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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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schränkten Ruf in dein deutschen Vaterlande. Er ist eigentlich nur in Leipzig
anerkannt, denn auch Dresden, wohin der Componist in den letzten Jahren sich
übersiedelte, hat bis jetzt wenig Notiz von seinen künstlerischen Bestrebungen ge¬
nommen. Einzelne Mäuner und einige musikalische Kreise erkannten zwar in ihm
den großen Künstler, die ofstcielleu Musiker aber und die Kunstanstalten kehrten
ihm bis jetzt den Rücken zu. Auch in Süddeutschland ist sein Name fast unbekannt.
Schumann's ernste Muse findet dort keinen günstigen Boden, sie versteht es nicht,
gedankenlose Hörer durch sinnlichen Kitzel anzustacheln. Dagegen finden sich in
Bremen, Hamburg, Altona, Berlin, Königsberg viele begeisterte Verehrer und
Freunde Schumann's. Die Ursache liegt in dem großen Einflüsse, welchen Leipzig
in den letzten zwanzig Jahren auf das musikalische Treiben des gesammten Nord¬
deutschland ausgeübt hat. Die Concertinstitute, die Musikschule, der großartige
Mustkalienhandel zogen eine Menge strebsamer Künstler in diese Stadt, und nur
Wenige gingen von dannen, ohne von begeisterten Jüngern Schumann's über¬
redet worden zu sein. So scheinen sich nun günstigere Aussichten für die Aus¬
breitung seiner Werke eröffnet zu habe"; sie werden sich vergrößern, wenn Schu¬
mann selbst uicht von dem Wege abweicht, welcher ihm allein den Weg in die
Herzen der Nation öffnet.

Schumann gehört nicht uuter die offenen, sogenannten fideler Künstlerna¬
turen. Für die Eindrücke der Außenwelt ziemlich unempfänglich, lebt er ein stilles,
inneres Leben. Nur wenig die Erscheinungen beachtend, wie sie wirklich sind, gibt
er dieselben in der Kunstprodnction ans die Weise wieder, wie er sie in seinem
Innern verarbeitet hat. Daher erscheint seine Weise oft als die starrste Negation
des Wirklichen, und eben darum gebraucht er auch die Kunstmittel auf eine Art,
die der praktische Mann oft als verfehlt und ungeschickt bezeichnen wird. Die
vorsätzliche Ungeschicklichkeit zeigt sich mehr oder minder von den ersten Werken
Schumann's an bis zu seinen letzten Kompositionen und sie trägt die hauptsäch¬
liche Schuld der Theilnahmlosigkeit, nicht blos des größern Publicums, sondern
auch der Künstler selbst, welche nur allzu oft eine wohlgelungene Form dem
tiefern Zuhalte vorziehen. Mendelssohn steht Schumann weit voran in der rich¬
tigen Benutzung der Kunstmittel, in der logischen Verarbeitung seines Stoffes, er
übertrifft ihn in der technischen und geistigen Behandlung jeder Aufgabe; aber
ihm fehlt die künstlerische Freiheit, der Muth, aus deu brcitgctreteueu Bahnen
der Schule herauszuschreiteu und auf eine neue Epoche loszusteuern. Mendelssohn
hat das in der classischen Epoche nnr Angedeutete, aber unvollendet Gelassene, mit
Geist und Scharfsinn weiter ausgebildet. Doch war er, obwohl entschiedener An¬
hänger der Classicität, und in Bach's wohltemperirten Claviere die Summe aller
musikalischen Gelahrtheit erblickend, verständig genug, aus der romantischen Fluth
der jüngst vergangenen Kunstepoche die Stücke sorgfältig heraus zu fischen, welche
ihm bei dein Aufbau seines Gebäudes als geschmackvolle Zierrathen verwendbar


schränkten Ruf in dein deutschen Vaterlande. Er ist eigentlich nur in Leipzig
anerkannt, denn auch Dresden, wohin der Componist in den letzten Jahren sich
übersiedelte, hat bis jetzt wenig Notiz von seinen künstlerischen Bestrebungen ge¬
nommen. Einzelne Mäuner und einige musikalische Kreise erkannten zwar in ihm
den großen Künstler, die ofstcielleu Musiker aber und die Kunstanstalten kehrten
ihm bis jetzt den Rücken zu. Auch in Süddeutschland ist sein Name fast unbekannt.
Schumann's ernste Muse findet dort keinen günstigen Boden, sie versteht es nicht,
gedankenlose Hörer durch sinnlichen Kitzel anzustacheln. Dagegen finden sich in
Bremen, Hamburg, Altona, Berlin, Königsberg viele begeisterte Verehrer und
Freunde Schumann's. Die Ursache liegt in dem großen Einflüsse, welchen Leipzig
in den letzten zwanzig Jahren auf das musikalische Treiben des gesammten Nord¬
deutschland ausgeübt hat. Die Concertinstitute, die Musikschule, der großartige
Mustkalienhandel zogen eine Menge strebsamer Künstler in diese Stadt, und nur
Wenige gingen von dannen, ohne von begeisterten Jüngern Schumann's über¬
redet worden zu sein. So scheinen sich nun günstigere Aussichten für die Aus¬
breitung seiner Werke eröffnet zu habe»; sie werden sich vergrößern, wenn Schu¬
mann selbst uicht von dem Wege abweicht, welcher ihm allein den Weg in die
Herzen der Nation öffnet.

Schumann gehört nicht uuter die offenen, sogenannten fideler Künstlerna¬
turen. Für die Eindrücke der Außenwelt ziemlich unempfänglich, lebt er ein stilles,
inneres Leben. Nur wenig die Erscheinungen beachtend, wie sie wirklich sind, gibt
er dieselben in der Kunstprodnction ans die Weise wieder, wie er sie in seinem
Innern verarbeitet hat. Daher erscheint seine Weise oft als die starrste Negation
des Wirklichen, und eben darum gebraucht er auch die Kunstmittel auf eine Art,
die der praktische Mann oft als verfehlt und ungeschickt bezeichnen wird. Die
vorsätzliche Ungeschicklichkeit zeigt sich mehr oder minder von den ersten Werken
Schumann's an bis zu seinen letzten Kompositionen und sie trägt die hauptsäch¬
liche Schuld der Theilnahmlosigkeit, nicht blos des größern Publicums, sondern
auch der Künstler selbst, welche nur allzu oft eine wohlgelungene Form dem
tiefern Zuhalte vorziehen. Mendelssohn steht Schumann weit voran in der rich¬
tigen Benutzung der Kunstmittel, in der logischen Verarbeitung seines Stoffes, er
übertrifft ihn in der technischen und geistigen Behandlung jeder Aufgabe; aber
ihm fehlt die künstlerische Freiheit, der Muth, aus deu brcitgctreteueu Bahnen
der Schule herauszuschreiteu und auf eine neue Epoche loszusteuern. Mendelssohn
hat das in der classischen Epoche nnr Angedeutete, aber unvollendet Gelassene, mit
Geist und Scharfsinn weiter ausgebildet. Doch war er, obwohl entschiedener An¬
hänger der Classicität, und in Bach's wohltemperirten Claviere die Summe aller
musikalischen Gelahrtheit erblickend, verständig genug, aus der romantischen Fluth
der jüngst vergangenen Kunstepoche die Stücke sorgfältig heraus zu fischen, welche
ihm bei dein Aufbau seines Gebäudes als geschmackvolle Zierrathen verwendbar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/498>, abgerufen am 27.07.2024.