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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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der Hauptstadt Ungarns noch einmal Halt zu machen und die Bewegungen der Re¬
bellen zu beobachten; und da M..... ebenfalls in die Opcratiouslinie fiel, so wurde
eine Abtheilung auch dahin in Quartier verlegt. Am 5. April langte diese Truppe
beiM..... an, und stellte sich vor dem Dorfe auf. Eine starke Patrouille wurde
in das Dorf entsendet, und die Einwohner, besonders aber die adeligen Grund-
herren, unter Androhung der strengsten Strafe, zu einer Versammlung vor das
Hauptquartier beordert. Nachdem auf diese Weise die ganze männliche Bevöl¬
kerung zusammengetrommelt war, trat Oberst Auer hervor, und seiue unge¬
wöhnlich hohe Gestalt durch die militärisch-oratorische Attitüde zu einem wirklichen
Koloß ausdehnend, hielt er mit einer Stimme, die jeden Augenblick den Ausbruch
von Tigerwuth fürchten ließ, folgende Rede:^)

"Ihr Rebellen! Bluthunde! Meuterer! Wenn wir nach Recht (?) und
Gesetz (?) mit Euch verfahren wollten, so müßten wir Euch Alle, aber Alle,
hängen lassen und Euer Raubnest (d. h. das Nest, welches erst vor einigen
Stunden von k. k. Soldaten ausgeraubt worden war) der Erde gleich machen.
Denn Ihr habt, nachdem die Truppen Sr. Majestät von Euch friedlich (?) ab¬
gezogen sind, eiuen Neiterhaufen der Rebellen nicht nur mit Jubel und Eljen
empfangen, sondern auch 32 treue Krieger Eures Kaisers' an sie ausgeliefert.
Ich kenne keinen Namen, der die Abscheulichkeit dieser Hochverrätherischen That
ausdrücken möchte, und sie zeigt uns nur allzu sehr, daß Ihr in Eurem frevlerischen
Wandel unverbesserlich seid. Aber unser erhabener Monarch, dessen Herz keine
Strenge kennt, gebietet uns, unsern gerechten Zorn zu unterdrücken und mit
Euch gnädig zu verfahren. Wir gebieten Euch also im Namen unsers Kaisers,
hier sogleich die Namen jener Hochverräther anzugeben, die sich erkühnten, die
Truppen Sr. Majestät an die blutgierigen Rebellen auszuliefern; sonst wird das
Dorf geplündert und den Flammen preisgegeben!"

Diese Worte brachten unter den Versammelten eine stumme, aber tiefe Be¬
wegung hervor; die Furcht malte sich auf den Gesichtern der sich schuldbewußten,
die Entrüstung über die Anmuthung einer Denunciation gegen den Mitbürger in
den Gebärden der Mitwisser. Hiezu kam noch der Umstand, daß die Rede des
Obersten in deutscher Sprache geHallen und also nur einigen Honoratioren ver¬
ständlich war, während die Bauern sich um diese drängten, um von ihnen in
flüsternden Worten das Verlangen des Offiziers zu erfragen. Dies wurde auch
von den Offizieren wahrgenommen, und sie beeilten sich, das Gesagte verdoll-
metschen zu lassen. Oberst Horwath, ein Ungar und Edelmann von Geburt^),
trat hervor und setzte der Versammlung in ungarischer Sprache auseinander, wie




- *) Oberst Auer war derselbe, der nach der Erstürmung Ofens durch die Ungarn die
Pesth-Ofner Kettenbrücke in die Lust sprengen wollte und dabei seinen Tod fand. Der
Mensch hatte etwas in seinem ganzen Wesen, was ein solches Cude prophezeihen ließ.
Derselbe, welcher das Meiste zur Niederlage Perczcl'S bei Moor beigetragen hatte.

der Hauptstadt Ungarns noch einmal Halt zu machen und die Bewegungen der Re¬
bellen zu beobachten; und da M..... ebenfalls in die Opcratiouslinie fiel, so wurde
eine Abtheilung auch dahin in Quartier verlegt. Am 5. April langte diese Truppe
beiM..... an, und stellte sich vor dem Dorfe auf. Eine starke Patrouille wurde
in das Dorf entsendet, und die Einwohner, besonders aber die adeligen Grund-
herren, unter Androhung der strengsten Strafe, zu einer Versammlung vor das
Hauptquartier beordert. Nachdem auf diese Weise die ganze männliche Bevöl¬
kerung zusammengetrommelt war, trat Oberst Auer hervor, und seiue unge¬
wöhnlich hohe Gestalt durch die militärisch-oratorische Attitüde zu einem wirklichen
Koloß ausdehnend, hielt er mit einer Stimme, die jeden Augenblick den Ausbruch
von Tigerwuth fürchten ließ, folgende Rede:^)

„Ihr Rebellen! Bluthunde! Meuterer! Wenn wir nach Recht (?) und
Gesetz (?) mit Euch verfahren wollten, so müßten wir Euch Alle, aber Alle,
hängen lassen und Euer Raubnest (d. h. das Nest, welches erst vor einigen
Stunden von k. k. Soldaten ausgeraubt worden war) der Erde gleich machen.
Denn Ihr habt, nachdem die Truppen Sr. Majestät von Euch friedlich (?) ab¬
gezogen sind, eiuen Neiterhaufen der Rebellen nicht nur mit Jubel und Eljen
empfangen, sondern auch 32 treue Krieger Eures Kaisers' an sie ausgeliefert.
Ich kenne keinen Namen, der die Abscheulichkeit dieser Hochverrätherischen That
ausdrücken möchte, und sie zeigt uns nur allzu sehr, daß Ihr in Eurem frevlerischen
Wandel unverbesserlich seid. Aber unser erhabener Monarch, dessen Herz keine
Strenge kennt, gebietet uns, unsern gerechten Zorn zu unterdrücken und mit
Euch gnädig zu verfahren. Wir gebieten Euch also im Namen unsers Kaisers,
hier sogleich die Namen jener Hochverräther anzugeben, die sich erkühnten, die
Truppen Sr. Majestät an die blutgierigen Rebellen auszuliefern; sonst wird das
Dorf geplündert und den Flammen preisgegeben!"

Diese Worte brachten unter den Versammelten eine stumme, aber tiefe Be¬
wegung hervor; die Furcht malte sich auf den Gesichtern der sich schuldbewußten,
die Entrüstung über die Anmuthung einer Denunciation gegen den Mitbürger in
den Gebärden der Mitwisser. Hiezu kam noch der Umstand, daß die Rede des
Obersten in deutscher Sprache geHallen und also nur einigen Honoratioren ver¬
ständlich war, während die Bauern sich um diese drängten, um von ihnen in
flüsternden Worten das Verlangen des Offiziers zu erfragen. Dies wurde auch
von den Offizieren wahrgenommen, und sie beeilten sich, das Gesagte verdoll-
metschen zu lassen. Oberst Horwath, ein Ungar und Edelmann von Geburt^),
trat hervor und setzte der Versammlung in ungarischer Sprache auseinander, wie




- *) Oberst Auer war derselbe, der nach der Erstürmung Ofens durch die Ungarn die
Pesth-Ofner Kettenbrücke in die Lust sprengen wollte und dabei seinen Tod fand. Der
Mensch hatte etwas in seinem ganzen Wesen, was ein solches Cude prophezeihen ließ.
Derselbe, welcher das Meiste zur Niederlage Perczcl'S bei Moor beigetragen hatte.
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[0466] der Hauptstadt Ungarns noch einmal Halt zu machen und die Bewegungen der Re¬ bellen zu beobachten; und da M..... ebenfalls in die Opcratiouslinie fiel, so wurde eine Abtheilung auch dahin in Quartier verlegt. Am 5. April langte diese Truppe beiM..... an, und stellte sich vor dem Dorfe auf. Eine starke Patrouille wurde in das Dorf entsendet, und die Einwohner, besonders aber die adeligen Grund- herren, unter Androhung der strengsten Strafe, zu einer Versammlung vor das Hauptquartier beordert. Nachdem auf diese Weise die ganze männliche Bevöl¬ kerung zusammengetrommelt war, trat Oberst Auer hervor, und seiue unge¬ wöhnlich hohe Gestalt durch die militärisch-oratorische Attitüde zu einem wirklichen Koloß ausdehnend, hielt er mit einer Stimme, die jeden Augenblick den Ausbruch von Tigerwuth fürchten ließ, folgende Rede:^) „Ihr Rebellen! Bluthunde! Meuterer! Wenn wir nach Recht (?) und Gesetz (?) mit Euch verfahren wollten, so müßten wir Euch Alle, aber Alle, hängen lassen und Euer Raubnest (d. h. das Nest, welches erst vor einigen Stunden von k. k. Soldaten ausgeraubt worden war) der Erde gleich machen. Denn Ihr habt, nachdem die Truppen Sr. Majestät von Euch friedlich (?) ab¬ gezogen sind, eiuen Neiterhaufen der Rebellen nicht nur mit Jubel und Eljen empfangen, sondern auch 32 treue Krieger Eures Kaisers' an sie ausgeliefert. Ich kenne keinen Namen, der die Abscheulichkeit dieser Hochverrätherischen That ausdrücken möchte, und sie zeigt uns nur allzu sehr, daß Ihr in Eurem frevlerischen Wandel unverbesserlich seid. Aber unser erhabener Monarch, dessen Herz keine Strenge kennt, gebietet uns, unsern gerechten Zorn zu unterdrücken und mit Euch gnädig zu verfahren. Wir gebieten Euch also im Namen unsers Kaisers, hier sogleich die Namen jener Hochverräther anzugeben, die sich erkühnten, die Truppen Sr. Majestät an die blutgierigen Rebellen auszuliefern; sonst wird das Dorf geplündert und den Flammen preisgegeben!" Diese Worte brachten unter den Versammelten eine stumme, aber tiefe Be¬ wegung hervor; die Furcht malte sich auf den Gesichtern der sich schuldbewußten, die Entrüstung über die Anmuthung einer Denunciation gegen den Mitbürger in den Gebärden der Mitwisser. Hiezu kam noch der Umstand, daß die Rede des Obersten in deutscher Sprache geHallen und also nur einigen Honoratioren ver¬ ständlich war, während die Bauern sich um diese drängten, um von ihnen in flüsternden Worten das Verlangen des Offiziers zu erfragen. Dies wurde auch von den Offizieren wahrgenommen, und sie beeilten sich, das Gesagte verdoll- metschen zu lassen. Oberst Horwath, ein Ungar und Edelmann von Geburt^), trat hervor und setzte der Versammlung in ungarischer Sprache auseinander, wie - *) Oberst Auer war derselbe, der nach der Erstürmung Ofens durch die Ungarn die Pesth-Ofner Kettenbrücke in die Lust sprengen wollte und dabei seinen Tod fand. Der Mensch hatte etwas in seinem ganzen Wesen, was ein solches Cude prophezeihen ließ. Derselbe, welcher das Meiste zur Niederlage Perczcl'S bei Moor beigetragen hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/466>, abgerufen am 01.09.2024.