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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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so daß dieser unverweilt in das Spital des Kindlein Jesus getragen werden
mußte.

Das Recht des Findelhanses ans die Mütter der Findelkinder brachte aber
bisweilen auch Anekdoten heiterer Art hervor. So z. B. trug ein junger Herr
von B., als Weib verkleidet, das Kind einer Dirne, die er kurz vorher aufge¬
spürt hatte, in die Wiege und ließ sich geflissentlich gefangen nehmen. Nachdem
die beiden barmherzigen Schwestern bei der Prüfung mit großem Schrecken
und noch größerem Geschrei entdeckt, daß er eine Mannsperson sei, wurde er
den vier Klosterknechten für ein halbes Jahr zum Gehilfen übergeben, denn zu
einer Erlegung von fünfundvierzig Gulden für das Kind entschloß sich der junge
Herr nicht. Er verfiel mit Klagen und sehr traurigen Mienen der Jurisdiction
des Klosters, und wurde Arbeiter im Kloster. Es waren kaum vier Monate
verflossen, als man entdeckte, daß der Gehilfe der Klvsterknechte der alte Geliebte
einer der jungen barmherzigen Schwestern, und die ganze Geschichte eine ver¬
zweifelte Gaunerei der Liebe sei. Zum größten Unglück war das junge, erst
neunzehn Jahre alte Mädchen, trotz ihrem Gelübde, in die peinliche Lage gerathen,
selbst die Arbeit der Anstalt vermehren zu müssen. Die Priesterschaft der heiligen
Kreuzkirche wurde durch diesen tollen Streich des verliebten Paares in die bitterste
Verlegenheit versetzt. Man wußte weder was mir dem jungen Herrn, noch was mit
der jungen Dame anzufangen war, um so weniger, da man die Geschichte un¬
möglich konnte offenkundig werden lassen. Man beschloß nach langem Seufzen und
Beten, die barmherzige Schwester in das Kloster eines strengen Frauen-Ordens
zur Bnßleistung, den jungen Herrn in ein Mönchskloster in Niederpolen zu ste¬
cken. Allein das Liebespaar fand Gelegenheit, der Hand der strengen katholischen
Geistlichkeit zu entwischen, und so wurde die Geschichte doch offenkundig und für
die Herren der römischen Kirche um so ärgerlicher, da die griechischen Beherrscher
des Landes sich nicht verpflichtet erachteten, die Entflohenen auszuliefern. Die
Sache endete mit einer Vermählung und die lustigen Sünder leben noch heute
in höchst anstößiger, glücklicher Ehe.

Für die Erziehung der Kinder wurde in der Anstalt bis zu einem gewissen
Grade redlich Sorge getragen. Vier Wochen lang blieben sie in derselben und
wurden unter Aufsicht einer der barmherzigen Schwestern gesäugt. Das Hans,
in welchem die Säuglinge sich befinden, steht auf der zweiten Hälfte des Klosters
dicht am Garten und ziemlich frei. Es enthält zwei Säle, in deren jedem
sich bis neunzig Wiegenbettchen in langen Reihen neben einander befinden. Die
Ordnung und Reinlichkeit ist bewundernswürdig, und trotz allerlei Rücksichtslosig¬
keiten der kleinen Wesen die Luft so rein und frisch, daß man sich darin Wohl
befinden kann. Die Ammen schlafen paarweis in kleinen Zellen unter dem Dache,
wodurch natürlich wegen der Nächte ihr entsetzlicher Dienst sehr erschwert wird,
denn oft kommt es dann vor, daß eine von denjenigen Ammen, welche gerade


so daß dieser unverweilt in das Spital des Kindlein Jesus getragen werden
mußte.

Das Recht des Findelhanses ans die Mütter der Findelkinder brachte aber
bisweilen auch Anekdoten heiterer Art hervor. So z. B. trug ein junger Herr
von B., als Weib verkleidet, das Kind einer Dirne, die er kurz vorher aufge¬
spürt hatte, in die Wiege und ließ sich geflissentlich gefangen nehmen. Nachdem
die beiden barmherzigen Schwestern bei der Prüfung mit großem Schrecken
und noch größerem Geschrei entdeckt, daß er eine Mannsperson sei, wurde er
den vier Klosterknechten für ein halbes Jahr zum Gehilfen übergeben, denn zu
einer Erlegung von fünfundvierzig Gulden für das Kind entschloß sich der junge
Herr nicht. Er verfiel mit Klagen und sehr traurigen Mienen der Jurisdiction
des Klosters, und wurde Arbeiter im Kloster. Es waren kaum vier Monate
verflossen, als man entdeckte, daß der Gehilfe der Klvsterknechte der alte Geliebte
einer der jungen barmherzigen Schwestern, und die ganze Geschichte eine ver¬
zweifelte Gaunerei der Liebe sei. Zum größten Unglück war das junge, erst
neunzehn Jahre alte Mädchen, trotz ihrem Gelübde, in die peinliche Lage gerathen,
selbst die Arbeit der Anstalt vermehren zu müssen. Die Priesterschaft der heiligen
Kreuzkirche wurde durch diesen tollen Streich des verliebten Paares in die bitterste
Verlegenheit versetzt. Man wußte weder was mir dem jungen Herrn, noch was mit
der jungen Dame anzufangen war, um so weniger, da man die Geschichte un¬
möglich konnte offenkundig werden lassen. Man beschloß nach langem Seufzen und
Beten, die barmherzige Schwester in das Kloster eines strengen Frauen-Ordens
zur Bnßleistung, den jungen Herrn in ein Mönchskloster in Niederpolen zu ste¬
cken. Allein das Liebespaar fand Gelegenheit, der Hand der strengen katholischen
Geistlichkeit zu entwischen, und so wurde die Geschichte doch offenkundig und für
die Herren der römischen Kirche um so ärgerlicher, da die griechischen Beherrscher
des Landes sich nicht verpflichtet erachteten, die Entflohenen auszuliefern. Die
Sache endete mit einer Vermählung und die lustigen Sünder leben noch heute
in höchst anstößiger, glücklicher Ehe.

Für die Erziehung der Kinder wurde in der Anstalt bis zu einem gewissen
Grade redlich Sorge getragen. Vier Wochen lang blieben sie in derselben und
wurden unter Aufsicht einer der barmherzigen Schwestern gesäugt. Das Hans,
in welchem die Säuglinge sich befinden, steht auf der zweiten Hälfte des Klosters
dicht am Garten und ziemlich frei. Es enthält zwei Säle, in deren jedem
sich bis neunzig Wiegenbettchen in langen Reihen neben einander befinden. Die
Ordnung und Reinlichkeit ist bewundernswürdig, und trotz allerlei Rücksichtslosig¬
keiten der kleinen Wesen die Luft so rein und frisch, daß man sich darin Wohl
befinden kann. Die Ammen schlafen paarweis in kleinen Zellen unter dem Dache,
wodurch natürlich wegen der Nächte ihr entsetzlicher Dienst sehr erschwert wird,
denn oft kommt es dann vor, daß eine von denjenigen Ammen, welche gerade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/70>, abgerufen am 01.09.2024.