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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Die Stärke, die der schon früher erwähnte Brückenkopf, welcher auf dem
rechten Weichselufer liegt, der Citadelle verleiht, ist sehr bedingt. Bei hohem
Stande des Stroms dürfte seine Thätigkeit sehr beschränkt sein, da er sich an
der niedrigsten Stelle des Ufers ans sehr sandigem durchdringlichcn Boden be¬
findet. Der Graben konnte deshalb nicht tief gelegt werden, hat aber den Vor¬
theil, bis zu 7 Schuh mit Wasser gefüllt werden zu können, leidet dagegen aber
wieder von dem Gebrechen, daß bei hohem Wasserstand die Füllmauern, von dem
aller Verbindungskrast ermangelnden Sandboden gepreßt, Sprünge bekommen
und stellenweis einstürzen. Ueberhaupt ist diese kleine Feste ungewöhnlich vielen
Mißgeschicken ausgesetzt. Jeder Nord- und jeder Südwind von einiger Heftigkeit
steigert sich bei ihr in Folge der Pressung am gegenüberliegenden hohen Strom¬
ufer zum Sturm, und jeder Sturm ist für sie ein Orkan, dem sie bald die herr¬
lichen Zinkdächer, bald ein Haus, bald eiuen Schuppen zollen muß. Die Gebäude
siud wie die der Citadelle und wie alle, welche sich in den neuen russischen Festun¬
gen befinden, von großer Eleganz, aber ungemein leichter Bauart: daher leiden
sie in erwähnten Fällen entsetzlich und sind fortwährend bedeutender Reparaturen
bedürftig, wodurch zum großen Jammer der Warschauer Bürgerschaft die Fort¬
dauer der fürchterlichen Cikadellensteuer immer neue Berechtigung gewinnt. Der
Brückenkopf enthält an sechzig Kanonen und kann eine Besatzung von 12W Mann
ausuehmeu. In der Citadelle dagegen finden im Fall der Roth fünfundzwanzig-
tausend Mann Platz. Um eine große Trnppcnmasse in ihr bewegen zu können,
hat man die Gebäude so gestellt, daß sich allenthalben ziemlich große freie Plätze
befinden. Der Centralplatz hat die Große, daß ans ihm zwei Bataillone Infan¬
terie die gewöhnlichen Exercitien ausführen können. Im Mittelpunkt dieses
Platzes befindet sich zum ehrenden Andenken an den Kaiser Alexander ein fünfzig
Fuß hoher herrlicher Obelisk von Gußeisen und vergoldeter Bronce. Seine
goldenen Buchstaben ans den vier Flächen des Würfels machen nur unbedeutende
auf den Bau der Feste bezügliche Angaben. Eine Seite ist einzig dem Kaiser
Alexander gewidmet, zu dessen Ehre die Feste auch deu Namen Alexandercitadelle
trägt.

Obschon auf die Citadelle vou Warschau die größten Kräfte verwendet wor¬
den sind, so ist sie doch uuter allen gegenwärtig in Polen befindlichen Festungen
die schlechteste. Was ihr das Terrain nicht gewährt hat, hat ihr die Kunst und
Mühe des Menschen nicht schenken können. Von der jenseitigen Weichselseite
kann sie so wirkungsvoll bombardirt werden wie eine Stadt, da keiner ihrer ein-
zelnen Theile gedeckt werden konnte. Sie bietet sich dem dort gegenüberstehenden
Feinde mit einer solchen Offenheit dar, daß er planmäßig gegen sie verfahren
und nach Vortheil bald diesen, bald jenen einzelnen Theil zum Ziel seiner Ge¬
schütze wählen kaun. Nicht einmal die wichtigsten Gebäude siud gedeckt, selbst
zwei Pulvermagazine im zweiten Wallgraben bieten sich zum Ziele dar.


Die Stärke, die der schon früher erwähnte Brückenkopf, welcher auf dem
rechten Weichselufer liegt, der Citadelle verleiht, ist sehr bedingt. Bei hohem
Stande des Stroms dürfte seine Thätigkeit sehr beschränkt sein, da er sich an
der niedrigsten Stelle des Ufers ans sehr sandigem durchdringlichcn Boden be¬
findet. Der Graben konnte deshalb nicht tief gelegt werden, hat aber den Vor¬
theil, bis zu 7 Schuh mit Wasser gefüllt werden zu können, leidet dagegen aber
wieder von dem Gebrechen, daß bei hohem Wasserstand die Füllmauern, von dem
aller Verbindungskrast ermangelnden Sandboden gepreßt, Sprünge bekommen
und stellenweis einstürzen. Ueberhaupt ist diese kleine Feste ungewöhnlich vielen
Mißgeschicken ausgesetzt. Jeder Nord- und jeder Südwind von einiger Heftigkeit
steigert sich bei ihr in Folge der Pressung am gegenüberliegenden hohen Strom¬
ufer zum Sturm, und jeder Sturm ist für sie ein Orkan, dem sie bald die herr¬
lichen Zinkdächer, bald ein Haus, bald eiuen Schuppen zollen muß. Die Gebäude
siud wie die der Citadelle und wie alle, welche sich in den neuen russischen Festun¬
gen befinden, von großer Eleganz, aber ungemein leichter Bauart: daher leiden
sie in erwähnten Fällen entsetzlich und sind fortwährend bedeutender Reparaturen
bedürftig, wodurch zum großen Jammer der Warschauer Bürgerschaft die Fort¬
dauer der fürchterlichen Cikadellensteuer immer neue Berechtigung gewinnt. Der
Brückenkopf enthält an sechzig Kanonen und kann eine Besatzung von 12W Mann
ausuehmeu. In der Citadelle dagegen finden im Fall der Roth fünfundzwanzig-
tausend Mann Platz. Um eine große Trnppcnmasse in ihr bewegen zu können,
hat man die Gebäude so gestellt, daß sich allenthalben ziemlich große freie Plätze
befinden. Der Centralplatz hat die Große, daß ans ihm zwei Bataillone Infan¬
terie die gewöhnlichen Exercitien ausführen können. Im Mittelpunkt dieses
Platzes befindet sich zum ehrenden Andenken an den Kaiser Alexander ein fünfzig
Fuß hoher herrlicher Obelisk von Gußeisen und vergoldeter Bronce. Seine
goldenen Buchstaben ans den vier Flächen des Würfels machen nur unbedeutende
auf den Bau der Feste bezügliche Angaben. Eine Seite ist einzig dem Kaiser
Alexander gewidmet, zu dessen Ehre die Feste auch deu Namen Alexandercitadelle
trägt.

Obschon auf die Citadelle vou Warschau die größten Kräfte verwendet wor¬
den sind, so ist sie doch uuter allen gegenwärtig in Polen befindlichen Festungen
die schlechteste. Was ihr das Terrain nicht gewährt hat, hat ihr die Kunst und
Mühe des Menschen nicht schenken können. Von der jenseitigen Weichselseite
kann sie so wirkungsvoll bombardirt werden wie eine Stadt, da keiner ihrer ein-
zelnen Theile gedeckt werden konnte. Sie bietet sich dem dort gegenüberstehenden
Feinde mit einer solchen Offenheit dar, daß er planmäßig gegen sie verfahren
und nach Vortheil bald diesen, bald jenen einzelnen Theil zum Ziel seiner Ge¬
schütze wählen kaun. Nicht einmal die wichtigsten Gebäude siud gedeckt, selbst
zwei Pulvermagazine im zweiten Wallgraben bieten sich zum Ziele dar.


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[0456] Die Stärke, die der schon früher erwähnte Brückenkopf, welcher auf dem rechten Weichselufer liegt, der Citadelle verleiht, ist sehr bedingt. Bei hohem Stande des Stroms dürfte seine Thätigkeit sehr beschränkt sein, da er sich an der niedrigsten Stelle des Ufers ans sehr sandigem durchdringlichcn Boden be¬ findet. Der Graben konnte deshalb nicht tief gelegt werden, hat aber den Vor¬ theil, bis zu 7 Schuh mit Wasser gefüllt werden zu können, leidet dagegen aber wieder von dem Gebrechen, daß bei hohem Wasserstand die Füllmauern, von dem aller Verbindungskrast ermangelnden Sandboden gepreßt, Sprünge bekommen und stellenweis einstürzen. Ueberhaupt ist diese kleine Feste ungewöhnlich vielen Mißgeschicken ausgesetzt. Jeder Nord- und jeder Südwind von einiger Heftigkeit steigert sich bei ihr in Folge der Pressung am gegenüberliegenden hohen Strom¬ ufer zum Sturm, und jeder Sturm ist für sie ein Orkan, dem sie bald die herr¬ lichen Zinkdächer, bald ein Haus, bald eiuen Schuppen zollen muß. Die Gebäude siud wie die der Citadelle und wie alle, welche sich in den neuen russischen Festun¬ gen befinden, von großer Eleganz, aber ungemein leichter Bauart: daher leiden sie in erwähnten Fällen entsetzlich und sind fortwährend bedeutender Reparaturen bedürftig, wodurch zum großen Jammer der Warschauer Bürgerschaft die Fort¬ dauer der fürchterlichen Cikadellensteuer immer neue Berechtigung gewinnt. Der Brückenkopf enthält an sechzig Kanonen und kann eine Besatzung von 12W Mann ausuehmeu. In der Citadelle dagegen finden im Fall der Roth fünfundzwanzig- tausend Mann Platz. Um eine große Trnppcnmasse in ihr bewegen zu können, hat man die Gebäude so gestellt, daß sich allenthalben ziemlich große freie Plätze befinden. Der Centralplatz hat die Große, daß ans ihm zwei Bataillone Infan¬ terie die gewöhnlichen Exercitien ausführen können. Im Mittelpunkt dieses Platzes befindet sich zum ehrenden Andenken an den Kaiser Alexander ein fünfzig Fuß hoher herrlicher Obelisk von Gußeisen und vergoldeter Bronce. Seine goldenen Buchstaben ans den vier Flächen des Würfels machen nur unbedeutende auf den Bau der Feste bezügliche Angaben. Eine Seite ist einzig dem Kaiser Alexander gewidmet, zu dessen Ehre die Feste auch deu Namen Alexandercitadelle trägt. Obschon auf die Citadelle vou Warschau die größten Kräfte verwendet wor¬ den sind, so ist sie doch uuter allen gegenwärtig in Polen befindlichen Festungen die schlechteste. Was ihr das Terrain nicht gewährt hat, hat ihr die Kunst und Mühe des Menschen nicht schenken können. Von der jenseitigen Weichselseite kann sie so wirkungsvoll bombardirt werden wie eine Stadt, da keiner ihrer ein- zelnen Theile gedeckt werden konnte. Sie bietet sich dem dort gegenüberstehenden Feinde mit einer solchen Offenheit dar, daß er planmäßig gegen sie verfahren und nach Vortheil bald diesen, bald jenen einzelnen Theil zum Ziel seiner Ge¬ schütze wählen kaun. Nicht einmal die wichtigsten Gebäude siud gedeckt, selbst zwei Pulvermagazine im zweiten Wallgraben bieten sich zum Ziele dar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/456>, abgerufen am 01.09.2024.