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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Feucrspri^e und seinen Stammgästen, ein ausbrechendes Feuer, eine verständige
Tochter mit einem biedern und langweiligen Geliebten, eine leichtsinnige Nichte,
welche von dem obligaten Berliner Windbeutel entführt, aber durch tapfere Stamm¬
gäste reuig und unversehrt zurückgebracht wird, das ist der locker zusammengc-
webte Inhalt des Stückes, dessen Reiz in der wohlthuenden Wärme des
Schaffenden liegt, durch welche er die lächerlichen Figuren komisch, das Wunder¬
liche anziehend zu machen weiß. -- Der ungewöhnliche Erfolg des Stückes lockte
zu weiterer Production. Aber da die jungfräuliche Freude des Dichters am
Schildern und sorgfältigen Ausmalen der localen Zustände, in welche dramatisches
Leben zu gießen ohnedies sehr schwer ist, vorbei war, so that er den zweiten
Schritt, welchen die Localkomödie zu machen pflegt; seine Charaktere verwan¬
delten sich in stereotype Masken, bei denen nicht die charakteristische Wahrheit
der genauen Zeichnung, souderu das Possierliche der Erscheinung und ihrer Reden
die Hauptsache wurde; es kam weniger darauf an, ob Alles, was sie sprachen und
thaten, zu ihrer Persönlichkeit stimmte, sondern vielmehr daraus, daß sie dnrch när¬
risches Gebahren Heiterkeit erregten; die Handlung blieb locker, aber sie setzte
sich uicht mehr zusammen ans dein Gegenspiel mehrerer Charaktere, sondern die
Hauptperson occupirte das ganze Terrain, die andern wurden nur Staffage oder
Motive, welche den Komiker in seine Situationen hineinschleppten; das Lustspiel
wurde zur Posse. So sind die Stücke: Herr Hampelmann im Eilwagen,
die Landpartie nach Königstein und Herr Hampelmann sucht ein
Logis. Hampelmann ist in diesen drei Stücken der Hanswurst als Bourgeois,
wie er in unzähligen ähnlichen Possen, z. B. der Reise auf gemeinschaftliche
Kosten (Liborius) vorkommt. Daß dieser moderne Frankfurter Hausw'nrst sehr
drollig und in höchst komischen Situationen austritt, macht die Stücke zu vortrefflichen
Acguisitivnen für eiuen süddeutschen Komiker, der ungefähr die Komik hat,
welche dem Schauspieler Beckmann in seinen besten Zeiten zu Gebote stand. --
Von Sentimentalität ist in diesen gemüthlichen, närrischen Possen keine Spur, sie
wollen durch nichts Anderes fesseln, als durch die Drolligkeit der Hauptfigur,
welche allerdings nichts ist als eine Maske für den Schauspieler -- In dem
kleinen Stück, die Bauern (in wetterauer Mundart) und die Jungfern
Köchinnen ist der Dichter wieder bemüht, das Charatterisirende in den Äor-
dergruud zu stellen, und in Hinsicht auf Technik sind diese beiden Stücke die besten
der Sammlung; aber ihre Wirkung wird durch einen andern Uebelstand verküm¬
mert. Die Genauigkeit, mit welcher die Figuren nach der gemeinen Wirklichkeit
gezeichnet sind, macht anch ein scharfes Abwägen und Darlegen ihrer relativen
ethischen Berechtigung im Stück nothwendig; denn je genauer und wahrer nach
dem Leben Charaktere gezeichnet siud, desto genauer muß auch ihr Schicksal im
Stück nach den Forderungen der sittlichen Welt, welche wir in uns tragen, be¬
stimmt werden. Bei den Maskenspielen der italienischen Komödie verlangen wir


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Feucrspri^e und seinen Stammgästen, ein ausbrechendes Feuer, eine verständige
Tochter mit einem biedern und langweiligen Geliebten, eine leichtsinnige Nichte,
welche von dem obligaten Berliner Windbeutel entführt, aber durch tapfere Stamm¬
gäste reuig und unversehrt zurückgebracht wird, das ist der locker zusammengc-
webte Inhalt des Stückes, dessen Reiz in der wohlthuenden Wärme des
Schaffenden liegt, durch welche er die lächerlichen Figuren komisch, das Wunder¬
liche anziehend zu machen weiß. — Der ungewöhnliche Erfolg des Stückes lockte
zu weiterer Production. Aber da die jungfräuliche Freude des Dichters am
Schildern und sorgfältigen Ausmalen der localen Zustände, in welche dramatisches
Leben zu gießen ohnedies sehr schwer ist, vorbei war, so that er den zweiten
Schritt, welchen die Localkomödie zu machen pflegt; seine Charaktere verwan¬
delten sich in stereotype Masken, bei denen nicht die charakteristische Wahrheit
der genauen Zeichnung, souderu das Possierliche der Erscheinung und ihrer Reden
die Hauptsache wurde; es kam weniger darauf an, ob Alles, was sie sprachen und
thaten, zu ihrer Persönlichkeit stimmte, sondern vielmehr daraus, daß sie dnrch när¬
risches Gebahren Heiterkeit erregten; die Handlung blieb locker, aber sie setzte
sich uicht mehr zusammen ans dein Gegenspiel mehrerer Charaktere, sondern die
Hauptperson occupirte das ganze Terrain, die andern wurden nur Staffage oder
Motive, welche den Komiker in seine Situationen hineinschleppten; das Lustspiel
wurde zur Posse. So sind die Stücke: Herr Hampelmann im Eilwagen,
die Landpartie nach Königstein und Herr Hampelmann sucht ein
Logis. Hampelmann ist in diesen drei Stücken der Hanswurst als Bourgeois,
wie er in unzähligen ähnlichen Possen, z. B. der Reise auf gemeinschaftliche
Kosten (Liborius) vorkommt. Daß dieser moderne Frankfurter Hausw'nrst sehr
drollig und in höchst komischen Situationen austritt, macht die Stücke zu vortrefflichen
Acguisitivnen für eiuen süddeutschen Komiker, der ungefähr die Komik hat,
welche dem Schauspieler Beckmann in seinen besten Zeiten zu Gebote stand. —
Von Sentimentalität ist in diesen gemüthlichen, närrischen Possen keine Spur, sie
wollen durch nichts Anderes fesseln, als durch die Drolligkeit der Hauptfigur,
welche allerdings nichts ist als eine Maske für den Schauspieler — In dem
kleinen Stück, die Bauern (in wetterauer Mundart) und die Jungfern
Köchinnen ist der Dichter wieder bemüht, das Charatterisirende in den Äor-
dergruud zu stellen, und in Hinsicht auf Technik sind diese beiden Stücke die besten
der Sammlung; aber ihre Wirkung wird durch einen andern Uebelstand verküm¬
mert. Die Genauigkeit, mit welcher die Figuren nach der gemeinen Wirklichkeit
gezeichnet sind, macht anch ein scharfes Abwägen und Darlegen ihrer relativen
ethischen Berechtigung im Stück nothwendig; denn je genauer und wahrer nach
dem Leben Charaktere gezeichnet siud, desto genauer muß auch ihr Schicksal im
Stück nach den Forderungen der sittlichen Welt, welche wir in uns tragen, be¬
stimmt werden. Bei den Maskenspielen der italienischen Komödie verlangen wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/51>, abgerufen am 01.09.2024.