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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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obliegende Beobachtung der Staatsverfassung berechtigt keinen
Diener, die Anordnungen seiner Vorgesetzten, deren Ueberein-
stimmung mit der Verfassung und den Gesetzen ihm zweifelhaft
dünkt, bei Seite zu setzen; vielmehr hat er denselben ohne Verzug nachzu¬
gehen, und es hielt't ihm unbenommen, sein diesfallsiges Bedenken der vorgesetzten
Behörde anzuzeigen. Er kann daher solchenfalls wegen Erfolgs der Anordnung
uicht zur Verantwortung gezogen werden, vielmehr trifft die Verantwortlichkeit
denjenigen, der die Anordnung ertheilt hat."

Diese Bestimmung des Staatsdienergesetzes macht den §. 42 der Verf. Art.
zu einer leeren Phrase. Die Verantwortlichmachung des obern Staatsdiencrs (des
Ministers) für die Handlungen seiner Untergebenen ergänzt nicht im entferntesten,
was durch Hinwegnahme der unmittelbaren Verantwortlichkeit jener verloren geht.
Denn es ist viel schwerer, die Verantwortung für eine Verfassungsverletzung gegen
einen Minister geltend zu machen, als gegen einen untergeordneten Staatsbeamten,
abgesehen davoy, daß schon durch die Znschiebnng und Übertragung dieser Verant¬
wortung von dem Einen ans den Andern dieselbe häufig ganz verloren geht und un¬
ausführbar wird. Nur die unmittelbare volle persönliche Verantwortung, die jedem
Staatsdiener sür die von ihm vollzogene Vcrfassungsvcrletzuug droht, kaun verhüte",
daß der eiuzelue Beamte sich zur Ausführung verfassungswidriger Befehle seiner Obern
gebrauchen läßt, kann allein Maßregeln dieser Art sogleich in ihrer Geburt er¬
sticken, indem sie den versassungsfeindlichcn Obern die gefügigen Werkzeuge ihres
ungesetzlichen Beginnens entzieht.

Die wohlthätigen Wirkungen des K. 61 der knrhessischcn Verfassungs-Urkunde
haben sich bei dem neuesten Conflict aufs schlagendste gezeigt. Beinahe alle
Behörden von den höchsten bis herab zu den niedersten haben die verfassungswi¬
drigen Anordnungen des Ministeriums Hassenpflug für unvollziehbar erklärt und
ihre Mitwirkung zu deren Ausführung verweigert. Wo ist etwas Aehnliches in
Sachsen vorgekommen? Hat eine einzige Behörde sich geweigert, zur Wiederbc-
rnfung des alten Släudetagö die Hand zu bieten? Oder wird eine einzige sich
weigern, Steuern, die ohne die vorgeschriebene ständische Genehmigung ausge¬
schrieben sind, zu erheben? Aber freilich Behörden, die so etwas wagen wollten,
würden durch kein Gesetz geschützt, vielmehr uach dem angeführten K. 7 des Staats-
dienergesetzcs, in Verbindung mit K. 25, c>.. 8, 2", 4 und 5, und K. 27 desselben Ge¬
setzes der Ahndung ihres Ungehorsams durch die vorgesetzte Behörde unrettbar ver¬
fallen sei", ohne daß ihnen eine Berufung an die Gerichte (K. 30 des Staatsdicuer-
gesetzes) wegen Entschädigung, Wiedereinsetzung oder Wiederaustelluug zustände.

Zur Geltendmachung der in 8- 61, der kurhessischen Verfassnngs-Urkunde
festgesetzten Verantwortlichkeit der einzelnen Staatsdiener, also zur Anklage gegen
dieselben bei den Gerichten, (abgesehen von der in K. 100 vorgesehenen Minister¬
anklage) sind zunächst die Landstände befugt, in deren Abwesenheit aber auch der


obliegende Beobachtung der Staatsverfassung berechtigt keinen
Diener, die Anordnungen seiner Vorgesetzten, deren Ueberein-
stimmung mit der Verfassung und den Gesetzen ihm zweifelhaft
dünkt, bei Seite zu setzen; vielmehr hat er denselben ohne Verzug nachzu¬
gehen, und es hielt't ihm unbenommen, sein diesfallsiges Bedenken der vorgesetzten
Behörde anzuzeigen. Er kann daher solchenfalls wegen Erfolgs der Anordnung
uicht zur Verantwortung gezogen werden, vielmehr trifft die Verantwortlichkeit
denjenigen, der die Anordnung ertheilt hat."

Diese Bestimmung des Staatsdienergesetzes macht den §. 42 der Verf. Art.
zu einer leeren Phrase. Die Verantwortlichmachung des obern Staatsdiencrs (des
Ministers) für die Handlungen seiner Untergebenen ergänzt nicht im entferntesten,
was durch Hinwegnahme der unmittelbaren Verantwortlichkeit jener verloren geht.
Denn es ist viel schwerer, die Verantwortung für eine Verfassungsverletzung gegen
einen Minister geltend zu machen, als gegen einen untergeordneten Staatsbeamten,
abgesehen davoy, daß schon durch die Znschiebnng und Übertragung dieser Verant¬
wortung von dem Einen ans den Andern dieselbe häufig ganz verloren geht und un¬
ausführbar wird. Nur die unmittelbare volle persönliche Verantwortung, die jedem
Staatsdiener sür die von ihm vollzogene Vcrfassungsvcrletzuug droht, kaun verhüte«,
daß der eiuzelue Beamte sich zur Ausführung verfassungswidriger Befehle seiner Obern
gebrauchen läßt, kann allein Maßregeln dieser Art sogleich in ihrer Geburt er¬
sticken, indem sie den versassungsfeindlichcn Obern die gefügigen Werkzeuge ihres
ungesetzlichen Beginnens entzieht.

Die wohlthätigen Wirkungen des K. 61 der knrhessischcn Verfassungs-Urkunde
haben sich bei dem neuesten Conflict aufs schlagendste gezeigt. Beinahe alle
Behörden von den höchsten bis herab zu den niedersten haben die verfassungswi¬
drigen Anordnungen des Ministeriums Hassenpflug für unvollziehbar erklärt und
ihre Mitwirkung zu deren Ausführung verweigert. Wo ist etwas Aehnliches in
Sachsen vorgekommen? Hat eine einzige Behörde sich geweigert, zur Wiederbc-
rnfung des alten Släudetagö die Hand zu bieten? Oder wird eine einzige sich
weigern, Steuern, die ohne die vorgeschriebene ständische Genehmigung ausge¬
schrieben sind, zu erheben? Aber freilich Behörden, die so etwas wagen wollten,
würden durch kein Gesetz geschützt, vielmehr uach dem angeführten K. 7 des Staats-
dienergesetzcs, in Verbindung mit K. 25, c>.. 8, 2«, 4 und 5, und K. 27 desselben Ge¬
setzes der Ahndung ihres Ungehorsams durch die vorgesetzte Behörde unrettbar ver¬
fallen sei», ohne daß ihnen eine Berufung an die Gerichte (K. 30 des Staatsdicuer-
gesetzes) wegen Entschädigung, Wiedereinsetzung oder Wiederaustelluug zustände.

Zur Geltendmachung der in 8- 61, der kurhessischen Verfassnngs-Urkunde
festgesetzten Verantwortlichkeit der einzelnen Staatsdiener, also zur Anklage gegen
dieselben bei den Gerichten, (abgesehen von der in K. 100 vorgesehenen Minister¬
anklage) sind zunächst die Landstände befugt, in deren Abwesenheit aber auch der


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[0493] obliegende Beobachtung der Staatsverfassung berechtigt keinen Diener, die Anordnungen seiner Vorgesetzten, deren Ueberein- stimmung mit der Verfassung und den Gesetzen ihm zweifelhaft dünkt, bei Seite zu setzen; vielmehr hat er denselben ohne Verzug nachzu¬ gehen, und es hielt't ihm unbenommen, sein diesfallsiges Bedenken der vorgesetzten Behörde anzuzeigen. Er kann daher solchenfalls wegen Erfolgs der Anordnung uicht zur Verantwortung gezogen werden, vielmehr trifft die Verantwortlichkeit denjenigen, der die Anordnung ertheilt hat." Diese Bestimmung des Staatsdienergesetzes macht den §. 42 der Verf. Art. zu einer leeren Phrase. Die Verantwortlichmachung des obern Staatsdiencrs (des Ministers) für die Handlungen seiner Untergebenen ergänzt nicht im entferntesten, was durch Hinwegnahme der unmittelbaren Verantwortlichkeit jener verloren geht. Denn es ist viel schwerer, die Verantwortung für eine Verfassungsverletzung gegen einen Minister geltend zu machen, als gegen einen untergeordneten Staatsbeamten, abgesehen davoy, daß schon durch die Znschiebnng und Übertragung dieser Verant¬ wortung von dem Einen ans den Andern dieselbe häufig ganz verloren geht und un¬ ausführbar wird. Nur die unmittelbare volle persönliche Verantwortung, die jedem Staatsdiener sür die von ihm vollzogene Vcrfassungsvcrletzuug droht, kaun verhüte«, daß der eiuzelue Beamte sich zur Ausführung verfassungswidriger Befehle seiner Obern gebrauchen läßt, kann allein Maßregeln dieser Art sogleich in ihrer Geburt er¬ sticken, indem sie den versassungsfeindlichcn Obern die gefügigen Werkzeuge ihres ungesetzlichen Beginnens entzieht. Die wohlthätigen Wirkungen des K. 61 der knrhessischcn Verfassungs-Urkunde haben sich bei dem neuesten Conflict aufs schlagendste gezeigt. Beinahe alle Behörden von den höchsten bis herab zu den niedersten haben die verfassungswi¬ drigen Anordnungen des Ministeriums Hassenpflug für unvollziehbar erklärt und ihre Mitwirkung zu deren Ausführung verweigert. Wo ist etwas Aehnliches in Sachsen vorgekommen? Hat eine einzige Behörde sich geweigert, zur Wiederbc- rnfung des alten Släudetagö die Hand zu bieten? Oder wird eine einzige sich weigern, Steuern, die ohne die vorgeschriebene ständische Genehmigung ausge¬ schrieben sind, zu erheben? Aber freilich Behörden, die so etwas wagen wollten, würden durch kein Gesetz geschützt, vielmehr uach dem angeführten K. 7 des Staats- dienergesetzcs, in Verbindung mit K. 25, c>.. 8, 2«, 4 und 5, und K. 27 desselben Ge¬ setzes der Ahndung ihres Ungehorsams durch die vorgesetzte Behörde unrettbar ver¬ fallen sei», ohne daß ihnen eine Berufung an die Gerichte (K. 30 des Staatsdicuer- gesetzes) wegen Entschädigung, Wiedereinsetzung oder Wiederaustelluug zustände. Zur Geltendmachung der in 8- 61, der kurhessischen Verfassnngs-Urkunde festgesetzten Verantwortlichkeit der einzelnen Staatsdiener, also zur Anklage gegen dieselben bei den Gerichten, (abgesehen von der in K. 100 vorgesehenen Minister¬ anklage) sind zunächst die Landstände befugt, in deren Abwesenheit aber auch der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/493>, abgerufen am 01.09.2024.