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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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hegen, und ihre Disciplin dort aufhört, wo gewisse Evolutionen mit den Fingern
anfangen. Allein wer mit der Verfassung der Militärgrenze naher vertraut ist,
muß hier dem kriegerischen Stamme der Südslaven das Wort sprechen, 'da die
Badens'schen Tendenzen ihnen nicht mit der Muttermilch eingesogen werden, son¬
dern vielmehr in ihrer bürgerlichen Stellung und besonders in einem Privilegium,
welches die einzige Lichtseite (?) in dem drang- und entbehrnngsvollen Leben des
Grenzers bildet, ihren Grund haben.

Der Grenzer ist ein Wesen, welches isolirt in der großen Volksfamilie da¬
steht, welche wir Staat nennen. Seine Person hat um insofern Werth, als sie
ein Gewehr tragen und gegen eine Kanone anlaufen kann; seine Familie besteht
aus einer gewissen Zahl von Mannschaft, deren Corporal der Patriarch ist;
seine Gemeinde ist eine Compagnie, sein Bezirk ein Regiment, sein Vaterland
eine große Caserne, und sein Kaiser ist der erste Soldat der Welt.

Der Grenzer hat aber nicht nur dem Staate -- dem er geborene Maschine
ist -- sondern anch seiner Familie gegenüber keine Individualität. -- Die Session,
d. h. die zu einem Hause und den daran haftenden Grundstücken gehörende Fa¬
milie, ist dort die Einheit; die Mitglieder, die oft aus -4-- 8 und noch mehr Ehe¬
paaren bestehen, bilden nur Bruchstücke dieser Einheit und sind mit ihrer Arbeit
und ihren: Talent an dieselbe gebunden. Wenn ein Mitglied der Session außer
dem Hause auf Arbeit gehen will, so muß es jsich dazu die Erlaubniß des
Patriarchen (vorstehendes Mitglied der Session) einholen und auch dann einen
Theil des erarbeiteten Lohnes in die Familiencasse abliefern. Nur Ein Erwerb
ist ihm vom Gesetz als ungeschmälertes Eigenthum zugesprochen, und das ist die
gemachte Kriegsbeute.")

Nun denke man sich einen Feldherrn, der dem armen, zu Hanse meist
hungernden und mit seinem geringen Besitz und Erwerb unter Curatel stehenden
Grenzer diesen einzigen Weg zur Erlangung eines selbstständigen Vermögens
abschneiden wollte; der dem Grenzer, welcher den Civilstand nur als solchen
kennt, für den oder gegen den er in die blutige Schlacht ziehen und dann
seinen verkrüppelten Bruder, Vater oder Oheim mit seiner Hände Arbeit ernähren
helfen muß, von Pflichten des Kriegers gegen den Staat und andern dergleichen
Dingen sprechen wollte; ja noch mehr, der dem Grenzer in einem Kriege, wie der
letzte war, Schonung gegen den gebieten wollte, der es wagte, die heilige Dis¬
ciplin so gröblich zu verletzen und sich gegen den ersten Soldaten der Erde zu
erheben: und man wird gestehen müssen, daß ein solcher Feldherr entweder ein
Gott oder ein -- Narr sein mußte.

Entweder die Militärgrenze muß als solche aufhören zu sein, oder die Süd-



Das neue Grcnzstatut hat Manches zur Verbesserung der militärischen Stellung
de" GrenzerS eingeführt, aber an seinem staatsbürgerlichen Lehen wurde fast nichts
verändert.

hegen, und ihre Disciplin dort aufhört, wo gewisse Evolutionen mit den Fingern
anfangen. Allein wer mit der Verfassung der Militärgrenze naher vertraut ist,
muß hier dem kriegerischen Stamme der Südslaven das Wort sprechen, 'da die
Badens'schen Tendenzen ihnen nicht mit der Muttermilch eingesogen werden, son¬
dern vielmehr in ihrer bürgerlichen Stellung und besonders in einem Privilegium,
welches die einzige Lichtseite (?) in dem drang- und entbehrnngsvollen Leben des
Grenzers bildet, ihren Grund haben.

Der Grenzer ist ein Wesen, welches isolirt in der großen Volksfamilie da¬
steht, welche wir Staat nennen. Seine Person hat um insofern Werth, als sie
ein Gewehr tragen und gegen eine Kanone anlaufen kann; seine Familie besteht
aus einer gewissen Zahl von Mannschaft, deren Corporal der Patriarch ist;
seine Gemeinde ist eine Compagnie, sein Bezirk ein Regiment, sein Vaterland
eine große Caserne, und sein Kaiser ist der erste Soldat der Welt.

Der Grenzer hat aber nicht nur dem Staate — dem er geborene Maschine
ist — sondern anch seiner Familie gegenüber keine Individualität. — Die Session,
d. h. die zu einem Hause und den daran haftenden Grundstücken gehörende Fa¬
milie, ist dort die Einheit; die Mitglieder, die oft aus -4— 8 und noch mehr Ehe¬
paaren bestehen, bilden nur Bruchstücke dieser Einheit und sind mit ihrer Arbeit
und ihren: Talent an dieselbe gebunden. Wenn ein Mitglied der Session außer
dem Hause auf Arbeit gehen will, so muß es jsich dazu die Erlaubniß des
Patriarchen (vorstehendes Mitglied der Session) einholen und auch dann einen
Theil des erarbeiteten Lohnes in die Familiencasse abliefern. Nur Ein Erwerb
ist ihm vom Gesetz als ungeschmälertes Eigenthum zugesprochen, und das ist die
gemachte Kriegsbeute.")

Nun denke man sich einen Feldherrn, der dem armen, zu Hanse meist
hungernden und mit seinem geringen Besitz und Erwerb unter Curatel stehenden
Grenzer diesen einzigen Weg zur Erlangung eines selbstständigen Vermögens
abschneiden wollte; der dem Grenzer, welcher den Civilstand nur als solchen
kennt, für den oder gegen den er in die blutige Schlacht ziehen und dann
seinen verkrüppelten Bruder, Vater oder Oheim mit seiner Hände Arbeit ernähren
helfen muß, von Pflichten des Kriegers gegen den Staat und andern dergleichen
Dingen sprechen wollte; ja noch mehr, der dem Grenzer in einem Kriege, wie der
letzte war, Schonung gegen den gebieten wollte, der es wagte, die heilige Dis¬
ciplin so gröblich zu verletzen und sich gegen den ersten Soldaten der Erde zu
erheben: und man wird gestehen müssen, daß ein solcher Feldherr entweder ein
Gott oder ein — Narr sein mußte.

Entweder die Militärgrenze muß als solche aufhören zu sein, oder die Süd-



Das neue Grcnzstatut hat Manches zur Verbesserung der militärischen Stellung
de« GrenzerS eingeführt, aber an seinem staatsbürgerlichen Lehen wurde fast nichts
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[0460] hegen, und ihre Disciplin dort aufhört, wo gewisse Evolutionen mit den Fingern anfangen. Allein wer mit der Verfassung der Militärgrenze naher vertraut ist, muß hier dem kriegerischen Stamme der Südslaven das Wort sprechen, 'da die Badens'schen Tendenzen ihnen nicht mit der Muttermilch eingesogen werden, son¬ dern vielmehr in ihrer bürgerlichen Stellung und besonders in einem Privilegium, welches die einzige Lichtseite (?) in dem drang- und entbehrnngsvollen Leben des Grenzers bildet, ihren Grund haben. Der Grenzer ist ein Wesen, welches isolirt in der großen Volksfamilie da¬ steht, welche wir Staat nennen. Seine Person hat um insofern Werth, als sie ein Gewehr tragen und gegen eine Kanone anlaufen kann; seine Familie besteht aus einer gewissen Zahl von Mannschaft, deren Corporal der Patriarch ist; seine Gemeinde ist eine Compagnie, sein Bezirk ein Regiment, sein Vaterland eine große Caserne, und sein Kaiser ist der erste Soldat der Welt. Der Grenzer hat aber nicht nur dem Staate — dem er geborene Maschine ist — sondern anch seiner Familie gegenüber keine Individualität. — Die Session, d. h. die zu einem Hause und den daran haftenden Grundstücken gehörende Fa¬ milie, ist dort die Einheit; die Mitglieder, die oft aus -4— 8 und noch mehr Ehe¬ paaren bestehen, bilden nur Bruchstücke dieser Einheit und sind mit ihrer Arbeit und ihren: Talent an dieselbe gebunden. Wenn ein Mitglied der Session außer dem Hause auf Arbeit gehen will, so muß es jsich dazu die Erlaubniß des Patriarchen (vorstehendes Mitglied der Session) einholen und auch dann einen Theil des erarbeiteten Lohnes in die Familiencasse abliefern. Nur Ein Erwerb ist ihm vom Gesetz als ungeschmälertes Eigenthum zugesprochen, und das ist die gemachte Kriegsbeute.") Nun denke man sich einen Feldherrn, der dem armen, zu Hanse meist hungernden und mit seinem geringen Besitz und Erwerb unter Curatel stehenden Grenzer diesen einzigen Weg zur Erlangung eines selbstständigen Vermögens abschneiden wollte; der dem Grenzer, welcher den Civilstand nur als solchen kennt, für den oder gegen den er in die blutige Schlacht ziehen und dann seinen verkrüppelten Bruder, Vater oder Oheim mit seiner Hände Arbeit ernähren helfen muß, von Pflichten des Kriegers gegen den Staat und andern dergleichen Dingen sprechen wollte; ja noch mehr, der dem Grenzer in einem Kriege, wie der letzte war, Schonung gegen den gebieten wollte, der es wagte, die heilige Dis¬ ciplin so gröblich zu verletzen und sich gegen den ersten Soldaten der Erde zu erheben: und man wird gestehen müssen, daß ein solcher Feldherr entweder ein Gott oder ein — Narr sein mußte. Entweder die Militärgrenze muß als solche aufhören zu sein, oder die Süd- Das neue Grcnzstatut hat Manches zur Verbesserung der militärischen Stellung de« GrenzerS eingeführt, aber an seinem staatsbürgerlichen Lehen wurde fast nichts verändert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/460>, abgerufen am 27.07.2024.