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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Die sächsische Verfassung entstand ein halbes Jahr später. Ihre Verfasser
hatten, wie aus einzelnen Fassungen hervorgeht, auch die kurhessische Verfassungs-
urkunde bei ihrer Arbeit im Auge. Aber entweder wollten sie nicht mehr,
als den Schein starker Verfassungsgarantien geben, oder sie verstanden es nicht.
Die nachfolgende organische Gesetzgebung aber machte auch das Wenige, was sich
in der Verfassungsurkunde von derartigen Bürgschaften vorfand, wieder illusorisch.

Wir wollen diejenigen Bestimmungen der knrhessischen und der sächsischen
Verfassung mit einander vergleichen, welche bei den obschwebcnden Verfassungs-
tampfen in beiden Ländern von besonders praktischer Bedeutung sind. §. 21.
der knrhcsfischcn Verfassung verfügt: "Ein jeder Inländer männlichen Geschlechts
hat im achtzehnten Lebensjahre den Huldiguugseid zu leisten, mittels dessen
er Treue dem Landesfürsten und dem Vaterlande, Beobachtung der Ver¬
fassung und Gehorsam den Gesetzen gelobt." Nach §. 60 ist die Verpflichtung
zu Beobachtung und Aufrecht!) altnng der Verfassung in den Diensteid
eines jeden Staatsdieners aufzunehmen. Und §. 156 fügt dem noch die weitere
Vorschrift hinzu: "Die obersten Staatsbeamten stellen über die von ihnen
geschehene eidliche Angelvbnng der Verfassung einen besondern Revers ans,
welcher im ständischen Archiv niederzulegen ist." In Sachsen ist zwar nach H. 139
der Verfassungsurkunde "der Uuterthaucueid und der Eid der Civilstaatsdieuer
und Geistlichen aller christlichen Consesstouen, nächst dem Versprechen der Treue
und des Gehorsams gegen den König und die Gesetze des Landes, auch auf die
Beobachtung der Landesverfassung zu richten." Aber es leuchtet ein, daß der
Zweck, das ganze Volk, insbesondere aber die Behörden und auch das Mi¬
litär zur Treue gegen die Verfassung zu erziehen, ihnen die Beobachtung der
Verfassung als eiuen wesentlichen und unabtrennbaren Theil ihrer Gesammtver-
pflichtuug erscheinen zu lassen, ungleich besser erreicht werde durch die Bestimmun¬
gen der kurhesflscheu, als der sächsischen Verfassungsurkunde. Denn dort wird
Jeder ans die Verfassung vereidet, hier nur der, welcher den Unterthaneneid
zu leisten hat. Dort schwört jeder Achtzehnjährige, also der Militärpflichtige noch
vor seinem Eintritt in die Armee; in Sachsen hat man zwar 1848 auch
das Militär auf die Verfassung verpflichtet, aber dieser Eid war und blieb etwas
zu dem Fahneneid und dem Geist des unbedingten militärischen Gehorsams, der
dein Soldaten seit seinem Eintritt in die Armee angewöhnt worden war, nur
Hinzugekommenes, ein fremdes, aufgepfropftes Reis, das nicht mit dem Mark des
Stammes verwuchs. Die Offiziere erblickten darin eine Ausgeburt jener Revo¬
lution, die sie im Allgemeinen wie in ihren einzelnen Ausflüssen so tief haßten.
Den sächsischen Offizieren in ihrer großen Mehrheit wird es unbegreiflich sein,
wie ihre Kameraden in Kurhessen bei dem neuesten Conflicte sich aus Seiten der
Verfassung stelle,: und ihre Mitwirkung zu Angrissen ans dieselbe versagen
konnten.


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Die sächsische Verfassung entstand ein halbes Jahr später. Ihre Verfasser
hatten, wie aus einzelnen Fassungen hervorgeht, auch die kurhessische Verfassungs-
urkunde bei ihrer Arbeit im Auge. Aber entweder wollten sie nicht mehr,
als den Schein starker Verfassungsgarantien geben, oder sie verstanden es nicht.
Die nachfolgende organische Gesetzgebung aber machte auch das Wenige, was sich
in der Verfassungsurkunde von derartigen Bürgschaften vorfand, wieder illusorisch.

Wir wollen diejenigen Bestimmungen der knrhessischen und der sächsischen
Verfassung mit einander vergleichen, welche bei den obschwebcnden Verfassungs-
tampfen in beiden Ländern von besonders praktischer Bedeutung sind. §. 21.
der knrhcsfischcn Verfassung verfügt: „Ein jeder Inländer männlichen Geschlechts
hat im achtzehnten Lebensjahre den Huldiguugseid zu leisten, mittels dessen
er Treue dem Landesfürsten und dem Vaterlande, Beobachtung der Ver¬
fassung und Gehorsam den Gesetzen gelobt." Nach §. 60 ist die Verpflichtung
zu Beobachtung und Aufrecht!) altnng der Verfassung in den Diensteid
eines jeden Staatsdieners aufzunehmen. Und §. 156 fügt dem noch die weitere
Vorschrift hinzu: „Die obersten Staatsbeamten stellen über die von ihnen
geschehene eidliche Angelvbnng der Verfassung einen besondern Revers ans,
welcher im ständischen Archiv niederzulegen ist." In Sachsen ist zwar nach H. 139
der Verfassungsurkunde „der Uuterthaucueid und der Eid der Civilstaatsdieuer
und Geistlichen aller christlichen Consesstouen, nächst dem Versprechen der Treue
und des Gehorsams gegen den König und die Gesetze des Landes, auch auf die
Beobachtung der Landesverfassung zu richten." Aber es leuchtet ein, daß der
Zweck, das ganze Volk, insbesondere aber die Behörden und auch das Mi¬
litär zur Treue gegen die Verfassung zu erziehen, ihnen die Beobachtung der
Verfassung als eiuen wesentlichen und unabtrennbaren Theil ihrer Gesammtver-
pflichtuug erscheinen zu lassen, ungleich besser erreicht werde durch die Bestimmun¬
gen der kurhesflscheu, als der sächsischen Verfassungsurkunde. Denn dort wird
Jeder ans die Verfassung vereidet, hier nur der, welcher den Unterthaneneid
zu leisten hat. Dort schwört jeder Achtzehnjährige, also der Militärpflichtige noch
vor seinem Eintritt in die Armee; in Sachsen hat man zwar 1848 auch
das Militär auf die Verfassung verpflichtet, aber dieser Eid war und blieb etwas
zu dem Fahneneid und dem Geist des unbedingten militärischen Gehorsams, der
dein Soldaten seit seinem Eintritt in die Armee angewöhnt worden war, nur
Hinzugekommenes, ein fremdes, aufgepfropftes Reis, das nicht mit dem Mark des
Stammes verwuchs. Die Offiziere erblickten darin eine Ausgeburt jener Revo¬
lution, die sie im Allgemeinen wie in ihren einzelnen Ausflüssen so tief haßten.
Den sächsischen Offizieren in ihrer großen Mehrheit wird es unbegreiflich sein,
wie ihre Kameraden in Kurhessen bei dem neuesten Conflicte sich aus Seiten der
Verfassung stelle,: und ihre Mitwirkung zu Angrissen ans dieselbe versagen
konnten.


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[0491] Die sächsische Verfassung entstand ein halbes Jahr später. Ihre Verfasser hatten, wie aus einzelnen Fassungen hervorgeht, auch die kurhessische Verfassungs- urkunde bei ihrer Arbeit im Auge. Aber entweder wollten sie nicht mehr, als den Schein starker Verfassungsgarantien geben, oder sie verstanden es nicht. Die nachfolgende organische Gesetzgebung aber machte auch das Wenige, was sich in der Verfassungsurkunde von derartigen Bürgschaften vorfand, wieder illusorisch. Wir wollen diejenigen Bestimmungen der knrhessischen und der sächsischen Verfassung mit einander vergleichen, welche bei den obschwebcnden Verfassungs- tampfen in beiden Ländern von besonders praktischer Bedeutung sind. §. 21. der knrhcsfischcn Verfassung verfügt: „Ein jeder Inländer männlichen Geschlechts hat im achtzehnten Lebensjahre den Huldiguugseid zu leisten, mittels dessen er Treue dem Landesfürsten und dem Vaterlande, Beobachtung der Ver¬ fassung und Gehorsam den Gesetzen gelobt." Nach §. 60 ist die Verpflichtung zu Beobachtung und Aufrecht!) altnng der Verfassung in den Diensteid eines jeden Staatsdieners aufzunehmen. Und §. 156 fügt dem noch die weitere Vorschrift hinzu: „Die obersten Staatsbeamten stellen über die von ihnen geschehene eidliche Angelvbnng der Verfassung einen besondern Revers ans, welcher im ständischen Archiv niederzulegen ist." In Sachsen ist zwar nach H. 139 der Verfassungsurkunde „der Uuterthaucueid und der Eid der Civilstaatsdieuer und Geistlichen aller christlichen Consesstouen, nächst dem Versprechen der Treue und des Gehorsams gegen den König und die Gesetze des Landes, auch auf die Beobachtung der Landesverfassung zu richten." Aber es leuchtet ein, daß der Zweck, das ganze Volk, insbesondere aber die Behörden und auch das Mi¬ litär zur Treue gegen die Verfassung zu erziehen, ihnen die Beobachtung der Verfassung als eiuen wesentlichen und unabtrennbaren Theil ihrer Gesammtver- pflichtuug erscheinen zu lassen, ungleich besser erreicht werde durch die Bestimmun¬ gen der kurhesflscheu, als der sächsischen Verfassungsurkunde. Denn dort wird Jeder ans die Verfassung vereidet, hier nur der, welcher den Unterthaneneid zu leisten hat. Dort schwört jeder Achtzehnjährige, also der Militärpflichtige noch vor seinem Eintritt in die Armee; in Sachsen hat man zwar 1848 auch das Militär auf die Verfassung verpflichtet, aber dieser Eid war und blieb etwas zu dem Fahneneid und dem Geist des unbedingten militärischen Gehorsams, der dein Soldaten seit seinem Eintritt in die Armee angewöhnt worden war, nur Hinzugekommenes, ein fremdes, aufgepfropftes Reis, das nicht mit dem Mark des Stammes verwuchs. Die Offiziere erblickten darin eine Ausgeburt jener Revo¬ lution, die sie im Allgemeinen wie in ihren einzelnen Ausflüssen so tief haßten. Den sächsischen Offizieren in ihrer großen Mehrheit wird es unbegreiflich sein, wie ihre Kameraden in Kurhessen bei dem neuesten Conflicte sich aus Seiten der Verfassung stelle,: und ihre Mitwirkung zu Angrissen ans dieselbe versagen konnten. 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/491>, abgerufen am 01.09.2024.