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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Vordermann, denn seine Fracht ist nur -- ein Schnitter, zwar kräftig von Bau,
doch nicht hinreichend für das 100 Morgen haltende Gerstenfeld, dessen Segen
geerndtet werden soll, und vor dein das Fuhrwerk still hält. Es war nicht möglich,
mehr als einen männlichen Arbeiter zu sangen, trotz der vier Pferde und des krakauer
Geschirrs. Den Schluß der Auffahrt bildet ein gemeines Baueruwägleiu vou zwei
schwermüthigen, lebensmüden Gäulen gezogen, denen man den Futtermangel von
Weitem anmerkt. Der Fuhrmann, ein naturwüchsiger Ruthene, in blauer, Schoa >
bischer Schlafmütze, sitzt gesenkten Hauptes auf seinem Bund Stroh und regiert
die Peitsche mehr zum Zeitvertreib und aus alter Gewohnheit, als um das er¬
bärmliche Vieh damit anzutreiben. Er biegt auch nicht von der Straße ab, son¬
dern steuert geraden Wegs auf das Vorwerk zu, denn sein Fuhrwerk ist leider
leer; vergebens waren seine Bemühungen und glatten, verführerischen Worte,
willige Hände auf das gutsherrliche Feld zu locken. Und warum war er weniger
glücklich als seine Kameraden? Seltsame Frage; wie konnte er sich unterstehen,
mit zwei unscheinbaren Mähren und einem gewöhnlichen Dorfwagen nach Arbeitern
herumzufahren. Welches galizische Mädchen, welcher faustkräftige Herr Landmann
wird die Güte haben, dir gegen Tagelohn und Branntwein dein Getreide zu
schneiden, wenn du ihnen nicht die Aufmerksamkeit bezeigst, sie mit Vieren in
stattlichem Wagen holen zu lassen, durch eiuen schmucken und lustigen Krakowiak,
mit vornehmen Peitschenknall und mit abgezogener Mütze? O du reactiouärer,
dem Fortschritt abholder Edelmann, weigere dich nicht, dem Rufe der Zeit, der
da lautet: Gleichberechtigung, dein Ohr zu öffnen, deine reiche Erndte bleibt sonst
unberührt vou den Händen, welche die Sense und Sichel führen.

Ein anderes Bild. O du glückseliger Edelmann. Aus deinem unermeßlich
großen Felde wimmelt es von Menschen in verschiedenen Trachten von keineswegs
ländlichem Zuschnitt; alles ist ja bei dir Leben und Arbeit, und rührig fährt die
Sichel in die gelben Halme. Woher diese außergewöhnlichen Arbeitskräfte?
Sie sind das Product einiger schlaflosen Nächte und des Scharfsinns eines guts-
herrlichen Kopfes. Da es durchaus nicht glücken wollte, das störrische Bauernvolk
zur Arbeit heranzulocken, schickte der bedrängte Edelmann einige vierspännige
Wagen mit Musikanten, Branntwein und lieblich klingenden Zwanzigern befrachtet,
zwei Meilen weit nach Lemberg, um die städtische Intelligenz in Anspruch zu
nehmen und sich Gehülstnnen von dorther zu verschaffen. Es versteht sich von
selbst, daß die "Bürgerinnen" mit Sang und Klang und ihrer Weltstellung gemäß
abgeholt, auss freigebigste bewirthet, genügend honorirt, und Abends mit allen
Zeichen von Dankbarkeit, Ehre und Hochachtung in den herrschaftlichen Wagen
zurückgebracht wurden.

Hat im Zloczower Kreise das Verhältniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitern
eine für die Sache des Socialismus so günstige Physiognomie bekommen, so


9*

Vordermann, denn seine Fracht ist nur — ein Schnitter, zwar kräftig von Bau,
doch nicht hinreichend für das 100 Morgen haltende Gerstenfeld, dessen Segen
geerndtet werden soll, und vor dein das Fuhrwerk still hält. Es war nicht möglich,
mehr als einen männlichen Arbeiter zu sangen, trotz der vier Pferde und des krakauer
Geschirrs. Den Schluß der Auffahrt bildet ein gemeines Baueruwägleiu vou zwei
schwermüthigen, lebensmüden Gäulen gezogen, denen man den Futtermangel von
Weitem anmerkt. Der Fuhrmann, ein naturwüchsiger Ruthene, in blauer, Schoa >
bischer Schlafmütze, sitzt gesenkten Hauptes auf seinem Bund Stroh und regiert
die Peitsche mehr zum Zeitvertreib und aus alter Gewohnheit, als um das er¬
bärmliche Vieh damit anzutreiben. Er biegt auch nicht von der Straße ab, son¬
dern steuert geraden Wegs auf das Vorwerk zu, denn sein Fuhrwerk ist leider
leer; vergebens waren seine Bemühungen und glatten, verführerischen Worte,
willige Hände auf das gutsherrliche Feld zu locken. Und warum war er weniger
glücklich als seine Kameraden? Seltsame Frage; wie konnte er sich unterstehen,
mit zwei unscheinbaren Mähren und einem gewöhnlichen Dorfwagen nach Arbeitern
herumzufahren. Welches galizische Mädchen, welcher faustkräftige Herr Landmann
wird die Güte haben, dir gegen Tagelohn und Branntwein dein Getreide zu
schneiden, wenn du ihnen nicht die Aufmerksamkeit bezeigst, sie mit Vieren in
stattlichem Wagen holen zu lassen, durch eiuen schmucken und lustigen Krakowiak,
mit vornehmen Peitschenknall und mit abgezogener Mütze? O du reactiouärer,
dem Fortschritt abholder Edelmann, weigere dich nicht, dem Rufe der Zeit, der
da lautet: Gleichberechtigung, dein Ohr zu öffnen, deine reiche Erndte bleibt sonst
unberührt vou den Händen, welche die Sense und Sichel führen.

Ein anderes Bild. O du glückseliger Edelmann. Aus deinem unermeßlich
großen Felde wimmelt es von Menschen in verschiedenen Trachten von keineswegs
ländlichem Zuschnitt; alles ist ja bei dir Leben und Arbeit, und rührig fährt die
Sichel in die gelben Halme. Woher diese außergewöhnlichen Arbeitskräfte?
Sie sind das Product einiger schlaflosen Nächte und des Scharfsinns eines guts-
herrlichen Kopfes. Da es durchaus nicht glücken wollte, das störrische Bauernvolk
zur Arbeit heranzulocken, schickte der bedrängte Edelmann einige vierspännige
Wagen mit Musikanten, Branntwein und lieblich klingenden Zwanzigern befrachtet,
zwei Meilen weit nach Lemberg, um die städtische Intelligenz in Anspruch zu
nehmen und sich Gehülstnnen von dorther zu verschaffen. Es versteht sich von
selbst, daß die „Bürgerinnen" mit Sang und Klang und ihrer Weltstellung gemäß
abgeholt, auss freigebigste bewirthet, genügend honorirt, und Abends mit allen
Zeichen von Dankbarkeit, Ehre und Hochachtung in den herrschaftlichen Wagen
zurückgebracht wurden.

Hat im Zloczower Kreise das Verhältniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitern
eine für die Sache des Socialismus so günstige Physiognomie bekommen, so


9*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/75>, abgerufen am 27.07.2024.