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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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hierzu von allen Civil- und Militärbehörden der gebührende
Beistand geleistet werden."

. Auf Grund dieses und des vorher angezogenen K. haben die knrhessischen
Gerichte auf die Anklage des Herausgebers der Neuen Hess. Zeitung deren Frei¬
gebung von dem durch den Militärbefehlshaber über sie verhängten Beschlag ver¬
fügt, indem sie diese Maßregel als eine verfassungswidrige für nichtig erklärten,
und so groß ist dort, sogar Seitens der Militärbehörden, die Achtung vor der
verfassungsmäßigen Unabhängigkeit der Gerichte, daß das Militärcommando, wel¬
ches die Druckerei der N. Hess. Ztg. besehe hielt, zurückgezogen und der Druck
des Blattes freigegeben ward. Ja es wurde auf Befehl des Gerichts ein Polizei¬
beamter, der im Auftrage des MilitärbefchlShabers eine gleiche Maßregel gegen
das Blatt "Die Hornisse" vollzogen hatte, in Haft genommen, und der Militär-
bcfehlshaber wagte trotz des Belagerungsstandes nicht, seinen Beauftragten der
Hast zu entziehen!

Wie sehr stechen davon die Verhältnisse in Sachsen ab! Zwar sind auch dort,
nach §. 47 der Verfassungs-Urkunde, die Gerichte "bei Ausübung ihres richter¬
lichen Amtes innerhalb der Grenzen ihrer Competenz von dem Einflüsse
der Negierung unabhängig." "Auch steht, nach H. 48, Jedem, der sich durch
eiuen Act der Staatsverwaltung in seinen Rechten verletzt glaubt, der Rechtsweg
offen." Aber wie sieht es mit der praktischen Ausführung dieser Bestimmungen
aus in Bezug auf VerfassungSüberschreituugcn durch die Verwaltungsbehörden?

Nehmen wir z. B. den Fall (der dort wie in Kurhessen vorliegt), daß die
Regierung Steuern ohne die verfassungsmäßige Zustimmung der Landesvertretung
ausschriebe! Nach §. 1(14 der sächsischen Versassungs-Urkunde sind "ohne die, in
den Steuerausschreiben besonders zu erwähnende ständische Bewilligung weder die
Einnehmer zur Erhebung der ausgeschriebenen Abgaben berechtigt, noch die Unter-
thanen zu ihrer Entrichtung verpflichtet." Wenn nun aber dennoch die Ein¬
nehmer solche nicht verfassungsmäßig bewilligte Abgaben erheben wollen, wie wird
der einzelne Staatsangehörige sich der ihm angesonnenen Entrichtung, zu der er
nach der Verfassung nicht verpflichtet ist, factisch zu entziehen vermögen? Er wird
sich weigern, zu zahlen. Darauf schickt man ihm Exemtion, d. h. einen Soldaten,
der sich so lange bei ihm einquartiert, bis er zahlt, oder man pfändet ihn äußersten
Falles aus. Er fühlt sich dadurch in seinen Rechten verletzt und will nach K. 56
den Rechtsweg betreten. Die Gerichte werden doch wohl seine Klage annehmen,
die verfassungswidrige Zumuthung der Steuerbehörde cassiren, deren Verfahren
mit Exemtion vielleicht sogar als einen Amtsmißbrauch ahnden? Ach nein, das
werden sie schwerlich! Aber sind sie denn nicht "unabhängig"? Ja freilich, aber
nur "innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz." Hätten sie nun auch diese Greu-
zen, wie die knrhessischen Gerichte (nach §. 113 der kurhessischen Verf.-Art.), selbst
zu bestimmen (was nicht der Fall ist), so würde ihnen doch das Gesetz vom 38.


hierzu von allen Civil- und Militärbehörden der gebührende
Beistand geleistet werden."

. Auf Grund dieses und des vorher angezogenen K. haben die knrhessischen
Gerichte auf die Anklage des Herausgebers der Neuen Hess. Zeitung deren Frei¬
gebung von dem durch den Militärbefehlshaber über sie verhängten Beschlag ver¬
fügt, indem sie diese Maßregel als eine verfassungswidrige für nichtig erklärten,
und so groß ist dort, sogar Seitens der Militärbehörden, die Achtung vor der
verfassungsmäßigen Unabhängigkeit der Gerichte, daß das Militärcommando, wel¬
ches die Druckerei der N. Hess. Ztg. besehe hielt, zurückgezogen und der Druck
des Blattes freigegeben ward. Ja es wurde auf Befehl des Gerichts ein Polizei¬
beamter, der im Auftrage des MilitärbefchlShabers eine gleiche Maßregel gegen
das Blatt „Die Hornisse" vollzogen hatte, in Haft genommen, und der Militär-
bcfehlshaber wagte trotz des Belagerungsstandes nicht, seinen Beauftragten der
Hast zu entziehen!

Wie sehr stechen davon die Verhältnisse in Sachsen ab! Zwar sind auch dort,
nach §. 47 der Verfassungs-Urkunde, die Gerichte „bei Ausübung ihres richter¬
lichen Amtes innerhalb der Grenzen ihrer Competenz von dem Einflüsse
der Negierung unabhängig." „Auch steht, nach H. 48, Jedem, der sich durch
eiuen Act der Staatsverwaltung in seinen Rechten verletzt glaubt, der Rechtsweg
offen." Aber wie sieht es mit der praktischen Ausführung dieser Bestimmungen
aus in Bezug auf VerfassungSüberschreituugcn durch die Verwaltungsbehörden?

Nehmen wir z. B. den Fall (der dort wie in Kurhessen vorliegt), daß die
Regierung Steuern ohne die verfassungsmäßige Zustimmung der Landesvertretung
ausschriebe! Nach §. 1(14 der sächsischen Versassungs-Urkunde sind „ohne die, in
den Steuerausschreiben besonders zu erwähnende ständische Bewilligung weder die
Einnehmer zur Erhebung der ausgeschriebenen Abgaben berechtigt, noch die Unter-
thanen zu ihrer Entrichtung verpflichtet." Wenn nun aber dennoch die Ein¬
nehmer solche nicht verfassungsmäßig bewilligte Abgaben erheben wollen, wie wird
der einzelne Staatsangehörige sich der ihm angesonnenen Entrichtung, zu der er
nach der Verfassung nicht verpflichtet ist, factisch zu entziehen vermögen? Er wird
sich weigern, zu zahlen. Darauf schickt man ihm Exemtion, d. h. einen Soldaten,
der sich so lange bei ihm einquartiert, bis er zahlt, oder man pfändet ihn äußersten
Falles aus. Er fühlt sich dadurch in seinen Rechten verletzt und will nach K. 56
den Rechtsweg betreten. Die Gerichte werden doch wohl seine Klage annehmen,
die verfassungswidrige Zumuthung der Steuerbehörde cassiren, deren Verfahren
mit Exemtion vielleicht sogar als einen Amtsmißbrauch ahnden? Ach nein, das
werden sie schwerlich! Aber sind sie denn nicht „unabhängig"? Ja freilich, aber
nur „innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz." Hätten sie nun auch diese Greu-
zen, wie die knrhessischen Gerichte (nach §. 113 der kurhessischen Verf.-Art.), selbst
zu bestimmen (was nicht der Fall ist), so würde ihnen doch das Gesetz vom 38.


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[0495] hierzu von allen Civil- und Militärbehörden der gebührende Beistand geleistet werden." . Auf Grund dieses und des vorher angezogenen K. haben die knrhessischen Gerichte auf die Anklage des Herausgebers der Neuen Hess. Zeitung deren Frei¬ gebung von dem durch den Militärbefehlshaber über sie verhängten Beschlag ver¬ fügt, indem sie diese Maßregel als eine verfassungswidrige für nichtig erklärten, und so groß ist dort, sogar Seitens der Militärbehörden, die Achtung vor der verfassungsmäßigen Unabhängigkeit der Gerichte, daß das Militärcommando, wel¬ ches die Druckerei der N. Hess. Ztg. besehe hielt, zurückgezogen und der Druck des Blattes freigegeben ward. Ja es wurde auf Befehl des Gerichts ein Polizei¬ beamter, der im Auftrage des MilitärbefchlShabers eine gleiche Maßregel gegen das Blatt „Die Hornisse" vollzogen hatte, in Haft genommen, und der Militär- bcfehlshaber wagte trotz des Belagerungsstandes nicht, seinen Beauftragten der Hast zu entziehen! Wie sehr stechen davon die Verhältnisse in Sachsen ab! Zwar sind auch dort, nach §. 47 der Verfassungs-Urkunde, die Gerichte „bei Ausübung ihres richter¬ lichen Amtes innerhalb der Grenzen ihrer Competenz von dem Einflüsse der Negierung unabhängig." „Auch steht, nach H. 48, Jedem, der sich durch eiuen Act der Staatsverwaltung in seinen Rechten verletzt glaubt, der Rechtsweg offen." Aber wie sieht es mit der praktischen Ausführung dieser Bestimmungen aus in Bezug auf VerfassungSüberschreituugcn durch die Verwaltungsbehörden? Nehmen wir z. B. den Fall (der dort wie in Kurhessen vorliegt), daß die Regierung Steuern ohne die verfassungsmäßige Zustimmung der Landesvertretung ausschriebe! Nach §. 1(14 der sächsischen Versassungs-Urkunde sind „ohne die, in den Steuerausschreiben besonders zu erwähnende ständische Bewilligung weder die Einnehmer zur Erhebung der ausgeschriebenen Abgaben berechtigt, noch die Unter- thanen zu ihrer Entrichtung verpflichtet." Wenn nun aber dennoch die Ein¬ nehmer solche nicht verfassungsmäßig bewilligte Abgaben erheben wollen, wie wird der einzelne Staatsangehörige sich der ihm angesonnenen Entrichtung, zu der er nach der Verfassung nicht verpflichtet ist, factisch zu entziehen vermögen? Er wird sich weigern, zu zahlen. Darauf schickt man ihm Exemtion, d. h. einen Soldaten, der sich so lange bei ihm einquartiert, bis er zahlt, oder man pfändet ihn äußersten Falles aus. Er fühlt sich dadurch in seinen Rechten verletzt und will nach K. 56 den Rechtsweg betreten. Die Gerichte werden doch wohl seine Klage annehmen, die verfassungswidrige Zumuthung der Steuerbehörde cassiren, deren Verfahren mit Exemtion vielleicht sogar als einen Amtsmißbrauch ahnden? Ach nein, das werden sie schwerlich! Aber sind sie denn nicht „unabhängig"? Ja freilich, aber nur „innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz." Hätten sie nun auch diese Greu- zen, wie die knrhessischen Gerichte (nach §. 113 der kurhessischen Verf.-Art.), selbst zu bestimmen (was nicht der Fall ist), so würde ihnen doch das Gesetz vom 38.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/495>, abgerufen am 01.09.2024.