that und hart
gegen Dich war! Ich kann Deine Stimme nicht mehr hören, aber mein Herz
sagt es mir, daß Du mir verzeihst. Und meine armen Kinder -- o großer
Gott! ihnen mußt Du leben, rheure Lisa! Dein Loos ist härter wie meins, Du


selbst bei seinem letzten verhängnißvollen Gange zum Galgen nicht. Er hatte sich
willig zur Waffenstreckung in Villagvs entschlossen, der er am 6. October als
Opfer fiel.

Der letzte Brief, welchen der blühende Mann, der im Alter von 30 Jahren
einem furchtbaren Schicksal verfiel, an sein Weib schrieb, ist in Bruchstücken schon
vor längerer Zeit durch deutsche Zeitungen gegangen. Diesem Blatt ist so eben
eine Abschrift durch General Klapka mit dein Wunsch zugegangen, daß dasselbe
diese letzten rührenden Worte eines braven und hochherzigen Soldaten dem
deutschen Publikum mittheilen möchte. Die letzten Worte eines Mannes, der auf
das Blutgerüst tritt, werden, so hoffen wir, der Theilnahme unserer Freunde
selbst dann sicher sein, wenn ihnen Einzelnes aus dem Briefe bereits bekannt
sein sollte.


Meine einzige, bis zum letzten Athemzuge geliebte Lisa!

Die Würfel siud gefallen, und nur wenige Stunden bleiben mir auf dieser
Erde übrig, um mich aus den bittern Schritt vorzubereiten. — Der Tod wäre
mir nicht fürchterlich, stünde ich allein: aber der Gedanke an Dich, meine theure
Lisa! an meine unschuldigen Kinder, liegt schwer ans meiner Seele. Der Schlag
traf mich nicht unvorbereitet; ich glaubte, auf Alles gefaßt zu sein, und doch in
diesem Augenblicke zuckt mir das Herz krampfhaft zusammen bei dem Gedanken,
Dich, mein Theuerstes, auf immer zu verlieren. Nein, nicht auf immer! Fest
steht mein Glaube, daß auf dieses Leben ein besseres, schöneres folge. Mein
Geist wird Dich umschweben, denn die Heimath des Geistes ist ja überall, so
weit Gottes Allmacht reicht. Jetzt, in dieser ernsten Stunde, wo alles Irdische
in seiner Vergänglichkeit vor mir steht, wo die Vergangenheit vor mir aufgerollt
liegt — jetzt komme» alle Eriunenmgen ans mich los und machen mir das
Scheiden schwer. Wie steht Dein Andenken jetzt rein und erhaben vor meiner
Seele; wie möchte ich Dir in Worten ausdrücken können, mit welcher Wehmuth
ich mich dem Gedanken an Dich hingebe. Gott, der Allmächtige, der in mein
Herz sieht, möge mir Stärke verleihen, daß ich sterben kauu wie ein Christ! —
Ich war dem Glauben meiner Väter stets treu ergeben und habe seine Tröstung
aus der Hand des Priesters empfangen und bin bereit, vor deu Richterstuhl
meines Herrn und Schöpfers zu treten. Und Du, meine Lisa, die Du wie ein
Engel des Trostes und der Hoffnung an meiner Seite standest, der ich schwach
vergolten sür das Glück, das Du mir mit überschwenglicher Liebe bereitet, Dir
möge Gott Muth und Starke verleihen, Dein hartes Geschick zu ertragen; wir
aber verzeihe, meine theure Lisa, wenn ich Dir im Leben wehe that und hart
gegen Dich war! Ich kann Deine Stimme nicht mehr hören, aber mein Herz
sagt es mir, daß Du mir verzeihst. Und meine armen Kinder — o großer
Gott! ihnen mußt Du leben, rheure Lisa! Dein Loos ist härter wie meins, Du


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/78>, abgerufen am 27.07.2024.