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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Boitzenburg wurde zum Rücktritt halb genöthigt, und ein Ministerium des reinen
Liberalismus unter der Leitung Camphausen's gebildet.

Den Gang dieses Ministeriums und seine Fehlgriffe in der deutschen Frage
wie in der innern Angelegenheit gedenken wir bei der Charakteristik Camphausen's
anzudeuten. Was Arnim eigenthümlich angehört, ist das Verfahren in Schleswig-
Holstein und wenigstens theilweise in Posen.

Das letztere ist zwar von geringerer Wichtigkeit. Man hatte in der Hitze
der Märztage den Polen Versprechungen gemacht in Beziehung auf ihre nationale
Reorganisation, die entweder auf nichts herausliefen, wenn mau sie ruderten
wollte, wie es später geschehen ist, oder-auf die Wiedereinrichtnng eines polnischen
Reichs, und was damit unmittelbar verbunden war, Krieg gegen Rußland. An
den letztern konnte der Staat nur dann denken, wenn er in sich selbst einig und
Herr seiner eigenen Kräfte war. Der nothwendige Widerstand gegen die De¬
mokratie machte einen so weit aussehenden Plan unmöglich. Man kam anch bald
zu der Ueberzeugung, daß ein unabhängiges Polen dem eignen Staat verderblich
werden müsse, und den Aufstand zu beseitigen, kostete nach dieser Ueberzeugung
keine große Mühe. Aber man hatte sich doch tiefer eingelassen, als es für die
Einhaltung eines consequenten Ganges in der Politik angebracht war. Die
Mission des General Willisen in das Großherzogthum war ein folgenschwererer
Schritt, als die ersten Verheißungen. Willisen ist jetzt durch seine edelmüthige
Hingebung an die Sache der Herzogthümer ein populärer Mann geworden, aber
man darf darüber nicht vergessen, daß sein damaliges Verhalten mehr das eines
Träumers als eines Staatsmanns war. Willisen ist zu geistreich, um praktisch zu
sein; er studirte den Tacitus, während draußen bereits Polen und Deutsche im
heftigsten Handgemenge begriffen waren. -- Diese Ereignisse in Posen waren
darum nicht unwichtig, weil dadurch nicht allein die Mißstimmung Rußlands gegen
das neue Preußen verschärft, sondern auch eine Einsicht in das zweifelhafte und
schwankende Wesen der preußischen Politik gegeben w"rde, die sich nnr zu bald
bei der Einmischung in die dänische Frage geltend machen sollte.

Die directe Intervention in den Herzogthümern ist Arnim's Werk. Graf
Arnim-Bvitzcnbnrg ist entschieden dagegen gewesen; auf dem Landtag erklärte
Bismark-Schönhausen, er könne dem phaötonischen Fluge der preußischen Politik
nicht weiter folgen. Beide müssen insoweit anerkannt werden, als sie den Ernst
der. Sache auffaßten. Es war eine merkwürdige Selbsttäuschung , wenn Arnim
in diesem Schritt nichts weiter sah, als eine Expedition, wie die der Franzosen
nach Antwerpen; es war ein Anflug von seinem alten träumerischen Wesen, wenn
er das Anerbieten, Kaperbriefe zu ertheilen, mit sittlicher Entrüstung'von sich
wies, da doch uicht wohl abzusehen war, auf welche Weise mau sonst dazu ge¬
langen sollte, einer Seemacht allmälig Widerstand zu leisten.

Hätte man sich damals in seinen Ansprüchen gemäßigt, so wären vielleicht von


Boitzenburg wurde zum Rücktritt halb genöthigt, und ein Ministerium des reinen
Liberalismus unter der Leitung Camphausen's gebildet.

Den Gang dieses Ministeriums und seine Fehlgriffe in der deutschen Frage
wie in der innern Angelegenheit gedenken wir bei der Charakteristik Camphausen's
anzudeuten. Was Arnim eigenthümlich angehört, ist das Verfahren in Schleswig-
Holstein und wenigstens theilweise in Posen.

Das letztere ist zwar von geringerer Wichtigkeit. Man hatte in der Hitze
der Märztage den Polen Versprechungen gemacht in Beziehung auf ihre nationale
Reorganisation, die entweder auf nichts herausliefen, wenn mau sie ruderten
wollte, wie es später geschehen ist, oder-auf die Wiedereinrichtnng eines polnischen
Reichs, und was damit unmittelbar verbunden war, Krieg gegen Rußland. An
den letztern konnte der Staat nur dann denken, wenn er in sich selbst einig und
Herr seiner eigenen Kräfte war. Der nothwendige Widerstand gegen die De¬
mokratie machte einen so weit aussehenden Plan unmöglich. Man kam anch bald
zu der Ueberzeugung, daß ein unabhängiges Polen dem eignen Staat verderblich
werden müsse, und den Aufstand zu beseitigen, kostete nach dieser Ueberzeugung
keine große Mühe. Aber man hatte sich doch tiefer eingelassen, als es für die
Einhaltung eines consequenten Ganges in der Politik angebracht war. Die
Mission des General Willisen in das Großherzogthum war ein folgenschwererer
Schritt, als die ersten Verheißungen. Willisen ist jetzt durch seine edelmüthige
Hingebung an die Sache der Herzogthümer ein populärer Mann geworden, aber
man darf darüber nicht vergessen, daß sein damaliges Verhalten mehr das eines
Träumers als eines Staatsmanns war. Willisen ist zu geistreich, um praktisch zu
sein; er studirte den Tacitus, während draußen bereits Polen und Deutsche im
heftigsten Handgemenge begriffen waren. — Diese Ereignisse in Posen waren
darum nicht unwichtig, weil dadurch nicht allein die Mißstimmung Rußlands gegen
das neue Preußen verschärft, sondern auch eine Einsicht in das zweifelhafte und
schwankende Wesen der preußischen Politik gegeben w«rde, die sich nnr zu bald
bei der Einmischung in die dänische Frage geltend machen sollte.

Die directe Intervention in den Herzogthümern ist Arnim's Werk. Graf
Arnim-Bvitzcnbnrg ist entschieden dagegen gewesen; auf dem Landtag erklärte
Bismark-Schönhausen, er könne dem phaötonischen Fluge der preußischen Politik
nicht weiter folgen. Beide müssen insoweit anerkannt werden, als sie den Ernst
der. Sache auffaßten. Es war eine merkwürdige Selbsttäuschung , wenn Arnim
in diesem Schritt nichts weiter sah, als eine Expedition, wie die der Franzosen
nach Antwerpen; es war ein Anflug von seinem alten träumerischen Wesen, wenn
er das Anerbieten, Kaperbriefe zu ertheilen, mit sittlicher Entrüstung'von sich
wies, da doch uicht wohl abzusehen war, auf welche Weise mau sonst dazu ge¬
langen sollte, einer Seemacht allmälig Widerstand zu leisten.

Hätte man sich damals in seinen Ansprüchen gemäßigt, so wären vielleicht von


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[0509] Boitzenburg wurde zum Rücktritt halb genöthigt, und ein Ministerium des reinen Liberalismus unter der Leitung Camphausen's gebildet. Den Gang dieses Ministeriums und seine Fehlgriffe in der deutschen Frage wie in der innern Angelegenheit gedenken wir bei der Charakteristik Camphausen's anzudeuten. Was Arnim eigenthümlich angehört, ist das Verfahren in Schleswig- Holstein und wenigstens theilweise in Posen. Das letztere ist zwar von geringerer Wichtigkeit. Man hatte in der Hitze der Märztage den Polen Versprechungen gemacht in Beziehung auf ihre nationale Reorganisation, die entweder auf nichts herausliefen, wenn mau sie ruderten wollte, wie es später geschehen ist, oder-auf die Wiedereinrichtnng eines polnischen Reichs, und was damit unmittelbar verbunden war, Krieg gegen Rußland. An den letztern konnte der Staat nur dann denken, wenn er in sich selbst einig und Herr seiner eigenen Kräfte war. Der nothwendige Widerstand gegen die De¬ mokratie machte einen so weit aussehenden Plan unmöglich. Man kam anch bald zu der Ueberzeugung, daß ein unabhängiges Polen dem eignen Staat verderblich werden müsse, und den Aufstand zu beseitigen, kostete nach dieser Ueberzeugung keine große Mühe. Aber man hatte sich doch tiefer eingelassen, als es für die Einhaltung eines consequenten Ganges in der Politik angebracht war. Die Mission des General Willisen in das Großherzogthum war ein folgenschwererer Schritt, als die ersten Verheißungen. Willisen ist jetzt durch seine edelmüthige Hingebung an die Sache der Herzogthümer ein populärer Mann geworden, aber man darf darüber nicht vergessen, daß sein damaliges Verhalten mehr das eines Träumers als eines Staatsmanns war. Willisen ist zu geistreich, um praktisch zu sein; er studirte den Tacitus, während draußen bereits Polen und Deutsche im heftigsten Handgemenge begriffen waren. — Diese Ereignisse in Posen waren darum nicht unwichtig, weil dadurch nicht allein die Mißstimmung Rußlands gegen das neue Preußen verschärft, sondern auch eine Einsicht in das zweifelhafte und schwankende Wesen der preußischen Politik gegeben w«rde, die sich nnr zu bald bei der Einmischung in die dänische Frage geltend machen sollte. Die directe Intervention in den Herzogthümern ist Arnim's Werk. Graf Arnim-Bvitzcnbnrg ist entschieden dagegen gewesen; auf dem Landtag erklärte Bismark-Schönhausen, er könne dem phaötonischen Fluge der preußischen Politik nicht weiter folgen. Beide müssen insoweit anerkannt werden, als sie den Ernst der. Sache auffaßten. Es war eine merkwürdige Selbsttäuschung , wenn Arnim in diesem Schritt nichts weiter sah, als eine Expedition, wie die der Franzosen nach Antwerpen; es war ein Anflug von seinem alten träumerischen Wesen, wenn er das Anerbieten, Kaperbriefe zu ertheilen, mit sittlicher Entrüstung'von sich wies, da doch uicht wohl abzusehen war, auf welche Weise mau sonst dazu ge¬ langen sollte, einer Seemacht allmälig Widerstand zu leisten. Hätte man sich damals in seinen Ansprüchen gemäßigt, so wären vielleicht von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/509>, abgerufen am 27.07.2024.